"Viele Leute warten nur darauf, dass wieder ein bisschen Rassismus erlaubt wird"

Ein Gespräch mit Spike Lee

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"It's Showtime", der neuste Film des schwarzen US-Regisseurs Spike Lee, verknüpft scharfe Mediensatire mit einer Motivgeschichte des Rassismus. Im Zentrum ein schwarzer Fernsehproducer, der täglich unsere "Idiot-Box" füllt. Um die Quoten heraufzutreiben, belebt er die rassistischen Minstrel-Shows aus dem 19.Jahrhundert im TV-Format des 21.ten neu. Rassismus ist hier wieder erlaubt, weil er beim weißen wie schwarzen Publikum zum "Kult" geworden ist, weil die Sendung "so schlecht ist, dass sie schon wieder gut ist." "Wer will heute schon pc sein?" fragt Delacroix' Chef, und deckt damit gerade die Schwachstelle denjenigen auf, die glauben, moralische Reflexion nicht nötig zu haben, weil sie ja allemal auf der sicheren Seite stehen. Scharfe Satire und bissige Ironie prägen den Film, so bissig, dass ihn einige von Vertreter von US-Schwarzenverbänden, aber auch deutsche Kritiker während der Berlinale ganz ernst nahmen. "Menschen zahlen für das, was sie tun, und noch mehr für das, was sie sich erlaubt haben, zu werden." - Lee zeigt im persönlichen Selbstverrat Delacroix' auch den Selbstverrat von Teilen der schwarzen Kultur. Denn neben den Minstrel-Shows gibt es auch all die Komiker, die bis in die Gegenwart - von Eddie Murphy bis Whoopi Goldberg oder auch Will Smith - den "lustigen Neger" geben, den schwarzen Rapper mit Sonnenbrille, der irgendwie cool, meistens witzig und jedenfalls nie ernst zu nehmen ist. Zu den interessantesten, auch beklemmendsten Szenen gehören dabei Passagen, in denen Lee Motive und Ausschnitte aus Film, Fernsehen und Comic zusammenschneidet, die zahllosen Kellner und Zimmermädchen, Sänger und Musiker des Hollywood-Films, deren Dialoge vor allem aus "Yes Massa" und "Yes Ma'am" bestehen, aber auch ein Bing Crosby und eine Judy Garland, die schwarz geschminkt das "typisch Schwarze" imitiert - rassistische Stereotypen allesamt. Man sieht nach diesem Film Schwarze im - auch zeitgenössischen - Kino mit anderen Augen.

Im Zentrum Ihres Film steht ein schwarzer TV-Producer. Das ist einer der Top-Jobs in eines TV-Senders. Wieviele Schwarze gibt es überhaupt in dieser Position in den USA?

Lee: Nicht viele jedenfalls. Und die wirklichen Entscheider sind überhaupt keine Schwarzen. Die die die Bilder bestimmen, sind weiß. Aber ich kenne Typen, wie diese, die Schwarze sind, aber sich wie Weiße verhalten, und mit gutem Gewissen gar nicht begreifen, was sie tun. Die ihre Seele verkaufen. Und ich kenne auch solche Weißen, wie seinen Chef, weiße, die einem ins Gesicht sagen: "ich weiß mehr über Schwarze, als Du!". Quentin Tarantino hat mir das gesagt, weil er die Blaxploitation-Filme zitiert hat.

Was haben Sie geantwortet?

Lee: Ich habe gelacht. Sorry, Mr.Tarantino, aber das sind nur Filme. [Lacht]

Fühlen Sie sich als Kulturpessimist?

Lee: Wenn ich ans Fernsehen denke, schon. Schauen Sie sich doch an, was da passiert: Es kommt nur Mist, und es wird immer schlimmer. Unglaublich! [Lacht]

"It's Showtime" ist eine Satire. Wovon haben Sie sich diesmal inspirieren lassen?

Lee: Mel Brooks war eine wichtige Quelle. Er hat 1967 eine Komödie ("Frühling für Hitler") gedreht, in der Juden, die versuchen, mit einem garantierten Broadway-Musical-Flop Geld zu gewinnen - "Hitler on Ice". Total geschmacklos, aber sie wird wider Erwarten ein Erfolg.

Würde eine Show wie die, die Sie beschreiben, im heutigen Amerika Erfolg haben?

Lee: Sie wäre ein Hit.

Warum?

Lee: Weil viele Leute nur darauf warten, dass wieder ein bisschen Rassismus erlaubt wird. Das sind heimliche Bedürfnisse, die wollen sich Luft machen. Weil diese Show nicht ernsthaft auf Aufklärung hinaus will, weil sie in ihrer Menschenverachtung allen die Möglichkeit gibt, Verantwortung und ohne alle Gewissensbisse, öffentlich erlaubt über Afroamerikaner zu lachen.

Sind sie froh, dass solche Bedürfnisse sozial und kulturell unterdrückt werden, dass sie nicht freigelassen werden?

