Widersprüchliches aus Frankreich

Während Yahoo wegen Auktionsangeboten mit Nazi-Objekten verurteilt wurde, wies ein anderes Gericht jetzt eine Klage gegen einen französischen Provider wegen einer Neonazi-Seite ab

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Aus Frankreich kommt Widersprüchliches, was die Verantwortung der Internetprovider im Internet angeht. Am Monat hatte ein Gericht in Paris Yahoo für schuldig befunden (Französischer Richter verurteilt Yahoo), weil auf dem Auktionsangebot auch Nazi-Gegenstände zum Verkauf angeboten wurden, was in Frankreich verboten sei und das "kollektive Gedächtnis" verletzte. Am Mittwoch hat jetzt ein Gericht in Nanterre die Klage abgewiesen, den Provider Multimania wegen mangelnder Sorgfaltspflicht zu bestrafen, weil er einem Benutzer die Möglichkeit gegeben hatte, zeitweise eine neo-nazistische Website ins Netz zu stellen.

Neben der Ligue contre le racisme et l'antisemitisme (Licra) hatte die Union der jüdischen Studenten in Frankreich (UEJF) die Klage gegen Yahoo eingereicht. Die UEJF ist auch der Kläger im Fall Multimania. Die Strategie scheint zu sein, durch eine Vielzahl von Klagen in Frankreich eine Rechtssprechung durchzusetzen, die dazu führt, auch die Provider für Inhalte verantwortlich zu machen. Im französischen Parlament wird überdies ein neues Gesetz diskutiert, das mit der Anonymität im Netz Schluss machen will. Jeder, der im Netz etwas veröffentlicht, das nicht wie eine Email ganz privater Natur ist, muss seine Identität (Name, Adresse) angeben und kann bei falschen Angaben bestraft werden. Sorgt ein Provider nicht für diese Identifizierung, kann er selbst entsprechend strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Yahoo muss innerhalb von zwei Monaten wieder vor Gericht erscheinen und darlegen, wie das Unternehmen französische Besucher vom Aufsuchen der inkriminierten Inhalte abhalten kann. Das französische Gericht also fordert von der amerikanischen Firma Yahoo, Internetbenutzer, die aus Frankreich auf die Website zugreifen, zu blockieren und daher Ländergrenzen in das Angebot einzuführen. Unabhängig davon, dass der Sitz des Unternehmens sich in den USA befindet und Yahoo sich auf die dortige Verfassung beruft, hat das Unternehmen nach Ansicht des Richters das in Frankreich geltende Recht verletzt: "Indem Yahoo die Darstellung der Site in Frankreich zulässt, verstößt es auf französischem Territorium gegen das Gesetz, selbst wenn dies nicht beabsichtigt ist."

Marc Levy, der Rechtsanwalt von Licra, freute sich über das bedenkliche Urteil: "Es ist jetzt Schluss mit der Extraterritorialistät, die im Internet vorherrscht hat. Man kann das französische Gesetz nicht mehr von der Anwendung unter dem Vorbehalt abhalten, dass das Internet ein neues Medium ist." Man habe sich Yahoo ausgewählt, weil es ein großes Internetunternehmen ist und man an diesem eine prinzipielle Entscheidung statuieren wollte: "Wir werden jetzt alle großen Site und die Provider kontaktieren, um sie aufzufordern, mit der Rechtssprechung übereinzustimmen."

Yahoo ist andererseits von diesem Urteil beunruhigt, denn es fürchtet, dass jetzt auch Richter aus anderen Ländern kommen und verlangen könnten, dass die Inhalte jeweils den juristischen Regeln des Landes angepasst werden müssen. So könne ein arabisches Land von einem französischen Provider fordern, die Bürger des Landes nicht auf die Satanischen Verse von Rushdie zugreifen zu lassen. Möglichkeiten, wie sich das Netz reterritorialisieren ließe, gäbe es in der Tat viele. "Ein solches Eingreifen der Justiz auf der internationalen Ebene", so Christophe Pecnard, Rechtsberater von Yahoo, "stellt eine Gefährdung für die weitere Entwicklung des Internet in Frankreich und überall auf der Welt dar."

Auch wenn der Fall Multimania anders gelagert war, scheint der Richter in Nanterre nichts von einer totalen Verantwortung des Providers für Inhalte zu halten, die Kunden ohne sein Wissen ins Netz stellen. Die UEJF hatte Multimania mangelnde Kontrolle vorgeworfen und sich überdies beschwert, dass Provider nicht die Identität von Kunden einholen müssen, die ihre Dienste wie kostenlose Websites oder Email in Anspruch nehmen. Kurz nach der Klage konnte Multimania feststellen, dass es sich bei dem Kunden um einen 16jährigen Jugendlichen gehandelt hatte. Dieser hatte kurzzeitig anonym eine Webseite mit dem Namen NSDAP und mit rassistischen Texten, beispielsweise Auszügen aus "Mein Kampf", ins Netz gestellt. Nachdem Multimania darauf hingewiesen wurde, schloss man am 17.2. die Seite, worauf sie der Jugendliche jedoch gleich wieder unter einem anderen Namen ins Web stellte. Am 18.2. war sie dann endgültig von Multimania verschwunden.

Die USJF führte an, dass die Verantwortlichen von Multimania durch eine ganz einfache Suche mit Schlüsselwörtern wie Nazi, Jude oder NSDAP solche Seiten finden und schließen könne. UEJF forderte in der Klage, dass die Provider rechtlich dazu gezwungen werden müssten, die Inhalte der Webseiten auf ihren Servern zu kontrollen, da "die technischen Mittel, die wirkliche Identität derjenigen zu überprüfen, die mit Multimania einen Vertrag eingehen, bestehen." Multimania entgegnete, man habe diese Mittel nicht, und wies darauf hin, dass die Eingabe der Suchbegriffe "Nazi" und "Jude" 3737 bzw. 5290 Ergebnisse gebracht habe, die man unmöglich alle überprüfen könne. Überdies sei nicht vorauszusetzen, dass jeder die Bedeutung der Abkürzung NSDAP kenne. Man sei erst auf die Bedeutung dieser Abkürzung gestoßen, nachdem man auf die Seite hingewiesen wurde. Die UEJF forderte Multimania auf, keine Prozesse zu führen, sondern dem Provider zu helfen, rassistische Webseiten zu finden und zu entfernen.

Der Richter machte sich die Argumentation von Multimania weitgehend zu eigen. Er habe keine Beweise dafür erhalten, dass es die technischen Mittel für die geforderte Kontrolle gibt, und er gestand Multimania zu, nicht erkannt zu haben, was die Abkürzung NSDAP bedeutet. Das freilich ist für die UEJF ein gefundenes Fressen. Ygal el Harrar, der Präsident des Verbands, erklärte, man sei "zutiefst schockiert und enttäuscht" über das Gerichtsurteil. Das Gericht habe die Abkürzung der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands (NSDAP) als einen "kulturellen Spezialbegriff" betrachtet: "Wenn 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg der Name der Nazipartei keine Erinerung mehr hervorruft, was wird dann erst in 50 Jahren sein?" Der Gang in das Vergessen habe bereits begonnen. Kritisiert wird auch, dass Multimania keinerlei Verpflichtungen auferlegt wurden, in Zukunft dafür zu sorgen, dass keine Nazi-Seiten ins Netz gestellt werden können.