Alles faken

Neben der Spur

So viel kann ein Mensch gar nicht erleben, dass er immer damit auf Facebook brilliert. Muss er auch gar nicht

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Gut, zugegeben, alles fing mit diesem langweiligen Abend in Amsterdam an. Nicht dass es an den Leuten gelegen hätte, und schon gar nicht an der Stadt. Wir waren einfach müde. Den ganzen Tag über in einem klimatisierten Raum mit wenig Tageslicht gesessen, nur den Blick auf Slides und auf die Laptops der anderen. Und dann am Abend ist die Luft einfach ein wenig raus. Will heißen: Wir waren müde. Aber wenn man schon einmal alle beieinander hat und alle wahrhaftig und zum Schulterklopfen neben einem sitzen (anstatt nur in Videokonferenzen zuzuwinken), dann muss man schon einen losmachen.

Also Abendessen in der Altstadt. Irgendetwas mit Original Holländisch. Also Kartoffelbrei mit Gemüse, Fleischbällchen und dicker Soße. Dementsprechend sank der Blutzuckerlevel wegen einsetzender Verdauung erst einmal auf Null. Und die wilde Nacht in der noch wilderen Stadt entpuppte sich als Abend auf einem Sofa im ersten Stock eines Klinkerhauses, an dem alle davon mühevoll erzählten, wie wild sie doch seien … bevor sie vornüber auf die Teller sanken. Und dabei war es erst 20:23 Uhr. Um 21:16 Uhr nahmen die ersten mit "Ich muss noch meine Mails machen" Taxis zurück ins Hotel. So konnte das ja nichts werden.

Also (inzwischen war es grandiose 21:34 Uhr spät) hatte unserer Brite im Team die rettende Idee. Wir gehen einfach 50 Meter und faken mit drei bis vier Aufnahmen auf Facebook einen wilden Abend voller Drogen und anderer Wahnsinnsdinge, damit am nächsten Morgen die schon ins Bett gegangenen diese unglaublichen Erlebnisse auf Facebook finden und uns als Helden einstufen konnten.

Also schnell aus dem Lokal, eine Seitenstraße zum nächsten Coffeeshop weiter. Sich rasch vor einen Abfallkübel gestellt, so als müsste man sich übergeben (haha, Superfoto) und einen Zugekifften vor dem Coffee Shop gemimt (21:56 Uhr), dann ab ins Taxi und heim. Per scheduled Post gingen die Bilder dann um 02:34 Uhr auf den Server. Helden des Alltags, was haben die anderen morgens uns auf die Schulter geklopft. Eben richtig harte Hunde. Wir konnten nur zustimmen und aßen würdevoll unseren Obstsalat (Katerfrühstück, klar)

Damit liegen wir im Trend, inzwischen sind Ankündigungen von Fakekonzerten auf Facebook nicht ungewöhnlich und gehören auch ein wenig zu guten Ton. Wer will denn noch wirklich nachts nach Mitternacht um die Häuser ziehen und sich die Ohren in einer Konzerthalle durchdröhnen, das will man nicht einmal in Amsterdam.

Eben.

Demnächst werden sicher auch Hochzeiten, Geburtstage und vielleicht auch Trauerfeiern gefaked. Zum einen lassen sich die Aufnahmen dazu in Ruhe vorbereiten und sehen einfach besser aus als Fotos in Echtsituationen. Zum anderen ist eben nur noch echt und real, was auf Facebook auch so aussieht, egal ob es stattfindet oder nicht. Und mit einer fingierten Trauerfeier kommt man auch für einige Wochen davon, weiterhin diesen ganzen Mist der ständigen Partys und Hammerabende zu posten. Nach ein paar Wochen allerdings ist der Tod vergessen, und dann sollte man schon wieder auftauchen. Sonst ist man für seine Follower gestorben, egal, wie sehr man sich mit neuen Hammerevents abstrampelt.