UNRWA und Co: Netanjahus Krieg gegen die Wahrheit

Seite 2: 40 Babys getötet, enthauptet, an Wäscheleinen aufgehängt

Israels Verteidigungsminister Joaw Gallant erklärte am 9. Oktober: "Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir werden entsprechend handeln." Viele ähnliche Entmenschlichungen der Palästinenser wurden von israelischen Regierungsvertretern und Offiziellen in Folge geäußert. Zugleich wurde propagiert, dass es in Gaza keine Zivilisten, keine Unschuldigen gebe, obwohl fast 50 Prozent der Bewohner dort Kinder und Jugendliche sind.

Drei Tage nach dem Angriff organisierte das israelische Militär eine Tour für Journalisten durch einen betroffenen Kibbutz. IDF-Beamte verbreiteten dabei Gerüchte, dass bis zu 40 Babys von der Hamas ermordet und einige von ihnen enthauptet worden seien. Die Babys seien an Wäscheleinen aufgehängt worden.

Es gibt jedoch ein Problem mit den erschütternden Erzählungen, die als Rechtfertigung für Israels unterschiedsloses Bombardieren von Gaza dienen sollten, wie The Intercept in seinen Recherchen feststellt: Sie sind entweder frei erfunden oder wurden nicht mit einem Hauch an Beweisen untermauert. Viele wurden von den großen israelischen Medien widerlegt.

Es gab danach keine Massenenthauptungen von Babys, keine Gruppenexekutionen in einem Kinderzimmer, keine an Wäscheleinen aufgehängten Kinder, keine in Öfen gesteckte Säuglinge. Keiner schwangeren Frau wurde der Bauch aufgeschnitten und der Fötus vor ihren Augen sowie denen ihrer anderen Kinder erstochen.

Biden-Regierung verbreitet Gerüchte weiter

Laut den großen israelischen Medien, die unablässig daran gearbeitet haben, alle Opfer der Anschläge vom 7. Oktober zu identifizieren, wurde an jenem Tag ein Kleinkind getötet: die neun Monate alte Mila Cohen, die im Kibbutz Be'eri erschossen wurde, als ihre Mutter sie im Arm hielt. Scahill stellt fest:

Die Geschichten sind frei erfunden, eine Reihe dreister Lügen, die als Waffe eingesetzt werden, um die Art von kollektiver Wut zu erzeugen, die zur Rechtfertigung von Unrecht verwendet wird.

Doch US-Präsident Joe Biden sowie US-Außenminister Antony Blinken übernahmen die Gerüchte von enthaupteten Babys in ihren öffentlichen Statements, verbreiteten sie weltweit und verliehen ihnen damit Autorität, selbst dann noch, als das Weiße Haus erklären musste, dass Biden, wie er behauptet hatte, keine dementsprechenden Fotos gesehen habe.

Die Vergewaltigungsmaschine der Hamas

Auch eine andere Hasbara-Kampagne Netanjahus ist bisher nicht belegt worden. Danach soll die Hamas eine Operation gestartet haben, jüdische Frauen systematisch zu vergewaltigen.

Diese Anschuldigungen wurden direkt nach dem Angriff vom 7. Oktober verbreitet, übernommen insbesondere von konservativen Medien und Politikern in Israels Unterstützerstaaten. Der israelische Regierungssprecher Eylon Levy sprach schließlich von einer "Vergewaltigungsmaschine der Hamas".

"Ich sage den Frauenrechtsorganisationen, den Menschenrechtsorganisationen, ihr habt von der Vergewaltigung israelischer Frauen gehört, von schrecklichen Gräueltaten, von sexueller Verstümmelung? Wo zum Teufel seid ihr?" sagte Netanjahu am 5. Dezember in einer Rede in Tel Aviv.

Biden erklärte. "Die Welt kann nicht einfach wegschauen.

Bisher keine glaubwürdigen Belege

Sicherlich ist es sehr schwer, gerade in Kriegen, in denen sexualisierte Gewalt häufig vorkommt, Vorwürfe von Vergewaltigungen zu untersuchen. Solche Anschuldigungen sind ernst zu nehmen und ihnen muss nachgegangen werden.

