AfD auf Kurs, auch gegen Muslime…

Die AfD hat auf ihrem Parteitag ein Grundsatzprogramm vorgelegt. Man will weg vom "linken, rot-grün verseuchten 68er-Deutschland"

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Rund drei Jahre nach der Gründung, nach fünf Bundesparteitagen, einer Spaltung und einer Reihe von Wahlerfolgen, hat die "Alternative für Deutschland" (AfD) sich ein Parteiprogramm gegönnt. Klar ist dadurch geworden, dass sich die Partei weiter auf einen nationalistischen, rechtspopulistischen und islamfeindlichen Kurs befindet und wohl ebenso auch in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen wird. Europaweit scheint man sich rechtsradikalen Parteien annähern zu wollen. Und man wolle weg vom "linken, rot-grün verseuchten […] 68er-Deutschland", sagte Parteichef Jörg Meuthen.

Im Vorfeld des 5. Bundesparteitages in Stuttgart war vermutet worden, dass die Partei dank Vorlagen und Änderungsanträgen es nicht schaffen wird, das von der Programmkommission und dem Bundesvorstand vorgeschlagene Grundsatzprogramm an nur einem Wochenende zu debattieren und zu verabschieden.

Der Parteitag selbst geriet dann auch ins Stocken durch Anträge, den üblichen Formalitäten und "Geschäftsordnungsscharmützeln", wie die FAZ es nannte. Die Korrespondentin der "Rheinischen Post" befand dazu am Samstagabend, "der wohl demokratischste Parteitag aller Zeiten [gestaltet sich] einigermaßen zäh. Anträge um Anträge zur Änderung des Leitantrags werden vorgetragen. […] Träge."

Laut FAZ verabschiedeteten die Mitglieder am Samstag nur zwei von insgesamt vierzehn Artikeln des Programms. Sonntag ging es zwar stockend weiter. Doch am Ende meldete die Partei Vollzug. In seiner Schlussrede lobte Parteichef Meuthen die "grandiose" Leistung des Parteitages, Mitparteichefin Frauke Petry betonte, man habe gezeigt, dass man "professionell arbeiten" könne. Die Sorge um Deutschland verlange es, dass sich die AfD "keine lange Kindheit [und Pubertät] gönnen" könne.

Der im Vorfeld des Parteitages besonders umstrittene Punkt zum Thema Islam wurde verabschiedet. Die Mitglieder stimmten dabei mit großer Mehrheit nach hitziger Debatte für die Formulierung "Der Islam gehört nicht zu Deutschland". Zudem soll demnach die Finanzierung des Baus und des Betriebs von Moscheen aus dem Ausland verboten werden. Imame sollen nach dem Willen der AfD an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzin-Ruf. In Schulen sollen Frauen und Mädchen keine Kopftücher tragen dürfen, die Vollverschleierung soll generell verboten werden.

"Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus"

Beschlossen wurde ebenso, das Schächten ausnahmslos zu verbieten und bisherige Sondergenehmigungen auslaufen zu lassen. Betroffen sind hiervon nicht nur Muslime, sondern auch Juden. Würde die AfD derlei in Deutschland auch realpolitisch durchsetzen können, dürften einige Punkte davon konträr zum im Grundgesetz verbrieften Recht auf freie Religionsausübung stehen, auch wenn die AfD sich in dem entsprechenden Programmpunkt zur "Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit" bekennt. Dennoch müssten der Religionsausübung klare Schranken gesetzt werden.

Schranken setzen will die Partei ebenso im Rahmen einer flächendeckenden Grenzsicherung, "gegebenenfalls [sollen dazu] Schutzzäune oder ähnliche Barrieren errichtet werden" heißt es in dem Passus im Parteiprogramm. Weitere Eckpunkte sind unter anderem, dass der Bundespräsident direkt gewählt werden und es Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild geben soll. Zudem soll die Strafmündigkeit nun schon mit 12 statt mit 14 Jahren beginnen. Es müsse weniger Abtreibungen dank neuer Maßgaben für die Beratung von Schwangeren geben.

