Plattformarbeit: Die EU wird es nicht richten

Angestellte eines Lieferdienstes protestieren

Angestellte eines Lieferdienstes protestieren. Foto: HimmelUnÄäd, CC BY-SA 4.0

Derzeit arbeiten wohl 90 Prozent aller Plattformarbeiter als Selbstständige. Die EU und ihre Mitglieder erheben kaum Daten zu diesem Sektor. Kann ein EU-Gesetz trotzdem Erfolg haben?

Das Europäische Parlament hat ein "Gesetz zur Plattformarbeit" beschlossen, das mehr Rechte für sogenannte Plattformarbeiter bringen soll.

Ein solcher Schritt war schon länger überfällig, da es in der EU inzwischen 28 Millionen Plattformarbeiter gibt. Das ist mehr als jeder siebte der 197 Millionen Arbeitnehmer in der Union. Bis zum Jahr 2025 könnten es 43 Millionen sein. Es werden allerdings auch Menschen dazugerechnet, die lediglich nebenberuflich für Plattformen tätig sind – manchmal nur wenige Stunden im Monat.

Sämtliche Risiken lasten auf den Arbeitnehmern

Derzeit arbeiten schätzungsweise 90 Prozent der Plattformarbeiter als Selbstständige. Und das Geschäftsmodell der Plattformen setzt genau darauf: Durch die (Schein-)Selbstständigkeit der Beschäftigten lasten sämtliche Risiken auf den Auftragnehmern, was den Plattformbetreibern viel Geld und auch Verwaltungsaufwand erspart.

Gewerkschaften äußern schon seit Jahren massive Bedenken, weil so letztlich die Arbeits-, Sozial- und Steuergesetzgebung umgangen werden. Nach Schätzungen könnten in der EU 5,5 Millionen Scheinselbstständige arbeiten.

Mittlerweile hat Plattformarbeit recht verschiedene Gesichter - allerdings werden fast ausschließlich Dienstleistungen vermittelt:

  1. Fahrdienste: Unternehmen wie Uber und Lyft vermitteln Taxifahrten über ihre mobilen Apps.
  2. Lieferdienste: Plattformen wie Deliveroo und UberEats vermitteln von Restaurants oder Geschäften zu Kurieren und Kunden.
  3. Mikroaufträge: Plattformen wie Amazon Mechanical Turk bieten kleine Aufgaben an, wie das Markieren von Bildern oder das Ausfüllen von Umfragen.
  4. Freelancer-Plattformen: Websites wie Upwork und Freelancer.com vermitteln Projekte in Bereichen wie Grafikdesign, Softwareentwicklung und Übersetzung.

Beschäftigungsfeld "Plattformarbeit" ohne Arbeitsmarktstatistik

Das macht es auch so schwierig einen genauen Überblick über das Ausmaß dieser neuen Arbeitsform zu bekommen. Zu allem Überfluss existiert auf dem Beschäftigungsfeld "Plattformarbeit" keine Arbeitsmarktstatistik. Weder die EU noch die Nationalstaaten ermitteln Daten.

Dass Versuche, den Sektor zu regulieren, unter solchen Bedingungen scheitern, kann nicht wirklich überraschen. Um Probleme erfolgreich angehen zu können, müssen diese erst einmal sichtbar werden. Dennoch hat die EU nun ein Gesetz zu Plattformarbeit verabschiedet.

Nach langem Ringen und gegen die Stimmen von Frankreich und Deutschland wurde eine entschärfte Version des Gesetzes beschlossen. In Deutschland hatte natürlich die FDP das "Ja" der Bundesregierung verhindert. Jetzt hat Berlin zwei Jahre Zeit, die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen.

FDP legt sich quer

Das Gesetz sollte eigentlich Plattformarbeiter mit normalen Angestellten gleichstellen. Sie sollten vor allem Anspruch auf Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erhalten. Um sich vor den entsprechenden Arbeitgeberzahlungen auch künftig zu schützen, müssen die Plattformen ab jetzt belegen, dass sie vermittelten Dienstleister nicht wie Festangestellte kontrollieren.

Allerdings wird es dafür keinen einheitlichen europäischen Kriterienkatalog geben. Basis bleiben – wie bei fast anderen Aspekten der Plattformarbeit, bei denen es Regelungsbedarf gäbe – die nationalen Gesetze. Geregelt wurde lediglich, dass kein Plattformarbeiter nur auf Grundlage der Entscheidung eines Computeralgorithmus entlassen werden darf. Ein Mensch muss hier das letzte Wort haben.

Die Plattformen müssen ihre Mitarbeiter außerdem darüber informieren, welche Rolle Algorithmen im Unternehmen spielen – etwa bei der Vergabe von Aufträgen oder Aufgaben. Zudem sollen die persönlichen Daten der Plattformarbeiter besser geschützt werden.

Miserable Arbeitsbedingungen bleiben bestehen

Damit bleiben die miserablen Arbeitsbedingungen für Plattformarbeiter bestehen. Ein Blick auf die Fahrrad-Lieferdienste zeigt die vielfältigen Probleme:

  1. Die Fahrerinnen und Fahrer müssen ihre Arbeits- und Kommunikationsmittel i.d.R. selbst anschaffen, pflegen, instand halten und ersetzen.
  2. Sofern es Arbeitsverträge gibt, sind diese grundsätzlich sachgrundlos befristet.
  3. Wer keinen Arbeitsvertrag ergattert hat, schafft als Solo-Selbständiger. Damit entfällt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, von einem Anspruch auf Urlaub ganz zu schweigen, und eine betriebliche Interessenvertretung wird unmöglich.

Zum Vergleich: Für die rund 7.000 Beschäftigten von Lieferando in Deutschland fordert die Gewerkschaft Nahrung, Genussmittel und Gaststätten (NGG) den Abschluss eines Tarifvertrags mit folgenden Rahmenbedingungen:

  1. einen Stundenlohn von mindestens 15 Euro als Einstieg
  2. sechs Wochen bezahlter Urlaub pro Jahr
  3. Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Feiertagszuschläge
  4. bezahlte Heimfahrt vom letzten Kunden nach Hause
  5. 50 Cent Kilometerpauschale für Autofahrer*innen

In der EU sind rund 500 digitale Arbeitsplattformen tätig, in Deutschland etwa 65. Die Einnahmen in der Plattformwirtschaft in der EU sind zwischen 2016 und 2020 beinahe auf das Fünffache, von schätzungsweise drei Milliarden auf etwa 14 Milliarden Euro gestiegen

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