Affig viel zu tun

Stress macht behaarten und unbehaartern Zweibeinern zu schaffen

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Stress ist die Reaktion des Körpers auf eine belastende Situation. Das passiert alltäglich und erst wenn der Stress zu häufig oder zu intensiv wird, verursacht er Krankheiten. In den postindustriellen Massengesellschaften ist Stress allgegenwärtig und stellt nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhundert dar.

Welche Situation bei wem Stress verursacht, hängt von vielen Faktoren ab. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der eigene Status einer Person in der Gesellschaft. Eine niedrige soziale Position geht einher mit einem schlechteren Gesundheitszustand. Anders gesagt: Armut macht krank (Armut bedroht die Gesundheit).

Körperliche Reaktionen auf Stress durch den sozialen Rang (Bild: Science/Bayard Colyear, Stanford Visual Arts Services)

Stress ist eine Reaktion, die an sich nur eine Leistungssteigerung der körperlichen Funktionen verursacht. Evolutionsbiologisch diente das einst der schnellen Flucht oder dem Verteidigungsangriff angesichts einer Gefahrensituation. Es entsteht eine körperliche Alarmbereitschaft: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atmung wird beschleunigt, die Pupillen erweitern sich, Muskeln werden aktiviert. Gleichzeitig reduziert sich die Durchblutung der Verdauungs- und Fortpflanzungsorgane. Diese Reaktionen folgen auf die Ausschüttung von Stresshormonen, vor allem Adrenalin und Cortisol (Stress).

Heute sind angreifende Raubtiere selten geworden und in unserer Gesellschaft haben wir auch nicht mehr mit Hunger oder Kälte zu kämpfen, aber der Stress ist geblieben. Die Reize, die ihn auslösen sind am Arbeitsplatz z.B. abstürzende Computer, unfreundliche Kollegen, unfähige Chefs, Lärm oder alles andere, was wir als Belastung empfinden. Selbst Schulkinder leiden zum Teil unter Dauerstress – bis hin zu Angstsymptomen und Schuleschwänzen (Angst vor Mitschülern oder dem eigenen Versagen).

Eustress und Disstress

Hans Selye (Von biochemischen Grundlagen bis hin zum altruistischen Verhaltenscode), der als Vater der Stressforschung bezeichnet wird, prägte ursprünglich in den 30er Jahren zwei Begriffe für die positiven und negativen Formen des (an sich neutralen) Stresses. Mit Eustress bezeichnete er die aus Stress resultierenden besseren Lernerfolge und die erhöhe Leistungsfähigkeit. Distress dagegen steht für die permanente Anspannung und Überbelastung bis zum totalen Ausbrennen, dem berühmten Burn-out-Syndrom (Burnoutnet).

Jede Art von Reiz kann Stress auslösen, die Mediziner unterscheiden zwischen objektiven und subjektiven so genannten Stressoren. Objektive Stressoren sind äußere Faktoren wie Lärm, zu helles Licht, zu wenig Platz oder ähnliches. Zu den subjektiven Stressoren gehören Charaktereigenschaften oder Haltungen des Gestressten wie Ungeduld, Pessimismus, übersteigerte Erwartungen oder Ängstlichkeit.

Dauerstress führt zu Erkrankungen. Zu den bekanntesten gehören ständige Kopfschmerzen, Rückenbeschwerden und Magengeschwüre. Wer ständig gestresst ist, trägt auch ein deutlich erhöhtes Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen sowie psychologischen Störungen, die dramatisch zugenommen haben (Die Deutschen fallen in die Depression).

Aber Stress kostet nicht nur Nerven und persönliches Wohlbefinden, sondern die Gesellschaft auch viel Geld – allein in Großbritannien elf Milliarden Euro jährlich, wie eine Studie kürzlich ergab (Stress kostet Volkswirtschaft viel Geld).

Stress durch Dominanz oder Unterwerfung in der sozialen Hierarchie

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science schreibt Robert M. Sapolsky von der Stanford University über den Einfluss der sozialen Hierarchie und den daraus resultierenden Stresses auf den Gesundheitszustand von Primaten. Wie viel Stress entsteht einem sozial Unterprivilegierten aufgrund seines niedrigen Ranges in der Gesellschaft?

