Afghanistan: Nato-Generalsekretär Rasmussen wird nervös

Bild: NATO Training Mission Afghanistan command changes hands/CC BY-SA 2.0

Die Zeit für die Entscheidung, ob die Nato-Truppen abziehen müssen oder Kontingente bleiben dürfen, läuft ab. Die geplante Einheitsregierung der beiden zerstrittenen Präsidentschaftskandidaten steht auf brüchigem Boden

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Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist nervös. In diesem Fall geht es nicht um die Ukraine und die russische Bedrohung, sondern um Afghanistan. Auch dort habe die Nato robuste Entscheidungen zu treffen und zwar bald, warnte Rasmussen am Montag. Es geht um den Totalabzug aus Afghanistan. Anfang September stehe ein Gipfeltreffen der Nato in Wales an und um diesen Zeitpunkt herum müsse man auch eine Entscheidung fällen. "Wenn es keine legale Basis gibt für eine weitere Präsenz, dann müssen wir alles bis zum Jahresende abziehen, und um das zu bewerkstelligen, müssen wir sehr bald mit den Planungen anfangen."

Welche Rolle Afghanistan für Russland, dem Gegenüber, an dem sich Rasmussen in der vergangen Zeit am meisten hochgeschraubt hat, spielt, ist nicht eindeutig; Russland würde sich wieder für Afghanistan erwärmen, heißt es in einem geschichtlichen Überblicks-Artikel des Afghanistan Analyst Network.

Die russisch-afghanischen Beziehungen würden sich demnach seit einiger Zeit verbessern. Was etwa daran abzulesen ist, dass sich der bisherige afghanische Präsident Karsai äußerst positiv zur Krim-Politik Putins ausgesprochen hat. Und man kann davon ausgehen, dass der Abzug der Nato-Truppen von der russischen Führung als Möglichkeit wahrgenommen wird, den Einfluss Russlands auf Aghanistan auszubauen.

Welche Akzente dabei gesetzt werden, ob Afghanistan vor allem als Schlüsselfaktor der Sicherheitsstrategie in Zentralasien begriffen wird oder ob wirtschaftliche Verbindungen ausgebaut werden und Afghanistan als Partner wichtiger, nichtwestlicher Bündnisssysteme eine größere Rolle spielen soll - so hat Russland Afghanistan schon vor einiger Zeit den Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) angeboten - , ist laut Thomas Ruttig noch nicht ganz deutlich zu erkennen. Russland beobachte die Vorgänge zwischen Nato und Afghanistan sehr genau.

Nato: Alles hängt von dem Abkommen ab

Anzunehmen ist, dass es Rasmussen angesichts des Aufbaus der Fronten zwischen Westen und Osten, an der er erheblich mitwirkt, nicht gleichgültig ist, ob die Nato-Truppen Ende des Jahres abziehen müssen. Alles hängt von dem Abkommen ab, das mit der neuen afghanischen Regierung zu treffen ist. Mit Karsai gelang es den USA nicht und damit auch nicht der Nato. Und genau an diesem Punkt wird es kompliziert.

Zwar hat der US-Außenminister John Kerry die beiden zerstrittenen afghanischen Präsidentschaftskandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah zu einer gemeinsamen Erklärung bringen können, mit der sie öffentlich bekundeten, dass sie zusammen eine Regierung der Nationalen Einheit bilden würden. Aber der Deal steht, wie gestern noch einmal deutlich wurde, auf brüchigem Boden.

Eine Farce

Auf den Punkt gebracht findet man die verfahrene Situation in einem Artikel der Frankfurter Rundschau, wo die Abmachung und die Krisenbewältigung mit Farce überschrieben wird und der Schluss, der daraus gezogen wird, realistisch kühl: Es gibt keine Vereinbarung, worauf die Nato bauen kann und die Klärung kann sich bis weit in den Herbst, November, und möglicherweise auch darüberhinaus hinziehen. Oder sie entfällt ganz.

Es geht um Wahlbetrug bei der letzten Präsidentschaftswahl Afghanischer Wahlverlierer droht mit Parallelregierung..) und darum, dass Stimmen neu ausgezählt werden müssen. Vereinbart ist, dass 23.000 Wahkurnen neu ausgezählt werden müssen, das ist erfahrungsgemäß bis November nicht zu erwarten, manche halten das ganze Unterfangen gar für eine Unmöglichkeit. Dem ging ein heftiger Streit zwischen den beiden Lagern der Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah voraus.

Beide waren sich darüber einig, dass Wahlbetrug vorlag, aber nicht darüber in welchem Ausmaß und wieviel neu ausgezählt werden muss. In der ersten Runde war Abdullah Abdullah Sieger mit einem beträchtlichen Vorsprung, in der Stichwahl gewann Ashraf Ghani mit einem überraschenden Vorsprung, der nach der ersten Runde überhaupt nicht zu erwarten war - und erklärungsbedürftig. Als der Streit immer verfahrener wurde, schritt Kerry ein.

Es kam Anfang August zur oben genannten versöhnlichen Vereinbarung der beiden Kandidaten. Beobachtern war aber klar, dass die Versöhnung nur so lange halten würde, bis sich einer der beiden Wahlsieger bewusst wird, dass er eben nur Ministerpräsident ist und nicht Präsident. Anscheinend haben sich die Kandidaten die Situation jetzt schon vorgestellt.

Legimitationsdefizite und Opposition

Es läuft auf einen phyrrischen Sieger hinaus, so die Washington Post. Bleibt es beim Streit, der sich gerade wieder anheizt, dann wird es nichts mit der Regierung der Nationalen Einheit und der Gewinner hat einen Legitimationsmakel. Und damit auch jede Vereinbarung, die er mit den USA oder der Nato trifft.

Beide Kandidaten, Abdullah Abdullah wie der frühere Weltbank-Funktionär Ashraf Ghani bemühten sich schon im Vorfeld der Wahlen zu erklären, dass sie einem Abkommen mit den USA und damit auch mit der Nato positiv gegenüberstehen. Karsai war dagegen, er achtete in seinen letzten Amtsjahren darauf, sich von den USA und den internationalen Truppen zu distanzieren. Das hat seiner Popularität und seiner Stellung in den Clan-Machtfilialen nicht geschadet, er gilt nach wie vor als wichtiger Machtfaktor in der politischen Szene Afghanistans.

Zudem bildet sich in Afghanistan ein bemerkenswerter Block mit neuen radikalen politischen Parteien, denen ein politisches Ziel gemeinsam ist: keine US-Truppen, keine Nato-Truppen. Das ist eine Entwicklung, die Rasmussen nicht gefallen wird.