8,74 Millionen Arten leben (noch) auf der Erde

"Liocarcinus marmoreus", eine Krabbe aus der belgischen Küstenregion. Bild: Hans Hillewaert. Lizenz: CC BY-SA-2.0

Wissenschaftler haben mit einer neuen Methode die Artenvielfalt berechnet

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Bislang gab es nur sehr spekulative Vermutungen darüber, wie viele Arten auf der Erde leben. Die Schätzungen reichten von 3 bis 100 Millionen, klar ist nur, dass die meisten Arten noch gar nicht bekannt sind bzw. beschrieben wurden. Bekannt sind bislang etwa 1,2 Millionen Arten, nur von wenigen Taxa wie Vögeln oder Fischen weiß man es genauer. Dabei soll sich das Artensterben rasant beschleunigen, man spricht von einem vom Menschen verursachten Artensterben, wie es sich nur wenige Male in der Geschichte des Lebens ereignet hat. Doch wenn man nicht weiß, wie viele Arten es gibt, ist es auch kaum möglich, das Ausmaß der Zerstörung der Artenvielfalt zu ermessen.

Nun haben Wissenschaftler im Rahmen des 2010 abgeschlossenen Projekt Census of Marine Life, mit dem mehr als 2.700 Wissenschaftler versuchten, die Vielfalt des Lebens in den Meeren zu erfassen, eine neue Schätzung auf der Grundlage neuer Annahmen vorgelegt. In ihrer Studie, die im Open Access Journal PLoS Biology veröffentlicht wurde, gehen sie von insgesamt 8,74 Millionen Arten, plus/minus 1,3 Millionen, aus. Von diesen sind allerdings 91 Prozent noch nicht entdeckt, beschrieben und katalogisiert. Der Census of Marine Life ging in seiner Schätzung 2010 von etwa einer Million Arten aus. Von den Arten auf dem Land sind 86 Prozent nicht bekannt. Auf der Roten Liste der bedrohten Arten der International Union for the Conservation of Nature sind 59.508, also nur 1 Prozent aller Arten, aufgeführt, davon gelten 19.625 als gefährdet.

Für die Abschätzung gingen die Wissenschaftler von den Verästelungen im pyramidalen Stammbaum des Lebens nach dem von Carl Linnaeus im 18. Jahrhundert geschaffenen System ab. Ausgehend von den bekannten Klassifikationen und Artenzahlen errechneten sie aus den sich von oben nach unten stärker verzweigenden Verästelungen die vermutliche Zahl der jeweiligen Arten bei den weniger oder kaum bekannten Zweigen. Mit der Methode, die Zahl der Arten von der Zahl der höheren taxonomischen Ebenen wie Familien, Ordnungen, Klassen etc. abzuleiten, konnten sie in den gut bekannten Gruppen wie bei den Fischen, Säugetieren oder Vögeln die Zahl der Arten vorhersagen. Schwierig ist die Schätzung bei den Prokaryoten, da hier die Arten genetisch unterschiedlicher sein können als bei Eukaryoten. Zudem findet vielfach ein horizontaler Gentransfer statt, weswegen die Artenbildung länger dauert.

Die Wissenschaftler kommen auf mindestens 10.100 Arten von Bakterien und Archaea, davon 1.320 in den Meeren, es können aber weit mehr sein. Bislang bekannt sind 10.000 Arten. Dier überwiegende Zahl der Eukaryoten sind mit 7,77 Millionen Arten tierische Organismen, davon sind gerade einmal 953.434 bekannt. Pflanzenarten gibt es mit etwa 298.000 überraschend wenige, dafür sind aber 215.644 bekannt. Um die 611.000 Pilz-, 36.400 Protozeen- und 27.500 Chromistenarten soll es geben.

Mitautor Alastair Simpson, ein Biologe von der Dalhousie University in Halifax, Kanada, sagt aufgrund der Ergebnisse: "Wir haben erst begonnen, die unglaubliche Vielfalt des Lebens um uns zu entdecken." Jesse Ausubel, der Vizepräsident Alfred P. Sloan Foundation und Mitbegründer des Census of Marine Life freut sich, dass es eine halbe Million Pilzarten zu entdecken gibt: "Für die Entdeckung der Arten wird das 21. Jahrhundert ein Pilzjahrhundert." Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die weitere wissenschaftliche Entdeckung der Arten auch ganz praktischen Nutzen mit sich bringen kann, beispielsweise um die weiter wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Um alle Arten mit traditionellen Mitteln erfassen, beschreiben und katalogisieren zu können, müssten allerdings 300.000 Biologen 1.200 Jahre lang arbeiten, was über 360 Milliarden US-Dollar kosten würde. Letzteres übrigens fast schon Peanuts mit Blick auf die Finanz- und Schuldenmärkte. Mit neuen Ansätzen wie dem DNA-Barcoding könnten aber Kosten und Zeit erheblich reduziert werden, um das Leben auf der Arche Erde zumindest in einer Datenbank zu sammeln, wenn schon das Überleben vieler Arten nicht gesichert ist.