Beim Menschen ist der Einfluss dieses so genannten sozioökonomischen Status stark umstritten. Auch wenn Armut krank macht, bleibt doch die Frage, ob das ursächlich mit dem Stress ständiger Unterwerfung zu tun hat. Ein niedriger sozioökonomischer Status geht in westlichen Staaten mit einem Lebensstil einher, der eher exzessiv rauchen oder saufen lässt und zu weniger gesunder Ernährung und weniger Bewegung führt. Dazu kommt noch ein erhöhtes Risiko von Kriminalität und Sucht sowie weniger Urlaub.

Aber was ist dabei die Ursache, was die Folge? Darüber streiten sich die Wissenschaftler kontinuierlich. Soziale Hierarchien sind bei unseren nächsten Verwandten, den Primaten, deutlicher ausgeprägt und die Folgen für die einzelnen Gruppenmitglieder besser messbar. Die Stressanzeichen bei Affen sind dem beim Menschen sehr ähnlich.

(A und B) Kooperatives Verhaltes kann Stress-Effekte reduzieren. (A) Schimpansen helfen einander, ihr Fell zu reinigen. (B) Ein weiblicher Tamarin kümmert sich um ein Junges, während dessen Mutter frisst. (C und D) Dominanzverhalten in körperlicher oder psychosozialer Form erzeugt Stress. (C) Unter männlichen Pavianen in der Savanne kann ein Kampf enden. (D) Ein dominantes Pavian-Männchen schüchtert einen Subordinierten ein. (Bild: Carin Cain/Science)

Robert Sapolsky beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit dem Verhalten von Pavianen speziell in Belastungssituationen (We can all relate to stressed-out baboons). Die Paviangruppen in der Savanne sind ein gutes Modell, um sozial ausdifferenzierte Verhaltensweisen dieser Affen zu untersuchen, da sie relativ wenig Zeit für Futtersuche aufwenden müssen und kaum Feinde haben. Sie beschäftigen sich viel mit sich selbst. Sapolsky kommentiert:

Pavian-Gesellschaften sind ironischerweise westlichen Menschen sehr ähnlich. Wir sind ökologisch ausreichend privilegiert, das wir uns sozialen und psychologischern Stress schaffen können. Paviane in der Serengeti, die nur drei Stunden täglich arbeiten müssen, um ihren Kalorienbedarf zu decken, sind ähnlich privilegiert.

Für seine Studie nahm der Wissenschaftler aber nicht nur das Stressverhalten der Paviane sondern auch anderer Primaten genauer unter die Lupe. Seit den 50er Jahren gibt es eine Debatte darüber, ob dominante oder subordinierte Tiere mehr Stress haben. Inzwischen ist das Bild sehr differenziert.

Tatsächlich hängt die Stressintensität vom Aufwand ab, den ein Affe betreiben muss, um seinen Rang zu bestätigen, ob nun oben oder unten in der Hierarchie. In despotischen Hierarchien, wo das Führungstier immer wieder angegriffen wird und seine Vormachtstellung körperlich in Kämpfen verteidigen muss, trägt es die größte Stressbelastung. Dort, wo die Dominanz durch psychosoziale Einschüchterung abgesichert wird (z.B. Blickkontakt) und das unterlegene Tier immer wieder Unterordnungsgesten vollziehen muss, ist der Psychostress am untersten Ende der Leiter am größten. Ebenso trägt das Alpha-Tier bei instabilen Hierarchien die Hauptlast, weil es seine Position ständig verteidigen muss, während in stabilen Hierarchien die Subordinierten immer unter dem Druck der ständigen Unterwerfungsbestätigung stehen.

Kooperationsstrategien unter den Affen einer Gruppe, also wechselseitige Unterstützung, vermindern den Stress für alle Beteiligten. Wer am meisten Stress hat, hängt immer wieder von der aktuellen Situation, aber auch der grundsätzlichen Dominanz-Struktur einer Art ab. Dabei gibt es innerhalb jeder Gruppe noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern und einzelnen Individuen. Auch unter Affen ist nicht jeder gleich gestresst, gelassenere Gemüter nehmen alles nicht ganz so wichtig.

