A.I. - Ein Film auf der Suche nach sich selbst

Die Marketingkampagne im Netz hat einen Film erschaffen, den es nie geben wird - der aber jetzt in den amerikanischen Kinos anläuft

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Die endlosen Spekulationen darüber, wie wohl das Resultat eines Projekts aussieht, dem sich zwei der profiliertesten Filmemacher, Stanley Kubrick und Steven Spielberg, über so viele Jahre verschrieben haben, findet heute ein Ende, wenn A.I: Artificial Intelligence in den USA in die Kinos kommt.

Ein neuer Meilenstein im Sektor des Science-Fiction-Films wird bis dahin als Minimum erwartet - das zu erfüllen gilt jedoch schon vor dem Kinostart als aussichtslos. Rekordverdächtig ist "A.I." aber bereits, seit er mit seiner wohl beispiellosen Marketingkampagne Filmfans wie auch die Insider-Website Ain't it Cool News (AICN), monatelang in reger Beschäftigung gehalten hat:

Wenn man die bisher weit über 700 Seiten im Netz liest, ist das so viel intelligenter - sowohl, was den Schreibstil betrifft, als auch die Recherchen, die wesentlich umfangreicher sind als alles andere, was ich jemals gesehen habe.

Harry Knowles, Chef von AICN

Im Gegensatz zur Kampagne für "The Blair Witch Project", die immerhin das Produkt selbst direkt bewarb, wurden hier jedoch fiktive Vereinigungen wie die Support the Anti-Robot Militia! oder die Coalition for Robotic Freedom im Netz zum Leben erweckt, die erst bei eingehendem Studium überhaupt eine Verbindung zum Film "A.I." erkennen lassen. Die Fan-Site Cloudmakers.org widmet sich ausschließlich den Rätseln, die die anderen Sites aufgeben. Wozu all der Aufwand? Laut Knowles ist das auf Kubricks Beteiligung an dem Projekt zurückzuführen:

Kubrick hat immer, sobald er sich in ein Projekt vertiefte, eine riesige Marketingkampagne drumherum aufgebaut. Für ihn fing das Filmemachen nicht erst mit dem Drehen an. Er hat oft Hinweise in den Pressemitteilungen oder seinen Filmen versteckt, die Aufschluss über die Bedeutung des jeweiligen Films geben sollten.

Knowles

Oder auch als Verweis auf andere Filme: Angeblich zitiert die letzte Szene in "Eyes Wide Shut" im Spielzeugladen zum einen "2001", verweist aber mit dem Teddybär auch schon auf "Supertoys Last all Summer Long", Brian W. Aldiss Kurzgeschichte, welche die Vorlage zu "A.I." bildet.

Für Kubrick, der sich für die Geschichte eines Jungen auf der Suche nach sich selbst schon seit den 70er-Jahren interessiert hat, bestand das größte Problem bei der Umsetzung immer in der Darstellung des Roboterjungen. Ein Schauspieler in Kostüm und Maske oder eine animierte Puppe waren im Wesentlichen die Möglichkeiten, die zur Wahl standen - bis "Jurassic Park" herauskam. ILM, verantwortlich für die digitalen Dinosaurier, unternahm ab 1993 etliche Versuche, mit mechanischen und digital animierten Entwürfen sich Kubricks Vision des Roboterjungen anzunähern, wobei der Meister selbst sogar einmal vorschlug: "Warum nehmen wir nicht einfach ein Kind und ersetzen seinen Kopf digital?"

I think the ideal director for this may be Steven Spielberg. If I do it, it may be too stark. I may emphasise too much the philosophical side

Stanley Kubrick

Kubricks jahrelange Suche nach den besten Möglichkeiten für eine Realisierung berücksichtigt, erscheinen manche von Spielbergs Entscheidungen fragwürdig, allen voran das Casting: Haley Joel Osment (ohne irgendein Make-up) in der Rolle des Roboterjungen kann zwar den Wechsel von Maschine zu Mensch sicher glaubwürdig darstellen, aber scheint damit Kubricks Intention der Story komplett zu unterlaufen. Dass die meisten der Nebenrollen mit Stars besetzt sind, klingt zumindest deplaziert, spätestens mit Robin Williams ("Bicentennial Man") als einer Art Fast-Food-Orakel.

AICN hatte, in guter alter Tradition, den Film schon vorab besprochen und jedem Filmfan einen Pflichtbesuch empfohlen - wenn auch nur, damit dieser sich selbst ein Bild davon machen kann, wie misslungen das fertige Werk wirklich ist:

A.I. ist eine Enttäuschung ungeahnten Ausmaßes. Er ist keine Katastrophe, aber er ist frustrierend, voller Fehler und letztendlich höchst unbefriedigend.

AICN

Haben Kubricks Filme immer dazu eingeladen, eigene Vorstellungen in die Geschichte hinein zu projizieren, sind Mehrdeutigkeiten Spielbergs Sache nicht:

Offiziell ist "A.I." der erste Film seit "Close Encounters", für den Spielberg auch das Drehbuch geschrieben hat - damals allerdings unter Mitwirkung so herausragender Autoren wie u. a. Paul Schrader und John Milius. Im Fall von "A.I." scheint es jedoch tatsächlich so gewesen zu sein, dass Spielberg sich selbst hingesetzt und beim Schreiben nur bereits vorliegende Treatments und Notizen zu Hilfe genommen hat: (ZITAT) Das ist die Arbeit eines Schreibneulings. Nicht zwei Menschen unterscheiden sich in diesem Film in ihrer Art, zu reden. Alles wird viel zu genau erklärt, und der technische Jargon ist schwerfällig und ungewöhnlich langweilig. So ein Buch hätte sich an kein einziges Studio verkaufen lassen können, wäre es von einem Unbekannteren geschrieben worden.

Kubrick hat den Film letztendlich nie realisiert, weil ihm die technischen Möglichkeiten noch nicht ausgereift genug erschienen. Einzig ILM hat er es zugetraut, "A.I." überzeugend umsetzen zu können:

Some of ILM's most striking work happens here, but it's still not really something I'd call new. For all the talk about how the filmmakers had to wait for technology to catch up to this amazing story, there seems to be a shocking paucity of visual imagination on display.

AICN

Im Nachhinein scheinen Kubricks Zweifel daran, aus diesem so ambitionierten Projekt selbst ein wirklich gelungenes Werk erschaffen zu können, gerechtfertigt. Aber für ihn stellten Artificial Intelligencies immer so eine Art Enkelkinder dar: Die liebt man rückhaltlos, welche Schwächen sie auch immer haben mögen.