Aber es wurden ja nicht nur konkrete Vorwürfe erhoben. Vielmehr behauptete man, dass organisierte Massenvergewaltigungen ein zentraler Bestandteil einer über Jahre hinweg akribisch geplanten Operation der Hamas und anderer palästinensischen Akteure waren.

Für diese Anschuldigung gibt es jedoch keine glaubwürdigen Belege, wie The Intercept feststellt. Militär- oder Rettungskräfte, die von Anzeichen möglicher sexualisierter Übergriffen sprachen, sagten selbst, dass sie über keine forensische Expertise verfügen.

Am 28. Dezember veröffentlichte die New York Times eine Story, die sofort zur Top-Nachricht wurde und angeblich eine weit verbreitete, von der Hamas orchestrierte Kampagne sexueller Gewalt dokumentierte. Diese Geschichte wurde einer intensiven Prüfung unterzogen, auch innerhalb der Times-Redaktion.

Dabei kam heraus, dass die Zeitung scheinbar Ereignisse fabrizierte. So bestritt die Familie von Gal Abdush, deren angebliche Vergewaltigung im Mittelpunkt des Times-Artikels stand, die in dem Artikel aufgestellte Behauptung, sie sei vergewaltigt worden. Andere Medien verwiesen auf Inkonsistenzen in der Geschichte.

Journalisten und Israel-Kritiker als Hamas-Komplizen

Die Netanjahu-Regierung war auch sehr erfolgreich damit, Narrative zu verbreiten, die jeden, der die Palästinenser in Gaza mit humanitärer Hilfe unterstützte, über ihr Leid berichtete und das Vorgehen der israelischen Regierung kritisierte, zu Hamas-Komplizen, Hamas-Verstehern und Antisemiten zu erklären.

Da man die Hamas mit diversen Geschichten, die von den westlichen Medien meist unkritisch verbreitet wurden (und damit als Schmutzkampagne wirken konnten), längst mit diversen Hasbara-Offensiven zu Monstern gemacht hatte, funktionierte die "Kontaktschuld"-Strategie umso effektiver.

Journalisten, die aus dem Gazastreifen berichten, wurden zu Hamas-Komplizen (viele von ihnen wurden von den israelischen Streitkräften getötet, trotz Kenntlichmachung als Pressevertreter). Hilfskonvois wurden attackiert und Gerüchte zirkulierten, dass sie mit der Hamas kooperieren. Krankenhäuser wurden zu Hamas-Zentralen erklärt und bombardiert.

Die Strategie hinter all den Narrativen, Behauptungen und Gerüchten ist, wie es The Intercept auf den Punkt bringt, kaum zu übersehen: Wer sich Israels Krieg widersetzt, ist antisemitisch. Wer seine Behauptungen über die Ereignisse vom 7. Oktober infrage stellt, leugnet den Holocaust. Wer gegen die Massentötung palästinensischer Zivilisten protestiert, macht sich zum Handlanger der Hamas.

Krieg gegen Wahrheit und Pyrrhussiege

In den USA und Deutschland hat das gewirkt. Die Antisemitismus-Maschine läuft auf Hochtouren. Das bekommen die Studierenden von Elite-Universitäten in den USA, Künstler, Journalisten und Bewegungen, die sich kritisch zu Israels Krieg und Besatzungspolitik äußern, überall in westlichen Ländern seit Monaten deutlich zu spüren.

Netanjahus Krieg gegen die Wahrheit, die damit verbundene Ablenkung von israelischen Verbrechen sowie seiner gefährlichen Eskalationsstrategie im Nahen Osten, hat Siege davongetragen. Israel wird weiter vor einem Waffenstillstand geschützt und droht nun, in die letzte verbliebene Schutzzone für die Gaza-Bewohner, im südlichen Rafah, einzumarschieren.

Doch der steigende Widerstand gegen die Fortführung des Gaza-Kriegs in vielen Ländern und der Ansehensverlust Israels weltweit zeigen auch, dass es am Ende Pyrrhussiege gewesen sein könnten.

Am Ende kommt die Wahrheit, spätestens nach dem Krieg, ans Licht. Aber dann ist der Schaden bereits angerichtet.