Kapitalverbrechen fördern Akzeptanz für Videoüberwachung

Bombenattentate und Mord an TV-Sprecherin in London sollen mit Hilfe von CCTV aufgeklärt werden.

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Während in Deutschland die Überwachung öffentlicher und nicht-öffentlicher Plätze mit Videokameras künftig nur unter ganz bestimmten Bedingungen stattfinden können soll, ist sie in Großbritannien bereits zu einem beliebten polizeilichen Aufklärungsinstrument avanciert. Rund eine Million Kameras sind im Vereinigten Königreich installiert, ein durchschnittlicher Stadtbewohner wird im Schnitt alle fünf Minuten aufgenommen.

Mit CCTV-Kameras aufgenommene Bilder sollen zur Identifizierung des Nagelbombenattentäters beitragen. Ausschnitt aus einem Polizeiposter.

Seit 1995 investierten Polizei und Innenministerium 45 Millionen Pfund in den Ausbau des Kameranetzwerkes. Erst im März plädierte das Innenministerium für weitere 170 Millionen, um weitere 20.000 Systeme installieren zu können. Allein in den letzten drei Jahren wurden fast 500.000 Kamera-Ausrüstungen verkauft. Bleibt dieses Tempo konstant, so wird es im Jahre 2015 kein einziges kamerafreies Plätzchen in britischen Städten geben. Installiert werden die Kameras auf Privatbesitz, in Schulen, Parks und Krankenhäusern, an Busstationen, in Bahnhöfen und Einkaufsläden. Zuletzt hatte 1992 das britische Innenministerium eine Umfrage veröffentlicht, derzufolge 80 Prozent der Bevölkerung den Einsatz von CCTV-Systemen gutheißen. Vor allem die Angst vor IRA-Anschlägen hatte in der Bevölkerung die Akzeptanz für Videoüberwachungssysteme erhöht.

Die massive Aufrüstung scheint kaum Kritik in der Bevölkerung wachzurufen. Der flächendeckende Einsatz der Kameraüberwachungssysteme führte in britischen Gemeinden und Städten teilweise zu einer drastischen Senkung der Kriminalitätsrate von über 50 Prozent. Dennoch sind die offensichtlichen Erfolge von CCTV umstritten. So werden Einbrüche, körperliche Übergriffe oder Autodiebstähle nicht grundsätzlich verhindert, sondern lediglich aus den mit Kameras bestückten Gebieten verdrängt. In Großbritannien werden die Kamerasysteme meist dazu verwendet, "asoziales" Verhalten wie Urinieren auf öffentlichen Plätzen, Rauchen unter 18, Graffiti, Vandalismus, Trunkenheit oder Schummeln mit dem Parkschein zu ahnden.

Jetzt sollen zwei brisante Fälle der letzten Tage mittels CCTV aufgeklärt werden: Die Nagelbombenserie in Brixton, Brick Lane und Soho, und die Ermordung der BBC-Moderatorin Jill Dando, die die beliebte Sendung "Crimewatch" /vergleichbar "Aktenzeichen XY") moderierte. Im Fernsehen, in den Zeitungen im Internet und mit Plakaten im öffentlichen Raum fahndet die Polizei mit einem etwas verschwommenen Ausschnitt aus einer Videoaufzeichnung nach dem mutmaßlichen Bombenattentäter, einem "weissen Mann, zwischen 20 und 30 Jahren, zwischen 1,77 und 1,82 cm groß, bekleidet mit einer weissen Baseballkappe und einer Reißverschlußjacke." Er wurde gefilmt, wie er sich eineinhalb Stunden vor dem Attentat in der Gegend aufhielt. "Wir haben eine Menge Material, das uns zur unmißverständlichen Schlußfolgerung führt, dass die Untersuchung sich auf das Gesicht dieses Mannes konzentrieren muß", sagte der stellvertretende Polizeipräsident David Veness gegenüber der BBC. Die Videoaufzeichnungen wurden in den USA qualitativ überarbeitet, konnten jedoch im Abgleich mit einer britischen Polizeidatenbank keinen der bekannten Rechtsextremen identifizieren. Inzwischen wurde ein Tatverdächtiger festgenommen, allerdings nicht auf Grund der CCTV-unterstützten Fahndung, sondern in Folge eines Hinweises aus der Bevölkerung.

Überall in London hingen die Poster mit Bildern des mutmaßlichen Brixton-Attentäters, auch im "Cafe Francescha". Eigentümer Tony hatte es, im Vertrauen darauf, daß die Polizei den Täter mittlerweile festgenommen hat, bereits wieder abgenommen, holte es für Telepolis aber wieder aus dem Schrank.

Im Fall von Jill Dando werden jetzt mit Hilfe der überall installierten Systeme die letzten Stunden rekonstruiert. Sie wurde direkt vor ihrer Haustür erschossen. Die Polizei hält eine nahezu lückenlose Rekonstruktion für möglich: Vom Einkaufsbummel in der Stadt bis zur Fahrt nach Hause - in London decken die Kameras bereits 50 Prozent der gesamten Innnenstadt ab. Falls die Polizei erfolgreich ist, wird das zu einer noch größeren Akzeptanz in der Bevölkerung führen.

Simon Davis von "Privacy International" zeigt sich dennoch skeptisch: "Verbrechen aus Leidenschaft, Verbrechen, in denen Alkohol und Drogen eine Rolle spielen sowie Aktionen professioneller Krimineller werden von Kameras selten verhindert", so Davies in einer Expertenaussage vor einem Komitee des britischen Oberhauses, das sich mit der Beweiskraft digitaler Bilder auseinandersetzte. "Generell sind es nur kleinere Gelegenheitsverbrechen, die durch den Einsatz dieser Technologie verschwinden". Der Einsatz von CCTV-Systemen bewirkt in erster Linie ein verändertes Verhalten, kann jedoch Kriminalität nicht wirksam bekämpfen.

Vor allem der Fall "James Bulgar" sorgte in Großbritannien für kontroverse Diskussionen: Das Kleinkind wurde von zwei Teenagern auf einem Parkplatz entführt und später ermordet. Eine Kamera hatte die Entführung aufgezeichnet. Die Täter wurden kurz darauf geschnappt - angeblich aufgrund des entlarvenden Bildmaterials. Das Überwachungssystem schien sich bewährt zu haben, die Kritik am Einsatz der CCTV-Systeme schien entkräftet. Doch tatsächlich waren die Bildaufnahmen zu schlecht, die Täter wurden nicht aufgrund der Bildbeweise geschnappt. Die Tat selbst konnte nicht verhindert werden.