Gefahr von Rechts?

Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor rechten Demonstrationen, nach dem Verfassungsschutzbericht 2005 ist die Zahl der Rechtsextremen in Deutschland weiter gestiegen, ein Berliner Politiker wurde Opfer mutmaßlich rassistischer Gewalt

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So schnell können Diskurse wechseln. Eben noch musste sich Uwe-Karsten Heye als Miesmacher titulieren lassen, weil er darauf aufmerksam machte, dass es in Deutschland Regionen gibt, die Menschen mit dunkler Hautfarbe zur eigenen Sicherheit besser meiden sollen. Jetzt warnt ausgerechnet die Gewerkschaft der Polizei davor, dass Neonazis mit ihren Aktivitäten während der Fußballweltmeisterschaft einen Sicherheitsnotstand hervorrufen könnten.

Anlass sind Planungen der NPD und weiterer Neonazigruppen, in mehreren WM-Städten zu demonstrieren, u.a. am 10.Juni in Gelsenkirchen, am 17.Juni in Frankfurt/Main und am 21.Juni in Leipzig. Dort soll auch der iranische Präsident willkommen geheißen werden, der von den Rechten wegen seiner Israelfeindlichen und Holocaustrelativierenden Äußerungen zum Lieblingsausländer erklärt wurde.

Bausteine für ein Demoverbot

Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Konrad Freiberg warnte in diesem Zusammenhang vor einen polizeilichen Notstand, da sämtliche verfügbaren Kräfte im Rahmen der WM bereits für andere Aufgaben verplant seien. Deshalb appellierte die Polizeigewerkschaft an die Gerichte, die Demos möglichst zu untersagen, zumindest aber aus dem Umfeld der Stadien zu verbannen. Die Politik hatte auch ohne die GdP-Intervention schon ähnliche Pläne verlautbaren lassen. So haben mit Ausnahme der NPD alle Parteien in Frankfurt erklärt, dass sie die Demonstration in der Stadt nicht zulassen wollen. Allerdings ist bisher völlig unklar, ob die Gerichte hier mitspielen. So könnte die GdP-Intervention sogar ein wesentlicher Baustein für ein Verbotsurteil sein. Schließlich kommt es nicht häufig vor, dass die Polizei im Vorfeld schon erklärt, sie könnte die Lage nicht in den Griff kriegen.

Dabei ist die Faktenlage nun wahrlich nicht neu. Es war eine italienische Zeitung, die schon im März gemeldet hatte, dass sich im deutsch-österreichischen Grenzgebiet Rechte aus verschiedenen Ländern für Aktionen zur WM beratschlagt haben ("Die Feinde: Muslims und Polizisten"). Die Reaktion erinnerte zunächst an die Schelte gegenüber Heye. Die italienische Zeitung wurde pauschal beschuldigt, Hitlers Geburtsstadt Braunau diskreditieren zu wollen. Doch erst als die NPD wenige Wochen später ihre WM-Aktivitäten bekannt machte (Neonazis entdecken WM), wurde das Thema in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Allerdings wurde zunächst versichert, dass kein Grund zur Besorgnis bestünde.

Bestätigung von Schäuble-Gegnern

Durch die jüngsten Kassandrarufe der GdP könnten sich Unionspolitiker wie Wolfgang Schäuble bestätigt sehen, die schon seit Wochen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern werben. Es wäre allerdings falsch, der GdP zu unterstellen, sie wolle damit solche Pläne unterstützen. Die Interessenvertretung der Polizei teilt zwar Schäubles Diagnose, dass der Sicherheitsapparat ausgebaut werden müsse. Doch in den Plänen des Innenministers sieht sie berechtigerweiße eine Gefahr für ihre Klientel. Während Schäuble als kostensparende Variante den Einsatz der Bundeswehr favorisiert, fordert die GdP mehr Geld für den Ausbau der Polizei. Die Warnung vor den Polizeinotstand bei der WM könnte daher auch Werbung in eigener Sache sein.

Die Zahl der Neonazis und Rechtsextremisten ist nach Medienberichten im vergangenen Jahr gestiegen. Das gehe aus dem Verfassungsschutzbericht 2005 hervor, der morgen in Berlin von Bundesinnenminister Schäuble vorgestellt werden soll. Demnach registrierte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Anstieg der Zahl der Neonazis von 3.800 im Jahr 2004 auf 4.100 im vergangenen Jahr, sowie der gewaltbereiten Rechtsextremisten von 10.000 auf 10.400.

Am vergangenen Freitagabend war davon auch ein bekannter Politiker betroffen. Der innenpolitische Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus Giyasettin Sayan wurde am späten Freitagabend von zwei Unbekannten angeblich rassistisch beschimpft und mit einer Flasche niedergeschlagen, als er in der Weitlingstraße im Bezirk Lichtenberg in sein Auto steigen wollte. Mit Prellungen und einer Gehirnerschütterung befindet er sich seitdem in stationärer Behandlung. Die Berliner Weitlingstraße ist seit den frühen 90er Jahren als rechtes Zentrum bekannt. Dort hatten Neonazis mehrere Jahre eigene Häuser besetzt.

Vermeintliches Überfallopfer im Knast

Nach dem Überfall auf Sayan warnte prompt der Regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit vor dem Entstehen von No-Go-Areas in der Hauptstadt. Zumindest ist bei dem prominenten Abgeordneten nicht damit zu rechnen, dass der Überfall relativiert oder gar angezweifelt wird.

Gegen einen italienischen Touristen wurde allerdings Haftbefehl wegen Vortäuschung einer Straftat erlassen. Er hatte angegeben, am vorletzten Wochenende von Rechten überfallen und verletzt worden zu sein. Die italienischen Medien berichteten darüber in großer Aufmachung, an einer Spontandemonstration am vermeintlichen Tatort beteiligten sich mehrere hundert Menschen.

Auch gegen die sozialistische Jugendorganisation „Die Falken“ ermittelt der Staatsschutz wegen Vortäuschung von Straftaten. Die linke Jugendorganisation hat immer wieder vermeintliche rassistische oder rechte Aktionen in und um Braunschweig dokumentiert. Nach Angaben der Polizei wurden von den über 20 von den „Falken“ aufgeführten Fällen lediglich in vier Fällen Anzeigen erstattet, und nur dreimal wollten die Ermittlungsbehörden einen rechten Hintergrund nicht ausschließen.

Organisationen von Betroffenenverbänden verweisen darauf, dass aus unterschiedlichen Gründen längst nicht alle Opfer rechter Gewalt Anzeige machen. Vor allem Flüchtlinge fürchten dadurch Nachteile auf ihr Asylverfahren. Außerdem gibt es schon seit Jahren Streit über die Definition, was als Straftat mit einem rechten Hintergrund zu gelten hat. Mit den Ermittlungen gegen die Falken aber wird das Engagement zivilgesellschaftlicher Gruppen, zu denen Opfer rechter Gewalt oft mehr Vertrauen haben als in die Polizei, eingeschüchtert werden. Als Begründung für die Ermittlung gegen die Braunschweiger Jugendorganisation erklärte der Sprecher der örtlichen Polizei Joachim Grande: „Wir ermitteln objektiv, unabhängig und sachgerecht und lassen es nicht zu, dass sowohl rechts- als auch linksorientierte Gruppen mit ihren Äußerungen und durch ihr Verhalten Angst und Unsicherheit schüren." Fragt sich nur, ob jetzt auch gegen die Gewerkschaft der Polizei ermittelt werden müsste. Denn könnte die Warnung vor einem polizeilichen Notstand bei der WM nicht auch zu Angst und Verunsicherung führen?