Afghanistan: Das Ende des US-Militäreinsatzes in Sicht

Bild: US-Verteidigungsministerium / gemeinfrei

Die USA und die Taliban haben laut Medienberichten große Fortschritte bei einer Vereinbarung erzielt, die den Abzug aller US-Truppen und ihrer internationalen Verbündeten regelt

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Die USA sind dabei, sich aus einem Schlamassel und einer Mördergrube herauszuziehen, die sie vor 40 Jahren selbst angelegt haben. 1979 begannen die USA damit, dschihadistische Guerillakämpfer in Afghanistan, "Mudschahedin", mit reichlich Waffen und Geld zu versorgen, um es der Sowjetunion im Kalten Krieg im strategischen wichtigen Land so schwer wie möglich zu machen. Manche sprechen deutlicher davon, dass die Taktik der USA unter Präsident Carter darin bestand, die russische Armee, die ein halbes Jahr später in Afghanistan einmarschierte, in die Falle laufen zu lassen.

Die Bewaffnung der Guerilla-Einheiten hat die Verhältnisse in Afghanistan und in Pakistan seit 1979 stark verändert. Das Aufkommen von al-Qaida und der Taliban ist Teil dieser Entwicklung. Kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 sind die USA an der Spitze einer Koalition in Afghanistan einmarschiert mit dem Ziel, die Verantwortlichen, die Planer des Anschlags von al-Qaida und deren Gastgeber, die Taliban, zur Rechenschaft zu ziehen, zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass von Afghanistan aus nie wieder solcher Terror ausgehen kann.

Am Wochenende hieß es, dass die Zeichen für einen Rückzug der USA aus Afghanistan gut stehen. "Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Taliban sind nach sechs Tagen einer der bislang ernsthaftesten afghanischen Friedensverhandlungen dabei, eine Vereinbarung abzuschließen", meldete die New York Times.

In der anderen großen US-Zeitung, der Washington Post, war die gleiche Botschaft zu lesen. Die Verhandlungen in Qatar seien dabei, den Abzug der US-Truppen nach 17 Kriegsjahren einzuleiten. Ein historisches Ereignis, das hier und da mit dem fluchtähnlichen Abzug aus Vietnam, 1975, verglichen wird.

Noch sei nichts spruchreif, sagt der US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, und in der Vergangenheit sind aussichtsreiche Verhandlungen gescheitert, aber dass beide sechs Tage, "länger als je zuvor", mit einander gesprochen haben, zeige, dass beide Seiten ernsthaft arbeiten, hebt auch der deutsche Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig hervor. Sehr deutlich ordnet Thomas Joscelyn vom Long War Journal die Lage ein.

Für ihn steht der Abzug fest, daran sei nicht mehr zu rütteln, es gehe für die US-Regierung nur darum, ihn so gut wie möglich aussehen zu lassen.

Die USA werden sich zurückziehen, egal ob es einen Deal gibt oder nicht. Die afghanische Regierung war nicht einmal bei den Verhandlungen dabei. Die Taliban haben vom ersten Tag an klargestellt, dass sie nicht mit Ghanis Regierung sprechen wollen und dass sie die ausländischen Truppen aus dem Land haben wollen. So viel zum "afghanischen Prozess". Die USA ist auf die eine oder andere Art raus.

Thomas Joscelyn

Binnen 18 Monaten könne der Abzug aller US-Streitkräfte durchgeführt werden, sollen die USA nach Informationen von Reuters den Taliban als Bereitschaft signalisiert haben. Diese würden den Abzug aller 22.000 ausländischen Truppen fordern, so Thomas Ruttig. Die amerikanische Truppenstärke wird auf 14.000 geschätzt. Die USA kündigten vor wenigen Wochen Pläne an, dass die Hälfte demnächst nach Hause zurückkehren solle (Afghanistan: USA im Rückwärtsgang). Das wurde von Beobachtern bereits schon als erster Schritt für einen größeren Rückzug gewertet.

