"Achse der Steuervermeidung"

Für jeden Dollar, den US-Firmen nach Luxemburg verlagern, verlieren EU-Länder 32 Dollar an Steuereinnahmen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu den Schattenseiten der Globalisierung gehören die trickreichen wie legalen Steuervermeidungsgeschäfte von multinationalen Unternehmen. Weltweit werden jedes Jahr Steuern in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar an Finanzämtern vorbeigeschleust. Allein dem deutschen Fiskus sollen jährlich rund 18 Milliarden Euro entgehen, weil Unternehmen Gewinne in Steueroasen verschieben.

Doch statt auf malerischen Südseeinseln befinden sich die größten Steueroasen laut dem "Schattenfinanzindex" (Financial Secrecy Index, FSI) des Tax Justice Networks (TJN) in der EU. Länder wie die Schweiz, Luxemburg, Großbritannien oder die Niederlande - die europäische "Achse der Steuervermeidung" (axis of tax avoidance) - verhelfen beispielsweise amerikanischen Firmen Steuern in Deutschland, Frankreich oder Italien zu sparen.

Laut eines am Mittwoch veröffentlichten Berichts des Tax Justice Network erlaubt die "Achse der Steuervermeidung" US-Firmen jährlich Steuern von 27,6 Mrd. US-Dollar an Finanzämtern vorbeizuschleusen. In diesen Ländern werden Gewinne, die in anderen EU-Ländern erwirtschaftet werden, zu niedrigen Sätzen versteuert. In Luxemburg könne die Steuerlast mitunter weniger als ein Prozent betragen. TJN ist eine unabhängige Non-Profit-Organisation, die über Steuervermeidung, Steuerhinterziehung, Steuerwettbewerb, Finanzintransparenz und Steueroasen aufklärt.

Für eine Handvoll Dollar

TJN rechnet den Deal für US-Firmen vor: Beispielsweise nimmt Luxemburg nur 0,4 Milliarden Dollar an zusätzlicher Körperschaftssteuer pro Jahr ein, dafür dass anderen EU-Mitgliedern jährlich über 12 Milliarden Dollar an Steuern entgehen. Für jeden zusätzlichen Dollar, den Luxemburg von US-Firmen einnahm, verloren die anderen EU-Länder 32 Dollar.

Die Niederlande kassierten zusätzliche 2 Milliarden Dollar im Gegenzug dafür, dass sie anderen EU-Länder etwa 10 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen kosteten. Die Schweiz sammelte weitere 0,8 Milliarden Dollar ein, als Gegenleistung dafür, dass sie die EU-Länder 3 Milliarden Dollar kostete.

Forscher der University of California, Berkeley, und der University of Copenhagen stellten fest, dass etwa mehr als 84% der Einnahmen, die Italien aufgrund von Steueroasen verliert, in andere europäische Länder fließen, wobei Luxemburg, Irland und die Niederlande an der Spitze stehen. Auch dem deutschen Fiskus pro Jahr rund 18 Milliarden Euro durch die Nutzung von Steuerschlupflöchern. Der Großteil davon fließt nach Luxemburg ab, wo viele Unternehmen während der Amtszeit von Jean-Claude Juncker vorteilhafte Steuerdeals geschlossen haben.

Insgesamt nimmt laut TJN die "Achse der Steuervermeidung" jährlich nur etwa 4 Milliarden Dollar an zusätzlicher Körperschaftssteuer ein, verhilft jedoch US-Firmen jährlich über 27 Milliarden Dollar an Körperschaftssteuern in jenen EU-Ländern, wo sie ihre Gewinne erzielen, einzusparen. Das heißt, für jeden 1 Dollar Körperschaftssteuer, den europäische Steueroasen aus Gewinnverlagerungen von US-Firmen einnehmen, verlieren die EU-Länder insgesamt fast 7 Dollar an Steuereinnahmen. Laut TJN zählen zu den größten Verlierern die Finanzämter in Frankreich, Deutschland und Italien.

Im Dezember wurden Amazon, Facebook, Google, Netflix, Apple und Microsoft ("The Silicon Six") beschuldigt, in den letzten zehn Jahren weltweit Steuern in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar "aggressiv vermieden" zu haben. Ein Bericht von The Fair Tax Mark zeigte auch, wie Irland eine "zentrale Rolle bei der Steuervermeidung" von Apple, Facebook, Google und Microsoft spielt. Einer früheren Untersuchung zufolge, ist Irland "die größte Steueroase der Welt, da multinationale Unternehmen allein im Jahr 2015 Unternehmensgewinne in Höhe von 106 Milliarden US-Dollar nach Irland verlagern".

