Will Ihr Kind schon Sex?

US-Pädiater können aus Facebook & Co. die Intention zu Sex herauslesen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wer selbst pubertierende Kinder hat, weiß, wie ermüdend Gespräche ablaufen können - gleichmütige Antworten wie „gut“ oder „ja“ scheinen ab einem bestimmten Alter zum Standard zu gehören. Das ist vor allem für all die Mütter und Väter deprimierend, die sich bisher über ihre frei von der Leber weg berichtenden Kinder gefreut hatten, die gern Anteil nahmen an ihrem Leben. Aber richtig - die Abkopplung von den Eltern gehört zum Erwachsenwerden, und sie ist ein Prozess, in dem man auch einmal die Extreme austesten muss, bevor man sich irgendwann vielleicht wieder eines gesunden Mittelmaßes bedient.

Das Bedürfnis jedoch, auch intime Geheimnisse mit jemandem zu teilen, das schwindet in dieser Phase keineswegs. Früher traf man sich auf Parkbänken mit der Peergroup, weil es die Parkbänke der heutigen Zeit noch nicht gab, die da etwa Facebook, SchuelerVZ oder MySpace heißen. Hier hängt man ohne lästige Beobachtung durch Erwachsene ab - und gibt gern auch erstaunlich intime Details preis. Amerikanische Kinderärzte haben dazu schon 2009 eine Studie in den Archives of Pediatrics publiziert, die diese Tatsache anhand des im Studienzeitraum (Ende 2007) noch sehr populären Dienstes MySpace untersucht.

Die Forscher hatten damals 500 MySpace-Profile von Usern zufällig ausgewählt, die sich selbst als 18-jährig bezeichneten. Über die Hälfte dieser Profile enthielten Berichte über etwas, das die Wissenschaftler als Risikoverhalten zusammenfassten. Fast ein Viertel bezog sich auf sexuelles Verhalten, über 40 Prozent berichteten vom Gebrauch von Drogen, und immerhin knapp 15 Prozent referenzierten auch Gewalt. Dabei stellten die Forscher klare Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Usern fest - weibliche Profile enthielten nur etwa ein Drittel der sich auf Risikoverhalten beziehenden Angaben. Hatte hingegen ein User seine sexuelle Orientierung anders als mit „straight“ angegeben, verriet sein Profil mit höherer Wahrscheinlichkeit auch etwas in Sachen Sex. MySpace-Profile wiederum, die Bezug auf Kirche und Glauben nahmen, zeigten sich insgesamt deutlich braver als im Mittel.

Doch was sagt das über unsere erwachsen werdenden Kinder, außer dass sie zur Privacy im Web ein, sagen wir, entspanntes Verhältnis haben? Auf einem Kinderärzte-Kongress in Kanada stellen die Verfasser der MySpace-Studie derzeit eine noch nicht publizierte Nachfolge-Studie vor, die sich mit Facebook befasst (das MySpace mittlerweile ja als beliebteste Social-Networking-Site abgelöst hat). Diesmal suchten die Forscher auf dem Zufallsweg College-Anfänger heraus, die in ihren Profilen entweder sexuelle Referenzen enthielten oder nicht. Diese Facebook-User wurden nun zusätzlich mit einem standardisierten Test befragt, der unter anderem die Intention zu tatsächlichem Geschlechtsverkehr ermittelt.

Das Ergebnis: der alte Spruch von den Hunden, die nur bellen, statt zu beißen, der gilt hier offenbar nicht. Wer in seinem Profil sexuelle Anspielungen machte, hatte auch stärkeres Interesse an Sex im Real Life. Unterschiede bei den sexuellen Erfahrungen konnten die Forscher hingegen nicht ausmachen. Sollen Eltern sich nun also die Web-Profile ihrer Sprösslinge auf verfängliche Daten ansehen? Nein, den Wissenschaftlern geht es eher um den Bildungs-Effekt. Via Facebook, meinen sie, ließen sich leicht Heranwachsende identifizieren, die von gezielter Sexualkunde-Nachhilfe profitieren würden.