Die Ukraine, der Krieg und der Westen: Wann endet die Solidarität?

Selenskyj, Nato-Chef Stoltenberg. Bild: Nato, CC BY-NC-ND 2.0

"So lange wie nötig" soll Kiew im Kampf gegen die Invasion unterstützt werden. Doch der Beistand ist zögerlich und bröckelt. Was, wenn er kippt? Ein Telepolis-Leitartikel.

"As long as it takes", so lange wie nötig, ist eine der am häufigsten strapazierten Phrasen seit Beginn des Krieges in der Ukraine und der damit einhergehenden westlichen Militärhilfe für Kiew.

Die westlichen Verbündeten in diesem in der Tat geopolitischen Konflikt werden, so die vollständige Botschaft, die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig ist, um die russischen Truppen vollständig zurückzudrängen, also Russland in diesem Krieg militärisch zu besiegen.

"As long as it takes", das ist zugleich eine der unehrlichsten Parolen von westlicher Seite, was umso schwerer wiegt, je öfter sie trotz der inzwischen offensichtlichen Realität wiederholt wird. Im April dieses Jahres berichtete Telepolis über ein internes Konzeptpapier der Europäischen Union zu Waffenlieferungen an die Ukraine, das der Parole der unbegrenzten Solidarität widerspricht.

In dem Papier des Europäischen Auswärtigen Dienstes wird nämlich durchaus ein Ende der Waffenhilfe für die Ukraine definiert.

Diese Option hält sich Brüssel im internen Reglement offen, "wenn die politische und sicherheitspolitische Lage es nicht mehr zulässt, die Unterstützungsmaßnahme unter Sicherstellung ausreichender Garantien durchzuführen, oder die Fortsetzung der Unterstützungsmaßnahme nicht mehr den Zielen der Union dient oder nicht länger in ihrem Interesse liegt".

Wie es um diese Interessen bestellt ist und wie sehr die Ukraine in diesen Krieg um alles oder nichts getrieben wurde, erfährt die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj in diesen Tagen und Wochen.

Denn es wäre vor dem völkerrechtswidrigen Angriff der Russen, aber durchaus auch noch unmittelbar danach möglich gewesen, das Sterben und die Zerstörung in dem jetzt stattfindenden Ausmaß zu verhindern.

Notwendige Voraussetzung dafür wäre gewesen, dass die westlichen Staaten, also vor allem die europäischen Nato-Staaten, mit Kiew und Moskau eine Sicherheitsarchitektur ausgehandelt hätten, mit der die Souveränität der Ukraine wiederhergestellt und die Interessen Russlands gewahrt worden wären.

Die Mitverantwortung der Fanatiker

Ein solches Vorgehen wäre realpolitisch plausibel gewesen. Nur wurde es von Fanatikern aller Couleur vereitelt.

Von jenen, die in den Russen das Böse sehen, das vor der Ukraine "nicht Halt machen wird", wie Ex-Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen und Wolodymyr Selenskyj unisono betonten.

Von ukrainischen Nationalisten, die in unverkennbar völkischer Manier die russischen Soldaten als "Orks" beschimpfen und jede Spur russischer Kultur vom ukrainischen Boden tilgen wollen.

Von russischen Hardlinern, die die historisch-imperiale Vergangenheit Russlands verklären und eine "russische Welt" anstreben.

Auch wenn der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 unbestreitbar die Hauptsünde ist, so haben doch mehrere Akteure zu dieser Eskalation beigetragen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer tragen nun die Last und zahlen den Blutzoll.

Wer das nicht sieht und ohne Realitätssinn und Empathie auf eine Fortsetzung dieses Krieges drängt, wird sich früher oder später seiner Verantwortung stellen müssen.

Der Ukraine droht ein böses Erwachen. Ja, sicher: Hier wird eine Verteidigungslinie der russischen Besatzer durchbrochen, dort werden zwei Dörfer eingenommen. Aber ist das der Durchbruch, der zur Befreiung der Ukraine beitragen kann, der zur Rückeroberung von 100.000 Quadratkilometern führt?

Die Phrase "As long as it takes" muss in ukrainischen Ohren inzwischen einen unerträglich zynischen Beiklang haben. Denn die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Hier nur einige Beispiele:

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