Zuwanderung - etwa die "ungeregelte" durch Asylsuchende - lehnt die Partei teilweise ab, willkommen seien nur "qualifizierte Einwanderer mit hoher Integrationsbereitschaft". Dieser Passus wurde indes erst am Sonntag so aufgenommen und korrigiert. Am Samstag noch hatten die Mitglieder dafür votiert, dass "Einwanderung, insbesondere aus fremden Kulturbereichen" grundsätzlich abzulehnen sei. Deutschland solle zudem aus der EU austreten, wenn diese sich nicht reformieren lasse, und die Türkei dürfe der EU nicht beitreten. Die Forderung "Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus" steht ebenso im Programm.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll in seiner jetzigen Form abgeschafft werden laut Grundsatzprogramm. Rundfunkgebühren solle nur noch zahlen, wer auch tatsächlich das Angebot der Sender und Anstalten nutzt. Der gesetzliche Mindestlohn soll beibehalten werden, allerdings beispielsweise auch zum Schutz vor dem "Lohndruck durch die derzeitige Massenmigration". Der Klimaschutz sei ein "Irrweg", die Laufzeit der Kernkraftwerke müsse verlängert und Gesetze zur Förderung von Alternativenergie sollen abgeschafft werden laut dem Grundsatzprogramm der AfD.

Gegenproteste, Ausschreitungen und geleakte Mitgliederdaten

Begonnen hatte der Bundesparteitag in Stuttgart am Samstagmorgen mit Verspätung, einerseits lag das wohl am Andrang der über 2.000 Mitglieder, zum anderen aber auch an den teils militanten Gegenprotesten. Laut Polizeibericht kam es dabei aus der linksradikalen Szene zu Ausschreitungen und Straßenblockaden, darunter solche mit brennenden Reifen auf einem Autobahnzubringer. Die Polizei nahm mehrere hundert Gegendemonstranten in Gewahrsam. Bei Protesten am Samstagmittag von fast 2.000 (Polizei) bis 4.000 (Veranstalter) Menschen kam es demgegenüber, abgesehen von vereinzelten Feuerwerksaktionen und dem Bewerfen der Polizisten mit Gegenständen, so der Polizeibericht kaum zu Zwischenfällen.

Ein ziemliches Debakel für die AfD war, dass mutmaßlich antifaschistische Kreise via Internet am Samstag die Daten inklusive Privatanschrift, Mailadresse und Rufnummern von den Besuchern des Bundesparteitages in Bremen geleakt hatten. Hätte die Partei da noch glauben können, diese Daten seien eventuell dank des großen Zeitfensters an einer undichten Stelle versehentlich weitergegeben worden, publizierten offenbar dieselben AfD-Gegner am Sonntag aktuelle Daten eines Großteils der Teilnehmer vom Stuttgarter Parteitag. Parteichef Meuthen kündigte eine interne Untersuchung und strafrechtliche Schritte an. Er forderte Bundesjustizminister Heiko Maas auf, mit derselben "Intensität gegen linksradikale Websites vorzugehen wie gegen rechtsradikale".

Volk, hör' die Signale

Wohin will die AfD? Auf dem Parteitag in Stuttgart gab es abgesehen von der Diskussion um das Programm widersprüchliche Signale. Einerseits billigte der Parteitag mit rund 52 Prozent, dass der Bundesvorstand den Landesverband Saarland auflösen will, weil dieser mit Rechtsextremisten, NPD-Leuten und einem rechtsextrem dominiertem "Pegida"-Ableger geflirtet haben soll. Dass manche Kreisverbände oder Landesverbände ebenso mit Protagonisten aus dem extrem rechten Lager anbändeln, wurde indes nicht groß thematisiert. Die "Schwäbische Zeitung" stellte fest, in den Wortmeldungen zum Parteiprogramm und den Gesprächen auf den Fluren des Parteitages sei "viel Esoterisches zu vernehmen" gewesen, "neben Rassistischem und Verschwörungstheorien."

