Netzpolitik: Warum im Wahlkampf die Arbeit im digitalen Zeitalter kaum thematisiert wird

Mann und Frau diskutieren am Arbeitsplatz über digitales Projekt.

(Bild: Stock 4you / Shutterstock.com)

"Digitalisierung für alle" fordern Netzpolitiker. Wie so oft bleibt die Arbeitswelt im Wahlkampf außen vor. Doch was bedeutet der Slogan für sie?

"Digitalisierung für alle" postuliert Anne Roth und fordert die Linke auf, sich mit der neuen Technik auseinanderzusetzen. Roth ist Expertin für Digital- und Netzpolitik und arbeitete bis zur Auflösung der Fraktion als Referentin für die Linke im Bundestag.

Digitalisierung: Ein Aufruf zur Auseinandersetzung

"Wer von links auf Digitalisierung blickt, findet eigentlich recht schnell die Themen, die im Alltag eine Rolle spielen", so Roth. Die Gefahr der Überwachung, das Ausspähen von Verbrauchern, Probleme von Menschen ohne Smartphone und die Sorgen von Eltern – sie beschreibt nachvollziehbar, warum Technik ein politisches Thema ist. Es fällt auf, was fehlt: die Arbeitswelt. Ohne als Parteivertreterin zu sprechen, macht sie als Pionierin linker Netzpolitik deutlich, was im Wahlkampf derzeit fehlt.

Dabei dürften die häufigsten Kontakte von Arbeitern und Angestellten mit der Digitalisierung am Arbeitsplatz stattfinden. Im Blickpunkt der aktuellen Veränderungen stehen ein vernetzter Einsatz von Scannern oder Chips in der Logistik. Auch computergesteuerte Unterstützung durch sogenannte Assistenzsysteme in Planung, Montage und Service sind neben intelligenten Leichtrobotern Elemente der Technisierung.

Die Verwaltung von Beschäftigten- und Kundendaten erfolgt über Workflow-Management-Systeme. Dies erleichtert Unternehmen, Angestellte unter Druck zu setzen, bis zu innerbetrieblichem "Benchmarking". Sie müssen sich rechtfertigen, warum ein Telefonat eine bestimmte Dauer überschritten hat oder in einem anderen Team die Kundenanfragen viel schneller bearbeitet werden. Gerade in Zeiten von Desk-Sharing und mobiler Arbeit wären europaweite Regelungen für die Arbeitenden wichtiger denn je.

Die Notwendigkeit von europaweiten Regelungen für Arbeitnehmer

Lange, bevor ChatGPT in der Öffentlichkeit populär wurde, ist maschinelle Lerntechnik eingeführt worden, erklärt Gunter Kegel, Präsident des Branchenverbandes für Elektronik (ZVEI), auf der Hannover Messe: "In den Unternehmen sind die wichtigsten Arbeitsprozesse wie Vertrieb, Marketing, Produktion und vor allem Innovation mit komplett neuen IT-Landschaften versehen worden". Durch die Digitalisierung fallen enorme Datenmengen an. Gewerkschaften und Betriebsräte versuchen in den Betrieben zu verhindern, dass Big Data zur vollständigen Kontrolle der Beschäftigten führt.

"Digitalisierung, wenn sie gut gemacht ist, kann im Alltag vieles erleichtern. Was aber häufig fehlt, ist die nötige Hilfestellung für alle, die eigentlich ganz andere Dinge zu tun haben. Die politischen Forderungen, das alles sozial gerecht zu gestalten, ergeben sich dann fast von selbst. Und das sind sehr linke Themen", beschreibt Roth.

Was das für die Beschäftigten bedeutet, bleibt offen. Dabei ist die Gestaltung der Arbeitsbedingungen ein Ur-Thema der Arbeiterbewegung. Die Unternehmer sprechen von "Industrie 4.0" und bezeichnen die zunehmende Vernetzung von Maschinen als "Vierte Industrielle Revolution".

Die vierte industrielle Revolution und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt

Die erste industrielle Revolution führte zur Gegenwehr der Beschäftigten und Gründung von Gewerkschaften und Arbeiterparteien. Die heutige Technik erfordert ebenfalls Antworten im Sinne der Belegschaften, die im Wahlkampf keine Rolle spielen und bei TV-Diskussionen ausgeblendet werden.

So gibt es bis heute kein bundesweites Weiterbildungsgesetz, das Ansprüche der Beschäftigten auf Qualifizierung vor Einsatz der Technik beinhaltet. Diese ist besonders wichtig, um mit den technischen Neuerungen mithalten zu können. Gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung von KI-Systemen müssen politische Forderungen weiter greifen und Regelung zu Personalausstattung, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzung umfassen.

Welche Möglichkeiten bestehen, zeigt die Tarifbewegung im Pflegebereich. Mit "Tarifverträgen zur Entlastung" wird die Personalplanung Teil kollektiv-rechtlicher Vereinbarungen. Die Beschäftigten der Charité in Berlin haben einen vorbildlichen Tarifvertrag zu den Arbeitsbedingungen erkämpft.

Tarifverträge und Personalplanung: Ein Modell für die Zukunft

Es gelten tarifliche Mindestbesetzungsstandards, es gibt Schlüssel für die Besetzung einzelner Schichten, die verbindlich durchsetzbar sind und vom Betriebsrat kontrolliert werden können. Der Arbeitskampf wurde monatelang unter starken Einbezug der Pflegekräfte vorbereitet.

Für die Belegschaft geht es bei Arbeitszeiten auch um die Planbarkeit. Dies setzt eine seriöse Planung des Personalbedarfs voraus. Personalplanung und Personalbedarfsplanung müssen Bestandteil einer Regulierung der Digitalisierung im Beschäftigteninteresse sein. Gesetzliche Regelungen dazu auf nationaler oder EU-Ebene fehlen bis heute.

Die Rolle der Personalplanung in der Digitalisierung

Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. Diese kann nur aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden und steht deshalb in engen Zusammenhang mit der Produktions-, der Absatz- und der Investitionsplanung.

Technik verändert die Bedingungen der Arbeit. "Es wird in der Tendenz zwei Typen von Mitarbeitern geben: Die einen, die vom Computer gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Und die anderen, die den Computern sagen, was sie zu tun haben. Die Tätigkeitsprofile ändern sich", formuliert Oliver Burkhard, Arbeitsdirektor der ThyssenKrupp AG, schon vor Jahren zugespitzt zutreffend.

Die Veränderung der Arbeitsbedingungen durch Technik

Wichtige Fragen beschäftigen die Arbeiter: Wer entscheidet bei der Kooperation zwischen Mensch und Maschine? Entlastet die Maschine bei schweren Handgriffen, erleichtert sie die Arbeit? Oder gibt die Technik jeden einzelnen Arbeitsschritt vor, etwa bei Workflow-Systemen, und sagt, was zu tun ist?

Aktuelle Meldung zu KI machen deutlich, dass die Technik menschliche Arbeit ersetzen wird. Um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können, ist Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich die passende Antwort. Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit.

Die Auswirkungen der Technik auf den Arbeitsdruck

Die Einbindung der Beschäftigten über mobile Endgeräte führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind – wie beim Versandkonzern Amazon – stets lokalisierbar und so beobachtbar. Auch die Kontrolle der Arbeiter wird verstärkt. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten.

Neue Technik wird zunehmend in den Betrieben eingesetzt. Trotzdem fehlt eine Diskussion, warum und wie diese Neuerungen umgesetzt werden sollen. Der Europawahlkampf wird dies wohl nicht ändern.