Laxe Staatshilfen

Doch zumindest wird nun im Rahmen der Corona-Staatshilfen ein Blick auf Briefkastenfirmen in Steueroasen geworfen. Das Thema hatte seit den großen "Leaks" an Brisanz verloren. Dennoch sind sich erstaunlich wenige Länder darin einig, Staatshilfen an Bedingungen zu knüpfen, die garantieren, dass die Verwendung von Steuergeldern transparent bleibt. Bisher sind nur in Dänemark, Polen und Frankreich Unternehmen, die in Steueroasen registriert sind und über Briefkastenfirmen Steuern hinterziehen, von Finanzhilfen ausgeschlossen. Italien erwägt ebenfalls einen solchen Schritt.

Polen machte den Anfang: Einen Monat vor den Parlamentswahlen im Mai setzt sich die rechts-populistische (PiS)-Partei dafür ein, dass große Unternehmen, die einen Teil des Rettungsfonds der Regierung in Höhe von 6 Milliarden US-Dollar in Anspruch nehmen wollen, "inländische Unternehmenssteuern" zahlen müssen. "Lassen Sie uns die Steueroasen beenden, die der Fluch der modernen Volkswirtschaften sind", sagte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki.

Ähnlich sieht es Dänemark. "Unternehmen, die gemäß den EU-Richtlinien auf Steueroasen basieren, können keine Entschädigung erhalten", heißt es in einer Erklärung des Finanzministeriums des Landes. Die neue Beschränkung gilt für Unternehmen, die in Ländern registriert sind, die auf der Liste der "nicht kooperativen Steuergebiete" der EU stehen, so Rune Lund, Steuersprecher der Rot-Grünen Allianz. "Wenn wir Milliarden von Steuergeldern für die Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen ausgeben, müssen sie diesen Zweck erfüllen und dürfen nicht in eine Steueroase auf der anderen Seite der Welt geschickt werden", so Lund.

Auch Frankreich folgt dem Beispiel. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte letzte Woche, dass Unternehmen, die entweder in Steueroasen registriert sind oder Tochtergesellschaften in diesen kontrollieren, nicht für das französische Rettungspaket in Höhe von 110 Milliarden Euro in Frage kommen.

In Deutschland sprach sich mittlerweile SPD-Chef Walter-Borjans für Steuer-Transparenz aus. Er fordert den Rückzug aus Steueroasen für alle Firmen, die Corona-Hilfen vom Staat verlangen. "Als mögliche Direktmaßnahmen sollten Unternehmen, die Hilfen beantragen, ihre Aktivitäten in Steueroasen offenlegen und sich zum künftigen Verzicht auf Briefkastenfirmen in Steueroasen bereit erklären."

Am Pranger stehen die Falschen

Doch die Maßnahmen betreffen bislang nur Steueroasen, die sich außerhalb der EU befinden. Denn, wenn es darum geht, welches Land zu einer Steueroase zählt, orientieren sich sowohl Dänemark als auch Polen an der "Schwarzen Liste" der EU, die laut TJN einige der wichtigsten Steueroasen ausschließt: Luxemburg, die Schweiz oder die Niederlande. Angesichts dieser Tatsache fragt TJN in dem Bericht: Warum tolerieren EU-Länder wie Italien und Deutschland ihre Ausbeutung durch die Niederlande, Irland, Luxemburg und die Schweiz?

Anders gefragt: Warum wird die Wirtschaftspolitik von Ländern wie Italien oder Spanien als Gefahr für das europäische Projekt angesehen, wenn der Egoismus europäischer Steueroasen auf Kosten entgehender Einnahmen der Mitgliedsländer geht?

Für Corona-Bailouts fordert TJN, dass eine Firmen-Präsenz in Steueroasen der Schwarzen Liste der EU nicht das einzige Kriterium für den Ausschluss von Staatshilfe sein sollte. Zusätzlich sollen Unternehmen Hilfsgelder und -kredite verweigert werden, die wegen Korruption oder Geldwäsche angeklagt wurden, die an Cum-Ex-Geschäften verwickelt waren oder an Steuerskandalen beteiligt waren, welche durch LuxLeaks und Panama Papers aufgedeckt wurden. Dass solche Firmen von Staatshilfen ausgeschlossen werden, verlangt derzeit bedauerlicherweise niemand auf der politischen Bühne.