Zudem verlas der nordrhein-westfälische Landeschef und AfD-Europaabgeordnete, Marcus Pretzell, am Samstag eine Grußbotschaft der rechtsradikalen FPÖ und kündigte an, im EU-Parlament künftig der Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit‟ (ENF) angehören zu wollen. Es ist jene Fraktion auch rechtsradikaler Parteien, die vom extrem rechten "Front National" (FN) dominiert wird.

Überdies wird die AfD weiterhin auf eine Mischung aus Angstmacher, Opfermythen und Attacke setzten, sich zudem als Retter des Abendlandes gerieren. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland nannte das Grundsatzprogramm, über das man zu debattieren und abzustimmen habe, beim Parteitagsauftakt eine "zentrale Weichenstellung für die Zukunft" der Partei, für die Zukunft Deutschlands und sogar Europas. Als sei die AfD schon der Nabel der politischen Welt.

Allein gegen den politischen Vernichtungskrieg

In einer Gastrede lobte der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus die Partei, kritisierte indes die "Dämonisierung" der AfD durch politische Gegner. Die "Brutalität" der Angriffe zeige nur, dass die Gegner "Angst" vor der AfD hätten. Die Partei wehre sich gegen die "vernichtenden Angriffe" auf Tradition und Werte, die man von den Eltern und Großeltern "geerbt" habe.

Kurz darauf bewies Parteichef Meuthen, dass er - und nicht Petry! - längst die zentrale Figur im Vorstand ist. Meuthen skizzierte in seiner programmatischen Rede die Zukunft der Partei. Sie müsse eine moderne konservative und "freiheitliche" Partei sein, weder reaktionär, noch strukturkonservativ oder rückständig, sondern mit einem gesunden Verhältnis zu einem "souveränen", "selbstkritischen" und "weltoffenen" Patriotismus.

Nicht gegen Zuwanderung sei man, sagte Meuthen, nur gegen den "massenhaften" Zuzug von Menschen aus "anderen Kulturkreisen". Religionsfreiheit sei ein "hohes Gut", Muslime sollten ihren Glauben leben, falls sie sich an Gesetze hielten. Leitkultur sei aber nicht der Islam, sondern die christlich-abendländische Kultur: "Dann kann nicht hier künftig der Ruf des Muezzins die gleiche Selbstverständlichkeit für sich beanspruchen wie das christliche Geläut von Kirchenglocken." Besonders viel Applaus erhielt Meuten, als er sagte, dass man "weg [will] vom linken, rot-grün verseuchten, leicht versifften 68er-Deutschland" und hin zu einem "wirklich freien, souveränen Nationalstaat Deutschland in der Völkergemeinschaft der Welt".

Petrys Rede wirkte danach eher blass, abgesehen davon, dass sie es offenbar provokant fand, im grünen Jacket und roten Rock aufzutreten und andeutete, solche Farbspiele gehörten eben nicht nur anderen Parteien. Die Bundesvorsitzende stänkerte in ihrer Parteitagsrede abermals gegen die Medien. Der Vorwurf des "Rechtsrucks" gegen ihre Partei sei "selten durch Fakten belegt", die anderen Parteien würden die AfD massiv diffamieren. Allerdings werde die AfD schon weltweit wahrgenommen, befand Petry. Man werde kämpfen für ein Europa "souveräner Vaterländer", die Erwartungen im Ausland an die Partei seien groß und zwecks Umsetzung der eigenen Politik müsse man "Mehrheiten erringen". Österreich habe gezeigt, wie schnell so etwas gehen könne.