Lee: Ich bin gegen Zensur aller Art. Die heimlich, auch unbewussten rassistischen Bedürfnisse - aber sie können auch die Unterdrückung der Frau als Beispiel nehmen -, sind ebenso kulturell bedingt, wie ihre Unterdrückung. Beides hat den gleichen Ursprung. Man darf etwas aber nicht unterdrücken, bloß weil es nicht nett ist. In Amerika gibt es Schulen, an denen "Huckleberry Finn" verboten ist, weil das Wort "Nigger" vorkommt. Das ist doch krank. Das ist eines der großen Werke der amerikanischen Literatur. Die Filmfirmen zensieren jetzt ihre Archive, schneiden Szenen aus Filmen heraus, oder sperren sie. Zum Beispiel verweigerte mir Warner Bros die Senderechte für eine rassistische Bugs-Bunny-Passage. Wie feige! Aber es ist nicht damit getan, die entsprechenden Szenen aus Judy Garlands Film herauszuschneiden, als ob das alles nie geschehen wäre. Ich glaube daran nicht. Man darf Dinge nicht verbieten, nur weil sie wehtun. Wir müssen uns damit auseinander setzen, daraus lernen.

Auch "It's Showtime" ist ein Film mit pädagogischen Elementen. Was können wir aus ihm lernen? Wird er etwas verändern?

Lee: Lernen sollten die Leute aus den Filmen natürlich vor allem, dass diese schlimmen Dinge nicht wieder passieren, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Leute sollten die Geschichte kennen, das ist das Wichtigste. Was er verändern wird? [Lacht] Null. Bloß wegen Spike Lee wird Amerika sich nicht ändern. Vielleicht provoziert der Film ein paar Diskussionen. Mit rassistischen Stereotypen muss man sich in der Familie auseinander setzen, mit seinen Kindern.

In Amerika hat der Film viel Wirbel verursacht. "umgekehrten Rassismus" warf man Ihnen vor. Was erwarten Sie sich vom europäischen Publikum?

Lee: Es gibt schon große Unterschiede zwischen Europa und Amerika in der Wahrnehmung meiner Filme. Erfolg heißt für mich auch vor allem, dass die Leute verstehen, was ich will. Das ist von Land zu Land, von Kultur zu Kultur verschieden. Ich habe die Angriffe auf meinen Film nicht verstanden. Ich will nur zeigen, dass an allen Händen Blut klebt.

Wenn das stimmt, wenn es keine Unterschiede mehr gibt, kann das nicht leicht manchen als Entschuldigung dienen?

Lee: Nein. Ich bin nur ehrlich. Ich sage, wie es aussieht. Auch Schwarze sind schuldig.

Aber beispielsweise reden sich die Nazis in Deutschland damit heraus, dass sie sagen: Jedes Land hat seine Nazis. So relativieren sie die Verbrechen.

Lee: Also in die Natzi-Debatte, die Sie in Deutschland führen, mische ich mich nicht ein. [Lacht] Nur geht es hier ja nicht um Relativierung oder Entschuldigung, sondern ums Feststellen von Tatsachen.

Wie sehen Sie Ihre Entwicklung als Regisseur. Manche werfen Ihnen vor, thematisch immer dasselbe zu erzählen. Stilistisch haben Sie sich doch in jedem Fall weiterentwickelt.

Lee: Ich bin besser geworden. Die Geschichte von "It's Showtime" habe ich schon lange im Kopf. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Mir ging es darum eine Komödie zu drehen, bei der die Zuschauer nicht über mich als Schwarzen lachen, sondern mit mir - über den Unsinn dieser Klischees. Bei manchen funktioniert das. Aber einige haben den Film komplett missverstanden. Dabei ist das verrückt. Als ob ich die Bilder geschaffen hätte, die ich zeige!

Nach 20 Jahren als Filmregisseur haben Sie ein Image. Wo sehen Sie sich innerhalb des Black-American-Cinema?

Lee: Das ist nichts, worüber ich nachdenke. Es geht da nicht um Wettbewerb.

Aber andere schwarze Regisseure und Schauspieler haben Sie auch schon öffentlich kritisiert. Etwa John Singleton, Samuel L.Jackson...

Lee: Mit Jackson ist das eine persönliche Geschichte, darüber möchte ich nicht reden. Singleton hat mich nie öffentlich kritisiert. Bloß weil er ganz andere Filme macht, ist das keine Kritik. Er ist ein anderer Mensch. Steven Spielberg macht auch nicht die gleichen Filme wie Woody Allen. Insofern ist das mit dem "Black Cinema" sowieso ein Mythos. "Die schwarzen" sind kein monolithischer Block. Er hat seine eigenen Sichtweise.

Ich dachte immer, "Black Cinema" meinte auch eine politische Position.

Lee: Na, wenn Sie das glauben, möchte ich nicht versuchen, Ihre Meinung zu ändern. [Lacht]