Angst vorm Fliegen...

..in Zeiten des Terrors

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Angst ist eine Massenkrankheit. Nicht nur, dass Ängste die Menschen zunehmend in die Arme des Überwachungsstaates greifen, der vermeintliche Sicherheit verspricht, ungefähr 10 Prozent der deutschen Bevölkerung leiden unter behandlungsbedürftigen Angststörungen. Angst vor dem Fliegen haben allerdings deutlich mehr Leute und das nicht erst seit dem 11. September.

Kaum jemand fliegt wirklich gerne. Die Sitze sind zu eng, die Luft ist zu trocken, der Druckausgleich lässt einem die Ohren zufallen und auch bei Turbulenzen durchgerüttelt zu werden, ist alles andere als angenehm. Aber sich nicht wohl zu fühlen, ist etwas anderes als die Angst, um die es geht, wenn die Psychologen von Aviophobie sprechen. Wer darunter leidet, sitzt mit schweißtropfenden Händen in der Maschine, das Herz rast, die Atmung wird flach, Magen und Darm fangen an zu krampfen, Schwindel, Kopfschmerz und Übelkeit setzen ein, Panik macht sich im ganzen Körper breit.

Diese Attacken von Todesangst sind typisch für Phobien und die Flugangst ist eine der so genannten spezifischen Phobien, zu denen auch die panische Angst vor Spinnen, Schlangen, engen Räumen oder Höhe gehört. Das sind weit verbreitere unbegründete, unangemessene und exzessive Furchtreaktionen, die in der Folge häufig zu zwanghaftem Verhalten oder kompletten Vermeiden von potenziell die Panik auslösenden Situationen führen. Menschen, die in heftiger Form darunter leiden, schränken sich selbst immer mehr ein, was die Lebensqualität oder den Berufsalltag behindert. Obwohl sie leiden, haben viele große Bedenken, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Bei Angststörungen waren Patienten generell zu lange, bevor sie einen Psychologen aufsuchen, oft zehn Jahre oder länger.

Wie viele Leute unter Flugangst leiden, ist umstritten. Sicher ist, dass sich sehr viele an Bord eines Fliegers unwohl fühlen und zumindest Angstgefühle entwickeln, wenn Turbulenzen durchflogen werden. Meist wird davon gesprochen, dass weltweit zwei Drittel der Passagiere mit einem unguten Gefühl an Bord gehen und ein Drittel dabei echte Beklemmungs- oder Angstgefühle hat. Die Schwäche zuzugeben, fällt den meisten nicht leicht. Sie fürchten sich lächerlich oder unmöglich zu machen, wenn sie zu ihrer Aviophobie stehen. Obwohl die Flugangst so bekannte Persönlichkeiten wie des ehemaligen DDR-Staatschefs Walter Ulbricht, des nordkoreanische Diktators Kim Jong Il, des Dalai Lama, des Musicalstars Ute Lemper, oder des Fußballers Dennis Bergkamp öffentlich bekannt ist, sprechen die meisten Betroffenen nicht gerne darüber.

Spätestens wenn die Vermeidungsstrategie dazu führt, dass sie gar nicht mehr fliegen, gibt es dann Ärger mit dem Partner, der gerne im Winter auf die Malediven reisen würde oder mit dem Arbeitgeber, der vom modernen mobil-dynamischen Angestellten selbstverständlich berufliches Vielfliegen erwartet. Die Fluggesellschaften haben beträchtliche finanzielle Einbußen, der Flugzeughersteller Boeing schätzt, dass ohne Flugangst allein in den USA pro Jahr zusätzlich für zwei Milliarden Dollar Tickets verkauft werden könnten. Dabei ist Fliegen mit Abstand die sicherste Art zu reisen. Statistisch errechnet stürzt ein extremer Vielflieger mit 500.000 Flugkilometer im Jahr nur alle 5000 Jahre einmal ab. Piloten betonen immer gerne: "Das "gefährlichste" am Fliegen ist die Fahrt zum Flugplatz!" Wer sich umfassend über die Sicherheit im Flugverkehr informieren und alle Abstürze seit 1970 nachlesen will, kann das online bei AirSafe - Critical Information for the Traveling Public tun.

