Afghanistan: Aufnahme von rückkehrenden Flüchtlingen in großer Zahl nicht möglich

De Maizière will die Rückführungsquote abgelehnter Asylsuchender aus Afghanistan erhöhen. Das Ministerium für Flüchtlingsangelegenheiten in Kabul hält entgegen: Man habe keine Mittel, um sich um die Abgeschobenen zu kümmern

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Es ist nicht lange her: Vor zweieinhalb Jahren gab es eine Diskussion darüber, ob afghanische Helfer, zum Beispiel Dolmetscher der deutschen Bundeswehr, Visa erhalten sollen. Die Deutschen gaben sich entschlossen restriktiv bei der Ausgabe der Visa, die afghanischen Mitarbeiter machten ihre Furcht geltend, nach dem Abzug der Bundeswehr Opfer der Taliban zu werden.

Man müsse also "von Einzelfall zu Einzelfall" prüfen, ob jemand "nachweislich" bedroht werde, zitierte ein Spiegelbericht im April 2013 einen Vertreter des Innenministeriums. Afghanistan sei sicher, die Bundeswehr habe gute Arbeit geleistet, die gut Qualifizierten sollten doch besser im Land bleiben, so der Tenor.

"Jetzt mal aufhören mit dem Rumgeheule"

Die Aufregung und das Hin-und Her machten beträchtlichen Wind in den Medien angesichts der überschaubaren Zahlen. Der Spiegel berichtete von 1.600 Afghanen, die für deutsche Einrichtungen arbeiteten. Der Tagesspiegel meldete im Oktober 2013, dass in der Diskussion um die Zukunft afghanischer Mitarbeiter der Bundeswehr eine erste Entscheidung gefallen sei: 150 Afghanen würden eine Zusage erhalten, mit ihren Familien nach Deutschland zu kommen. Laut Spiegel zählte man damals 1.350 Afghanen, die für die Bundeswehr arbeiteten.

Rückkehr afghanischer Flüchtlinge (aus Pakistan) im Jahr 2004. Bild: USAID

Dass diese Zahlen damals eine größere Diskussion entfachten, erscheint heute absurd, ebenso wie das damalige Insistieren, dass der Afghanistan-Einsatz eine Erfolgsgeschichte ("Jetzt mal aufhören mit dem Rumgeheule") war.

De Maizière: Man kann erwarten, dass Afghanen in ihrem Land bleiben

Laut einem Bericht des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum Illegale Migration (Gasim) - daran beteiligt sind die Bundespolizei, das Auswärtige Amt, das Bamf, das BKA, BND und der Verfassungsschutz -, der vor gut zwei Wochen bekannt wurde, ist Afghanistan zum drittstärksten Herkunftsland der Flüchtlinge geworden, nach Syrien und Irak.

Die Rede war plötzlich von bis zu 100.000 Afghanen, die monatlich ihr Land verlassen, und einer großen Menge davon, die Deutschland zu Ziel haben

Die Zahl der illegal nach Deutschland Eingereisten habe sich in den ersten acht Monaten 2015 im Vergleich zum Vorjahr verachtfacht, heißt es in dem Papier. Im laufenden Jahr wurden demnach bis Ende September in Deutschland rund 52.000 Flüchtlinge aus Afghanistan registriert (…). Es sei davon auszugehen, dass Afghanistan als "Herkunftsland illegaler Migration" für Deutschland von "herausragender Bedeutung" bleiben werde.

Spiegel

Dazu wurde berichtet, dass rund eine Million Afghanen auf bereist beantragte Pässe warten und die Passämter in ihrem Land auf Hochtouren arbeiten. Bis zu 7.000 neue Pässe sollen täglich ausgestellt werden. Die Zahlen fügen sich zum Bild einer unkontrollierten Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland, das gegenwärtig die Diskussion bestimmt. So reagierte die Berliner Regierung vergleichsweise schnell mit der Forderung, an der geringen Abschieberate zu schrauben (angeblich gab es nur 150 Abschiebungen von Afghanen im Zeitraum von Januar bis August 2015) - mit dem sehr strittigen, alten Argument, wonach in Afghanistan sicher sei.

Deutsche Soldaten und Polizisten tragen dazu bei, Afghanistan sicherer zu machen; es sind viele, viele Summen von Entwicklungshilfe nach Afghanistan geflossen, da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.

Thomas de Maizière

Im September habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMF) 4.500 Asylanträge von Afghanen bearbeitet und lediglich 500 abgelehnt. Der Innenminister fordert nun, dass die Zahl künftig viel höher sein soll und erntet damit erheblichen Widerstand vonseiten der Grünen, der Linken und Pro Asyl, die auf die desolate Situation in Afghanistan hinweisen, wie Volker Beck, auf den Bürgerkrieg und die Verfolgung am eben nicht befreiten oder befriedeten Hindukush.

Diesen Zustand der Nichtabschiebung bei gleichzeitiger Verweigerung eines Schutzstatus will die Bundesregierung offenbar jetzt beenden - zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Rund 7000 geduldete Afghanistan-Flüchtlinge könnten von den geplanten Abschiebungen betroffen sein. Das Schicksal der oft bereits seit Jahren in Deutschland lebenden Flüchtlinge soll nun offenbar zur Abschreckung jener missbraucht werden, die sich aktuell in Afghanistan zur Flucht entschließen.

In der Tat wollen sich viele Menschen in Afghanistan nach der Eroberung von Kundus und der ständig zunehmenden Gewalt nicht mehr mit den üblichen Verharmlosungen abspeisen lassen, die im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan seitens der westlichen Staaten immer wieder verkündet werden. Angesichts der sich verschärfenden Situation der Sicherheitslage und den Erfolgen der Taliban ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan weiter steigt.

Pro Asyl

Mehr Geld für ein neues Abkommen?

Das größere Hindernis für die Forderung von de Maizière nach einer größeren Zahl von Rückführungen, der sich auch Kanzleranwärter Schäuble angeschlossen hat, ist jedoch die afghanische Regierung.

Dazu fehle ein Abkommen, heißt aus dem Flüchtlingsministerium in Kabul. Man sehe sich derzeit nicht verpflichtet , abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurückzunehmen.

Deutschland solle mehr statt weniger afghanische Flüchtlinge ins Land lassen, so der afghanische Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Sayed Hussain Alimi Balkhi kürzlich in einem Interview. Man habe keinerlei Mittel, um sich um abgeschobene Flüchtlinge aus Deutschland oder einem anderen europäischen Land zu kümmern. Nur eine Frage des Geldes? (EU-Kommission soll Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan aushandeln).