Ganz ähnlich wie beim Menschen. Nur sind die Dominanzbeziehungen nicht so klar und eindimensional wie bei den Pavianen der Serengeti. Ein Mensch, der als kleiner Angestellter einen niedrigen sozioökonomischen Status innehat, kann seinen Rang außerhalb seines Arbeitsplatzes aufwerten, indem er z.B. gleichzeitig Vorsitzender eines Vereins, einer religiösen Gemeinde oder einer politischen Gruppierung ist. In der komplexen menschlichen Gesellschaft gibt es viele Hierarchien.

Bisherige Forschungsergebnisse weisen daraufhin, dass die Selbsteinstufung in einen sozialen Rang wesentlich für den Stress ist, den man durch die soziale Ungleichheit erfährt. Schlicht formuliert: Wenn jemand den Eindruck hat, arm zu sein, erzeugt das Stress. Sapolsky kommt zu dem Schluss:

Es gibt starke Verbindungen zwischen dem sozialen Status und der Gesundheit in vielen Spezies, einschließlich den Menschen, wobei der ‚falsche’ Rang mit einem Übermaß von körperlichen und psychologischen Stressoren in Beziehung steht.

Kampf gegen den Stress

Heutzutage gehört es zum Small Talk, seinen alltäglichen Stress zu beklagen bzw. zu betonen – denn wer nicht jede Menge Hektik und Stress hat, ist auf keinen Fall ein wichtiger Top-Manager. Stress kann also auch ein Indikator für soziale Privilegierung sein – zumindest solange er nicht krank macht.

Im Internet sind folgende nicht ganz ernst gemeinte goldene Tipps zu finden, wie man sich möglichst viel Stress schaffen kann:

Erprobte Regeln, den Stress zu vermehren

  1. Nehmen Sie sich jeden Tag mehr vor, als Sie selbst im günstigsten Falle schaffen können
  2. Arbeiten Sie ohne Pause und hastig
  3. Arbeiten Sie, bevor Sie gedacht haben, das sorgt für Überraschungen, Mehrarbeit und ärgerliche Situationen
  4. Schieben Sie alles Unangenehme und Wichtige möglichst lange vor sich her
  5. Erledigen Sie vormittags Ihre Routineaufgaben und nachmittags das Wichtige
  6. Nehmen Sie es mit Zusagen und Terminen nicht so genau – es ist doch so herrlich spannend, sich immer neue glaubwürdige Ausreden einfallen lassen zu müssen
  7. Arbeiten und leben Sie ohne Ziele, ohne Plan – Leute mit Plan sind ungemütlich und ohne jegliche Spontaneität
  8. Machen Sie alles auf einmal und nicht eines nach dem anderen
  9. Arbeiten Sie besonders eifrig, wenn Sie das Ziel nicht kennen – die Hauptsache ist, Sie sind beschäftigt
  10. Tun Sie alle Dinge so wie wir sie immer schon getan haben
  11. Lassen Sie sich von anderen bereitwillig und zu jeder Zeit bei Ihrer Arbeit unterbrechen, die läuft Ihnen ja nicht weg, denn sonst sind Sie schon bald nicht mehr "in"

Andererseits erkennen immer mehr Ärzte die Wichtigkeit, präventiv gegen Stress anzugehen und nicht mehr nur die Symptome der Folgekrankheiten zu bekämpfen. Krankenkassen empfehlen Entspannungstherapien von autogenem Training bis Yoga (Techniker Krankenkasse). Alternativ kann man es passend zum Weltlachtag am 1. Mai mit viel Lachen probieren. Oder man folgt schlicht der Empfehlung des Stressforschers Hans Selye, der allen allzu Gestressten riet:

Tun Sie, was Ihnen gefällt und was Sie schätzen, ohne sich Gedanken zu machen über Kritik, Skandal oder das Geld, das Sie einbüßen, wenn Sie vom allgemein akzeptierten Standardverhalten abweichen.