Seit dem 11. September 2001 sind weltweit die Fluggesellschaften in der Krise, weil deutlich weniger Leute fliegen. Die neueste Deutsche Tourismusanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts, die im Februar veröffentlicht wurde, zeigt dass die Bundesbürger tendenziell kürzere Urlaube in näheren Zielen verbringen. Die Billigflieger haben allerdings wieder zu einer Zunahme der Flugreisen geführt. Neben Furcht vor dem Fliegen oder terroristischen Anschlägen spielen für viele Passagiere sicher das eigene Budget, der erhöhte Aufwand durch die Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen und Bedenken bezüglich der Sicherheitssituation in Urlaubsländern eine wichtige Rolle.

Eine Umfrage in den USA Anfang 2002 erbrachte, dass sich dort die Flugangst nach den Terroranschlägen vom 11. September um ein Drittel gesteigert hatte, die Passagiere reagierten wesenlich gestresster als vorher (vgl. Number of passengers experiencing air travel stress jumps to 81 percent). British Airways ließ ebenfalls verlauten, dass die Angst vor Terrorismus einen Einfluss auf die zurückgegangenen Buchungen gehabt hätte.

Das Institut für Demoskopie Allensbach befragte Mitte vergangenen Jahres die Deutschen nach ihren Flugreisen. Dabei zeigte sich, dass Anfang des Dritten Jahrtausends Flüge wesentlich selbstverständlicher sind, als noch Anfang der 90er Jahre. 2003 waren nur noch 8 Prozent der Bevölkerung noch nie geflogen, 1994 lag diese Zahl noch doppelt so hoch. Die Allensbacher stellten auch fest, dass die Zahl der Flugreisenden nach dem 11. September um vier Prozent zurückgegangen ist. Erstaunlicherweise ist aber die Flugangst so gut wie unverändert geblieben. Für 16 Prozent der Befragten ist nach eigenen Angaben Fliegen ein Albtraum und weitere 22 Prozent verspüren an Bord einer Maschine ein deutliches Unbehagen. 1994 hatten 15 Prozent Angst vor dem Fliegen, 20 Prozent fühlten sich dabei unbehaglich.

Frauen leiden sehr viel stärker (20 Prozent) als Männer (12 Prozent) unter Aviophobie. Ob aber nun Männer oder Frauen, die meisten der Flugphobiker lassen sich von ihrer irrationalen Angst nicht davon abhalten zu borden. Sie entwickeln oft eigene "Überlebensstrategien", die es ihnen ermöglichen zu fliegen. Dabei neigen Männer eher dazu, sich mit Alkohol oder Tabletten selbst ruhig zu stellen, Frauen versuchen es mit autogenem Training oder Meditation. Ein Ingenieur berichtete im Gespräch, dass er nur völlig betrunken an Bord gehe und dann noch eine Schlaftablette nehme, um sich zu betäuben.

Eine Führungskraft aus dem Modebereich, die beruflich extrem viel fliegen muss, hat sich selbst so konditioniert, dass sie sofort einschläft, sobald sie in ihrem Sitz angeschnallt ist. Sie sagt dem Personal an Bord Bescheid, dass sie nicht gestört werden will und erwacht erst wieder, wenn der Flieger nach der Landung ausrollt. Diese Methode hat sie sich selbst erschlossen, sie stellt allerdings fest, dass dieser Schlaf trotzdem nicht wirklich erholsam sei, sondern anstrengend. Bei der Ankunft fühlt sie sich geschlaucht. Eine Kulturmanagerin, die ebenfalls beruflich ständig fliegen muss, hat eine Art Totstellreflex entwickelt: sie setzt sich in eine völlig starre Position, den Kopf schief gelegt, die Augen geschlossen und alle Muskeln angespannt. "Meditative Starre" nennt sie das. Sie bitte ebenfalls vorher, nicht angesprochen zu werden und kommt mit dieser Komplettverspannung selbst auf Langstreckenflügen zurecht. Wenn sie ankommt, ist sie natürlich völlig erledigt und es kommen ihr die Tränen.

Keiner der drei hat je ernsthaft erwogen eine Therapie zu machen, sie haben ihre Panik so weit im Griff und das reicht ihnen, obwohl besonders der alkoholisierte Betäubungs-Ansatz gesundheitlich äußerst bedenklich ist und anschließende berufliche Termine verunmöglicht. Außerdem trägt er zu dem viel diskutierten Phänomen der "Air Rage" bei: Passagiere, die im Flugzeug die Kontrolle verlieren, randalieren und wahllos zuschlagen (vgl. Ausnahmezustand in der Luft).

Es folgt Teil II