Politikwissenschaftler fordert Debatte über deutsche Atombombe

Christian Hacke sieht Zwang zur atomaren Aufrüstung. Europäische Nuklearstreitmacht sei illusorisch. Vor allem aber gebe es ein Problem in den USA.

Der emeritierte Politikwissenschaftler Christian Hacke, zuletzt Lehrstuhlinhaber an der Universität Bonn und davor an der Universität der Bundeswehr, hat sich für eine Debatte über die nukleare Bewaffnung Deutschlands ausgesprochen.

Im Interview mit der Berliner Zeitung bezeichnete er die Idee einer gesamteuropäischen Nuklearstreitmacht als illusorisch; auch das Streben nach einer atomwaffenfreien Welt sei unrealistisch.

Politische Klasse wirkt realitätsfremd

Zugleich kritisierte Hacke die politische Klasse Deutschlands, die seiner Meinung nach realitätsfremde Maximalforderungen stellt. Er bezieht sich dabei auf die Ukraine-Krise und die Haltung gegenüber Donald Trump. Er bemängelt, dass die derzeitigen politischen Eliten naiv seien, insbesondere in Bezug auf den Ukrainekrieg. Hacke dazu:

Die alten politischen Eliten bis zur Ära Kohl wussten zumeist aus eigener Kriegserfahrung um die Fragilität und vor allem um die Grenzen militärischer Macht. Für sie waren Maß und Mitte entscheidend. Pragmatismus und Vorsicht waren für ihr Handeln charakteristisch. Heute dagegen scheinen die demokratischen Eliten naiv-draufgängerisch, ja geradezu moralisch entfesselt, wenn sie mit Blick auf den Ukraine-Krieg Allmachtsfantasien entwickeln.

Als könnten wir unsere Werte und unsere Ordnungsvorstellungen sogar militärisch gegenüber einer Atommacht durchsetzen. Dieser brutale Diktator (Anm. d. Red.: Wladimir Putin) führt den Krieg rücksichtslos und unter Einsatz aller Mittel. Wir sind realitätsblind, wenn wir glauben, dass dieser Krieg gewonnen werden kann.

Christian Hacke

Zweifel an der Zuverlässigkeit der US-Nukleargarantie

Hacke äußert Zweifel an der Zuverlässigkeit der amerikanischen Nukleargarantie, vornehmlich unter der Führung von Donald Trump. Er sieht Trump als Vertreter eines isolationistischen und protektionistischen Amerikas, das in erster Linie nationale Machtpolitik betreibt.

Hacke befürchtet, dass Trump die USA in eine populistische Demokratie oder eine "Demokratur" verwandeln könnte.

Deutschland als nukleare Macht?

Der Politikwissenschaftler plädiert daher dafür, dass Deutschland eine nukleare Macht werden sollte, falls die US-amerikanische Garantie weiter schwinden sollte und die europäischen Varianten sich als illusorisch erweisen. Er argumentiert, dass eine deutsche Atommacht die freiheitlich-demokratische Staatenwelt stärken würde:

Ich wähle einen Begriff meines Vorgängers an der Uni Bonn, Hans-Peter Schwarz: Deutschland ist die Zentralmacht Europas. Und als Zentralmacht und gewissermaßen schlagendes Herz muss Deutschland stark sein. Die deutsche Nuklearstreitmacht würde den Westen stärken.

Christian Hacke

Erinnerung an Konrad Adenauer

Hacke erinnert in dem Interview auch an den ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Der CDU-Politiker habe auch aufgrund seiner Erfahrung ein herausragendes Gespür für kommende Gefahren besessen.

Adenauer habe darauf bestanden, dass der deutsche Verzicht auf Atomwaffen nicht für alle Ewigkeit gelten dürfe. Hacke sieht in Adenauers Worten heute mehr Gültigkeit denn je.

Veränderte politische Landschaft

Der Politologe merkt auch an, dass sich die Reaktion auf seine Forderung nach einer deutschen Atomstreitmacht in den letzten sechs Jahren verändert hat. Während er anfangs auf Unverständnis stieß, sieht er heute, dass die Diskussion überfällig ist.

Er kritisiert jedoch, dass die Politiker sich noch immer bedeckt halten und das Thema nukleare Bewaffnung nach dem Motto der drei Affen negieren: nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen.

Blick auf künftige Bedrohungen

Der Politikwissenschaftler warnt vor den diffusen und wachsenden Bedrohungen, die an allen Ecken und Enden der Welt auftreten und eines Tages die Sicherheit Deutschlands gefährden könnten. Er fordert eine angemessene Debattenkultur über militärstrategische Fragen und plädiert für einen realistischen und vorurteilsfreien Ansatz:

Aber wer den Krieg oder gar den Nuklearkrieg verhindern will, muss glaubhaft abschrecken können. Voraussetzung dafür ist eine angemessene Debattenkultur über militärstrategische Fragen, nicht mit Schaum vor dem Mund und Global-Zero-Idealen, sondern realistisch und vorurteilsfrei. Weil aber der Pazifismus bei uns besonders stark entwickelt ist, erschwert diese Einstellung den Willen zur Selbstbehauptung.

Christian Hacke

Gegenwärtig genüge wohl die Palastwache des Buckingham Palace, um Deutschland zu überrennen, so Hackes ironische Schlussfolgerung.