Streit in der spanischen Regierung eskaliert

Hart kritisiert Ex-Ministerpräsident Aznar seinen Nachfolger Rajoy für die Wirtschaftspolitik und fordert Steuersenkungen

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Die spanische Opposition reibt sich wegen des Streits die Hände, der in der regierenden spanischen Volkspartei (PP) immer deutlicher aufbricht. "Die Lage entgleitet ihnen", meinte die Sprecherin der sozialistischen Fraktion im Parlament während der Debatte am Mittwoch im Madrider Kongress. Soraya Rodríguez fügte an: "Die Kritik häuft sich in allen Sektoren, sogar ihr Ehrenpräsident kritisiert sie." Sie warf der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy vor, "immer desorientierter und isolierter" zu sein.

Tatsächlich hatte PP-Ehrenpräsident José María Aznar im Interview mit Antena 3 am Vorabend für Furore gesorgt. Der Ministerpräsident von 1996 bis 2004 forderte Rajoy auf, das Wahlversprechen zu erfüllen und Steuern zu senken, die von ihm aber massiv erhöht wurden. "Sofort müssen die Steuern gesenkt werden", sagte Aznar. "Wir brauchen einen wirtschaftlichen Impuls", fügte er an. Er forderte die Reform eines "überholtes Steuersystems". Statt einer "langandauernden Resignation" müsse "Hoffnung in die Zukunft" geschaffen werden.

Die Regierung Rajoy setzt bisher auf massive Einsparungen im Haushalt und auf Steuererhöhungen, um das Haushaltsdefizit zu senken. Damit brach aber der Konsum ein, Spanien rutschte tief in die Rezession und die Arbeitslosigkeit stieg auf 27 Prozent. Da gleichzeitig viel Geld in die Bankenrettung fließt, erhöhte sich das Haushaltsdefizit sogar 2012 wieder. Konnten die sozialistischen Vorgänger es 2011 leicht auf 9,4 Prozent senken, stieg es wieder auf 10,6 Prozent und Spanien ist Defizit-Spitzenreiter vor Griechenland.

Aznar argumentiert zwar schon fast wie die Sozialisten, hat aber vor allem die "Mittelklasse" im Blick. Sie sei "schwer gestraft" worden, müsse aber mit Steuersenkungen "gepflegt" werden. Er stellt sich an die Seite von Esperanza Aguirre. Die Ultrakonservative trat im vergangenen Herbst vom Posten als Präsidentin der Regionalregierung Madrids zurück und kritisiert Rajoy seither hart. Aguirre hat sich nur temporär in die zweite Reihe zurückgezogen und offenbar bereitet sich auch Aznar auf ein mögliches Comeback vor. Das hat er auf direkte Nachfrage nicht ausgeschlossen. Er werde entsprechend seiner Verantwortlichkeit, seinem Gewissen, seiner Partei und seinem Land handeln. "Ich habe mich vor meiner Verantwortung gedrückt."

Dass auch er Geld vom PP-Schatzmeister aus Schwarzgeldkassen erhalten hat, wies er zurück. Dabei haben Führungsmitglieder der regierenden Volkspartei (PP) wie der Senatspräsident Pío García-Escudero und andere vor dem Ermittlungsrichter Pablo Ruz längst "Sonderzahlungen" in Bargeldumschlägen zugegeben. Dass es eine parallele, handschriftlich geführte Buchführung der Schatzmeister gab, bestreitet ohnehin niemand mehr. Die hatte große Tageszeitung El País im Januar veröffentlicht. Nach den Listen wurde nicht nur Rajoy, sondern auch Aznar ausgiebig bedacht. Dass das korrupte Firmen-Netzwerk, das auch die Schwarzgeldkonten in der Schweiz gespeist hat, die Hochzeit von Aznars Tochter teilweise bezahlt hat, macht Aznar keine Probleme. Das sei eine "normales Hochzeitsgeschenk".

Während man sich in bei den Konservativen einig ist, den Skandal um Schwarzgelder und illegale Parteienfinanzierung klein zu reden, toben heftige Streits nicht nur in der Wirtschaftspolitik. Die Bildungsreform von Bildungsminister José Ignacio Wert konnte erst mit Verspätung letzten Freitag im Kabinett verabschiedet werden, womit Geschlossenheit gezeigt werden sollte. Auch gegen interne Kritik wird der Religionsunterricht wieder aufgewertet und Privatschulen gefördert. Ein schon von der Diktatur abgeschafftes Prüfungssystem und ein neues Bewertungssystem werden eingeführt. Das mit Einschnitten ins Budget und größeren Klassen die Zahl der Schulabbrecher gesenkt werden, hält die Opposition einhellig für unglaubwürdig. Umstritten ist auch, dass Baskisch und Katalanisch zurückgedrängt werden sollen. Wert hatte erklärt, Schüler und Studenten in Katalonien und dem Baskenland "spanischer" machen zu wollen, was dort jeweils als "Angriff" gewertet wird.

Tiefe Gräben reißt die geplante Reform des Abtreibungsrechts. Auf Druck der mächtigen katholischen Kirche und Hardlinern in der PP will Justizminister Alberto Ruiz Gallardón die bisherige Fristenlösung abschaffen. Auf Spanien kommt das härteste Gesetz seit dem Ende der Diktatur zu. Es soll eine Indikationslösung kommen, wobei eine legale Abtreibung auch bei der Missbildung des Fötus nicht mehr möglich sein werde, bestätigte Gallardón am Dienstag im Parlament.

Auch diese Reform sollte längst verabschiedet sein, was bisher unmöglich war. Denn nicht nur die Opposition lehnt sie ab, sie ist auch in der PP schwer umstritten. Die Debatte nimmt zum Teil absurde Züge an. Innenminister Jorge Fernández Díaz verglich Abtreibungen kürzlich sogar mit terroristischen Anschlägen. Die PP-Abgeordnete Beatriz Escudero sagte, Abtreibungen würden vor allem von Frauen "mit geringer Bildung" vorgenommen. Ihr Diskurs nervte die Parlaments-Vizepräsidentin Celia Villalobos derart, dass sie derweil den Saal verließ. Gegen die Fraktionsdisziplin der PP blieb sie auch einer Abstimmung über einen Antrag der Opposition zum Thema fern. Auch der stellverstretende Fraktionssprecher Rafael Hernando hat die Pläne des Justizministers schon mehrfach offen kritisiert.