Abschied von den Generälen?

Ägypten vor der Präsidentschaftswahl

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Kurz vor der Wahl will der Militärat wichtige Verfassungszusätze erlassen. Die Präsidentschaftskandidaten dürfen ab heute keine Interviews mehr geben oder sonstige öffentliche Aktivitäten unternehmen, die die Abstimmung beeinflussen könnten. Zugleich sollen morgen die Ergebnisse der Stimmabgabe der Auslands-Ägypter veröffentlicht werden - die Nachrichten zwei Tage vor der ersten Präsidentschaftswahl in Ägypten nach dem Sturz Mubaraks deuten auf Eigentümlichkeiten hin, die der Wahl eine absurde Note geben. Der erste Wahlgang findet, je nach Gouvernement, am Mittwoch oder Donnerstag dieser Woche statt. Stichwahlen sind für den 16. und 17. Juni vorgesehen. Der Ausgang ist offen.

It is only matter of hours and honestly we do not know who will be the next president of Egypt.

Zeinobia, Egyptian Chronicles

Inwieweit Umfragen für einen Überblick sorgen können, ist im Fall Ägyptens auch unklar. Der amerikanische Middle-East-Blog "Informed Comment" hat eine aktuelle Meinungsumfrage ins Englische übersetzt. Demnach zeigen sich 30 Prozent der Wähler unentschieden, 15,8 Prozent würden dem letzten Ministerpräsidenten unter Mubarak, Ahmad Shafiq, ihre Stimme geben. Und Amr Moussa, vielen vielleicht als langjähriger Vorsitzender der Arabischen Liga bekannt, bislang Favorit der Wahl, erzielte 15,1 Prozent bei der Umfrage, die laut Übersetzer Juan Cole ihre Methodologie nicht offengelegt hat.

Es folgen der ehemalige Muslimbruder Abdul Moneim Abou’l-Futouh, der als "liberaler und gemäßigter Islamist" etikettiert wird, mit 13,2 Prozent. Der Kandidat, für den sich Protagonisten der linken revolutionären Kräfte einsetzen, Hamdeen Sabahi, der Mitbegründer der al-Kefaya-Bewegung, der als Nasserist bezeichnet wird, kommt in der Umfrage auf 12.3% (und hat im Vergleich zu vorhergehenden Umfrage am meisten zugelegt). Der Kandidat der Muslimbrüder, Muhammad Mursi, erzielte nur 9.5 Prozent.

Dass der Kandidat der Muslimbrüder (MB) in der Umfrage so schlecht abschneidet - hinter zwei Vertretern des Ancien Regimes, Shafiq und Moussa, und dem Abtrünnigen der MB, Abou’l-Futouh - erklärt sich der "informierte Kommentator" damit, dass die Muslimbrüder ihren überwältigenden Sieg in den Parlamentswahlen nur erringen konnten, weil die ägyptischen Wähler vor allem sicherstellen wollten, dass das Mubarak-Regime nicht wiederkomme. Nun seien sie aber besorgt über die Zukunft der Einnahmequelle Tourismus und "their own beer parties". Die Wählerschaft tendiere jetzt eher Richtung Säkularismus. Ob das nicht Wunschdenken des US-Bloggers ist?

Islamisten sind kein homogener Block

Dass die Verhältnisse an Ort und Stelle verwobener sind, kann man bei Hossam El-Hamalawy nachlesen. Der Journalist wurde während der revolutionären Zeiten Anfang letzten Jahres in Ägypten einer größeren Öffentlichkeit bekannt, er berichtete engagiert über Streiks von Arbeitern und Gewerkschaften. Für ihn sind die Islamisten keine homogene Einheit:

But the "Islamists" are NOT a unified homogenous block. We are talking about millions of Egyptians from different backgrounds and provinces who are part of the Muslim Brotherhood and the different Salfist groups. It’s even wrong to lump "Salafists" all in one basket.

In einem Beitrag zu den Demonstrationen am Verteidigungsministerium in Kairo beschreibt er, dass viele aus den Reihen der Islamisten Streiks und Interessen von Arbeitern und Gewerkschaften mit großem Einsatz vertreten haben. Es gebe relevante Unterschiede zwischen den hochrangigen Repräsentanten der Islamisten und der Basis. Die Muslimbruderschaft sei gekennzeichnet durch viele Lager und Fraktionen, die unterschiedliche Generationen und Klassen repräsentieren. Je nachdem, wie sich die Muslimbrüder zum Militärrat verhalten, könnten hier schnell Gräben aufbrechen.

Gegen das Ancien Regime

Demgegenüber macht die Bloggerin Zeinobia auf die Rolle der Stämme bei den Wahlen in Oberägypten, wo viele Probleme des Landes mit besonderer Härte zu spüren sind, aufmerksam. Deren favorisierter Kandidat ist Amr Moussa, der Stabilität verspricht. Eine Rolle könnte die Empfehlung der Al Gama'a Al Islamiyaa, die dort wichtiger sei als die MB, spielen. Deren Gunst liege bei Abdel Moneim Abu El Fotouh, dem ehemaligen Muslimbruder, dem eine Menge prominenter Ägypter Wahlkampfhilfe leisten. Seine Anhänger sind sehr unterschiedlich.

You will find old people and young people , you will find rich , middle and working class , you will Muslims and Christians , the liberal and Salafist as well Al Gamaa al Islamiyaa , you will find the deaf and the disabled , you will people from Upper Egypt, Sinai, Red sea ,Suez , Alexandria and other areas, you will find unveiled and veiled girls.

Die Bewegung des 6.April hat sich öffentlich gegen die Kandidaten des Ancien Regimes, Moussa und Shafiq, ausgesprochen (eine gute Übersicht zu den Kandidaten findet sich übrigens hier).

Militärrat und finstere Mächte

Ob die hier angesprochenen Beobachter und Parteien, die bei bei den Ereignissen zu Anfang letzten Jahres deutlich Sympathie für die Revolution bekundet haben, bzw. ihr aktiv angehört haben, durch das Wahlergebnis in ihrem Veränderungswillen repräsentiert fühlen werden? Dem steht der Wunsch vieler Wähler nach Stabilität und Erfahrung gegenüber, den sie von Kandidaten Moussa und Shafiq am besten vertreten fühlen.

Als sicher gilt derweil nur, dass auch mit der Wahl die Erzählungen von "dunklen Händen", der "fünften Kolonie", "ausländischen Agenden", die die eigentliche Macht in Ägypten repräsentieren, nicht aufhören werden. Und dass sich der Militärrat nicht einfach so zur Seite schieben lässt. In seinem Entwurf für eine Interimsverfassung legt er den Grundstein für eine weitgehende Autonomie der Generäle.