"Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen"

Handelsexpertin Pia Eberhardt: Neues Investitionsgericht hebt grundsätzliche Kritik am Investorenschutz nicht auf

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Als "Etappensieg" preist Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, die Schaffung eines neuen Investitionsgerichts (ICS) anstelle privater Schiedgerichte, wie sie in TTIP vorgesehen sind, im geplanten Handelsabkommen mit Kanada (CETA). Auch viele Zeitungsredaktionen meinen, der wichtigste Giftzahn im CETA sei damit gezogen. Ganz anders sieht das Pia Eberhardt, Handelsexpertin der Nichtregierungsorganisation CEO (Corporate Europe Observatory): Fast alle Grundfehler der Schiedsgerichte seien auch im Modell des Investitionsgerichts enthalten. U.a. bestehe es nicht aus unabhängigen Richtern, argumentiert sie, und unterstützt damit zugleich die grundsätzliche Kritik, die kürzlich der Deutsche Richterbund äußerte.

Bernd Lange preist das im CETA-Vertrag mit Kanada vorgesehene neue Investitionsgericht und bezeichnet ihn deswegen als "Sargnagel" für die ISDS-Schiedsstellen. Sie widersprechen dem vehement und sagen, es handele sich lediglich eine neue Verkleidung, um die Idee der privaten Schiedsgerichte zu sichern. An welchen Punkten machen Sie das fest?

Pia Eberhardt: Im Wesentlichen enthält der letzte Vorschlag von Frau Malmstöm all die Konzernklagerechte, die auch schon bestehende Verträge enthalten. Und auf Basis dieser Rechte finden eben Klagen statt wie die Klage von Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg oder die Klage von Philipp Morris gegen Uruguay wegen Maßnahmen zum Nichtraucherschutz. All diese Rechte enthält auch der aktuelle Vorschlag, d.h. all diese Klagen werden weiterhin möglich sein, hoher Schadenersatz wird möglich sein.

Die einzig wesentliche Veränderung, die der Vorschlag enthält, ist, dass er die Art und Weise, wie die Verfahren stattfinden, etwas verbessern wird, aber das ändert wenig an der Gefahr dieses System für die Demokratie, auch für öffentliche Haushalte und damit die Steuerzahler und unsere Möglichkeit, in Zukunft überhaupt noch Politik im Gemeinwohlinteresse zu gestalten.

An welchen Punkten sehen Sie kleine Verbesserungen?

Pia Eberhardt: Die Investor-Staat-Verfahren werden in Zukunft transparenter stattfinden, es wird ein Berufungsmechanismus eingerichtet, und es wird vor allem verhindert, dass die Schiedsrichter, die diese Klagen entscheiden, von den Parteien ausgesucht werden. Heute ist es so, dass sich der Investor einen Schiedsrichter aussucht und der Staat den zweiten und die beiden zu zweit die dritte Person und diese drei dann Recht sprechen. Das ist so, wie wenn wir heute vor das Bundesverfassungsgericht gehen würden und uns die Hälfte der Richter aus unserem Freundeskreis zusammensuchen. Das wird verändert.

Die EU-Kommission schlägt vor, dass es eine Liste von 15 Personen geben soll, die von der EU und den USA ernannt werden. Aus diesem Kreis werden dann die Schiedsrichter bestimmt. Das ist tatsächlich eine Verbesserung, es berührt aber kaum die Gefahr, die dieses System für die Demokratie oder für Politik zum Schutz von öffentlichen Interessen bedeutet.

Dass der Deutsche Richterbund kürzlich eine sehr harte Stellungnahme gegen diese neuen Investitionsgerichtshöfe veröffentlicht hat, ist durch die Medien in Deutschland wenig bekannt gemacht worden. Worin besteht aus Ihrer Sicht die wesentlichste Kritik, die die Richter geübt haben?

Pia Eberhardt: Für mich sind zwei Kritikpunkte aus der Stellungnahme des Richterbundes ganz wesentlich. Einmal sagt der Richterbund ganz klar, es handelt sich hier um kein Gericht und um keine unabhängigen Richter, denn die Kriterien, die die Kommission zur Auswahl dieser Personen vorschlägt, und vor allem die Tatsache, dass sie kein festes Gehalt bekommen, sondern weiter nach Verfahren sehr lukrativ bezahlt werden, korrumpiert ihre Unabhängigkeit. Deshalb sagt der Richterbund ganz klar, es sei eigentlich falsch, hier von einem Gericht zu sprechen, es ist mehr eine Art permanentes Schiedsgericht.

Und der zweite wesentliche Kritikpunkt aus meiner Perspektive in der Stellungnahme ist, dass der Richterbund sich ganz klar gegen Sonderrechte für eine einzelne Gruppe in der Gesellschaft ausspricht. Der Richterbund sagt ganz klar, wenn es rechtliche Probleme gibt irgendwo in der Welt, und die gibt es ja, dann müssen die behoben werden für alle in der Gesellschaft durch eine entsprechende Ausstattung der Gerichte. Sonderklagerechte für eine einzelne Gruppe, in diesem Fall jetzt ausländische Investoren, können da nicht der richtige Weg sein. Das ist eine ganz grundsätzliche Kritik am Investorenschutz für ausländische Investoren und einer Sondergerichtsbarkeit, wie sie die EU-Kommission vorschlägt.