Die Gegendemonstranten nannte Petry "Pluralismushasser", die "Bodentruppen der Konsensparteien", die die offenbar nun schon glorreichen "Dissidenten" der AfD bekämpften. Dann schimpfte sie oberlehrerinnenhaft erneut gegen die Medienvertreter, denn diese müssten den "Dialog auf Augenhöhe" noch lernen, sollten ihre Rolle überdenken und neutral berichten, anstatt "politische Botschaften" zu erfinden. Laut Petry müsse die heutige Gesellschaft Deutschlands "die demokratische Kontroverse wieder erlernen".

Die gelebte Irrationalität als Konsens

Starke Worte? Mag sein, doch zuletzt wirkte Petry selbst in der eigenen Partei als umstritten und dürfte daher eher weniger prädestiniert sein, Ratschläge zu erteilen. Während der AfD-Pressesprecher Christian Lüth weiter im Namen des Bundesvorstands wirkt, trennte sich Petry kürzlich parteipolitisch überraschend von ihm. Der Illustrierten "Bunte" stand sie mit ihrem Partner Pretzell für eine Glitzer- und Lovestory zur Verfügung, in der sie Vorstandskollegen öffentlich kritisierte. Kurz vor dem Parteitag hatte sie noch über den "Stern" verbreiten lassen (AfD: Petry und rote Linien), dass es für sie eine "rote Linie" nach Rechtsaußen gebe. Sollte diese überschritten sein, ziehe sie sich eventuell zurück.

Unisono hatte der wohl prominenteste Vertreter des radikalen Rechtsaußenlagers, Björn Höcke, erklärt, dass es keine Abgrenzung nach rechtsaußen brauche, weil die Partei sich "breit" aufzustellen habe. Petry stimmte zugleich in den Anti-Islam-Kurs ein (AfD-Vorstandssprecherin Petry: Minarette sind Herrschaftssymbole des Islam). Bekannt wurde, dass Petry künftig zwei neue Pressesprecher respektive Medienberater haben soll. Nämlich den zuletzt nicht unumstrittenen ehemaligen "Focus"-Mann Michael Klonovsky sowie als dessen Sidekick den Bundesvorsitzenden der AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" (JA) Markus Frohnmaier.

Auch das eine Art von Widerspruch: Frauke Petry, die verbreitet, gegebenenfalls die Partei zu verlassen, sollte diese zu weit nach rechts tendieren, beruft mit Frohnmaier einen Vertreter vom äußerst rechten Parteirand in ihren Presse- und Beraterstab. Laut "Blick nach Rechts" hatte Frohnmaier bei einer AfD-Demonstration die Stimmung mit den Worten aufgeheizt: "Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und zwar nur für das Volk gemacht - denn wir sind das Volk!"

Petrys Lebensabschnittspartner bändelt derweil mit dem Front National an. Zugleich schlägt die Partei nach dem Rückgang der Asylbewerberzahlen und dem Verlust dieses "Geschenk[s]" für die Partei (Gauland Ende 2015) den rechtspopulistischen PR-Schlager "Anti-Islam-Kurs" ein und der Rechtsaußen-Flügel verweist auf die "germanische Tradition".

Gelebte Irrationalität? Vielleicht ist das alles aber auch nur eine geschickte Strategie, immerhin war die AfD vor und während des Bundesparteitags in Stuttgart medial omnipräsent, auch oder gerade dank ihres Rechtspopulismus, ihres politischen Allerleis und zahlreicher Widersprüchlichkeiten. In einem Kommentar fand die FAZ sehr zutreffend, genau hier solle die politische Entzauberung der AfD ansetzen, denn "die Stigmatisierung entlässt die AfD-Protagonisten aus der Pflicht, über die konkreten Auswirkungen ihrer Ideen sprechen zu müssen". AfD-Forderungen würden gesellschaftlich und politisch jedoch zuweilen zu einem "Durcheinander" führen und seien teilweise "realitätsfern".

Die AfD will bei der kommenden Bundespräsidentenwahl einen eigenen Kandidaten stellen: Albrecht Glaser (74), Bundesparteivize und Mitglied vom hessischen Landesverband.