Eine wichtige Rolle dafür spielten auch die Ereignisse während einer Waffenstillstandsphase im Juni vergangenen Jahres in Afghanistan. Die Taliban bemühten sich ein Bild abzugeben, das sich möglichst von der Zeit ihrer Herrschaft in den 1990er Jahren unterschied, die als grausame und diktatorische Schreckensherrschaft mit einer reaktionären, fundamental-brachialen Scharia-Auslegung berüchtigt wurde. Die Erfahrungen waren so, dass die USA mit größerem Einsatz am Ziel der Verhandlungen mit den Taliban arbeiteten.

Das Scheitern der militärischen Strategien

Die militärischen Strategien, die Taliban als Bittsteller an den Verhandlungstisch zu bekommen, scheiterten. Was zum einen an den einander gegenläufigen Strategien des Verteidigungsministeriums und der CIA in Afghanistan lag, wie es bei Moon of Alabama sehr klar dargestellt wird, zum anderen an der jahrelangen Eroberungsaktivitäten der Taliban, die ihr Territorium in den letzten Jahren ständig vergrößern konnten. Dagegen war offensichtlich kein amerikanisches Kraut gewachsen - und Brutalität mit Hilfe von afghanischen Spezialtruppen, die gnadenlos vorgehen, half auch nicht dabei, der US-Präsenz im Land ein besseres Standing in der Bevölkerung zu geben.

Wie nun der große Waffenstillstand geregelt werden soll, ist noch nicht wirklich ausgemacht. "Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist", kommentiert der US-Verhandler Khalilzad, der auf einen "umfassenden" Waffenstillstand aus ist. Dazu gehören Gespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, die von diesen nicht anerkannt wird. Das gilt allgemein als sehr großes Hindernis.

Menschenrechte und Terror

Auch bei den Eliten des Landes gibt es große Widerstände, da sie befürchten müssen, dass die Vereinbarung mit den Taliban zu einem Wechsel der Machtverhältnisse führt, der nicht zu ihrem Vorteil ist, um es gelinde zu sagen. Auch Frauen und Minderheiten befürchten, nachvollziehbar nach alledem, was von islamistischen Fundamentalisten zu erwarten ist, dass ihr Leben sehr viel schwieriger wird, wenn die Taliban erst am Tisch der Macht sitzen. Wie viel die Zusagen, die die Taliban jetzt gegenüber den US-Vertretern machen, in punkto Menschenrechte noch wert sind?

Beobachter wie der genannte Thomas Joscelyn misstrauen den offenbar gemachten Zusagen der Taliban, wonach sie jede "militante Gruppe in Afghanistan verhindern werden, die von dort aus auf terroristische Anschläge in anderen Ländern abzielt". Solche Zusagen habe es von den Taliban schon früher gegeben und sie hätten sich nicht daran gehalten.

Nun haben die Autoren des Long War Jounrnals, das vom Neo-Con-Think Tank FDD finanziert wird, ihre eigene politische Agenda. Aber es wird interessant sein, welche genauen Abmachungen die USA mit den Taliban zu diesem Punkt finden werden. Interessant sein dürfte auch, wie der Kampf gegen den IS in Afghanistan weitergeführt wird - und wie sich Pakistan, Indien, Russland, China und Iran zum Abkommen der USA mit den Taliban verhalten werden. Die nächste Verhandlungsrunde zwischen den US-Vertretern und den Taliban soll im Februar stattfinden.

Nach den bisherigen Erfahrungen wären die Chancen auf gelingende Resultate bei den Gesprächen mit den Taliban nicht allzu hoch einzuschätzen, wie das auch im Detail etwa bei den Gesprächsrunden 2010 von Ahmed Rashid in seinem Buch "Pakistan on the Brink" geschildert1 wird. Nicht zuletzt weil manche außenstehenden Mächte wenig Interesse an ihrem Gelingen haben.