Afghanistan à la française

Ein Transporthubschrauber der Bundeswehr bringt im Rahmen von Minusma U.S. Army Rangers nach Timbuktu. Bild: Defensie / Public Domain

Wenige Monate nach der Flucht vom Hindukusch könnte die Bundeswehr zum überstürzten Abzug aus Mali gezwungen sein

Ein halbes Jahr nach der Blamage in Afghanistan steht die Bundeswehr in Mali erneut knapp vor einem ähnlichen Schlamassel. Und auch wenn sich der Ort des Geschehens geopolitisch ganz woanders befindet, lassen sich Parallelen nachweisen. Eine liegt darin, dass es wie schon beim Beginn des Dramas am Hindukusch einen Initialzünder gibt: Dort die USA, hier Frankreich.

Seit dem Militärputsch von 2012 droht das durch Korruption und individuelle Machtgelüste marode regierte Land in eine Militärdiktatur abzudriften, die nur noch kaum mehr auf einer Ebene mit der EU agiert.

Die Franzosen sahen in ihrer früheren Kolonie endgültig die Felle wegschwimmen, als die neuen Diktatoren mit ihrer Armee in einen Bürgerkrieg gegen ein Konglomerat aus unterschiedlichen Rebellentruppen gerieten, und starteten eine Militäraktion auf eigene Rechnung.

Als ehemalige Kolonialmacht fürchtet Paris nicht nur um die rund 7.000 in Mali lebenden Franzosen. In Frankreich selbst gibt es eine große malische Bevölkerungsgruppe. Die Angst geht um, dass über diese Kanäle der Terrorismus im eigenen Land geschürt werden könne, wenn der Norden Malis unter die Kontrolle von fanatischen Islamisten fiele.

Daneben verfolgt Frankreich aber auch veritable wirtschaftliche Interessen. So liegen im Norden Malis die von Frankreich ausgebeuteten Uranminen, die das Land dringend für seine "grünen" Atomkraftwerke braucht. Besonders involviert ist hier der staatlich geführte Atomkonzern Areva. Nicht zu vergessen, ist Frankreich auch militärisch eine Atom-Macht.

Man müsse das militärische Engagement Frankreichs auch im Hinblick "der Sicherung seiner eigenen Energieversorgung mit preiswertem Uran" aus Mali und dem Nachbarland Niger einordnen, geben Nichtregierungsorganisationen zu bedenken.

Außerdem ist Mali der drittgrößte Goldproduzent Afrikas, an dessen Förderung vorrangig internationale Claims beteiligt sind. Die Bevölkerung hat von dem Rohstoffreichtum kaum etwas, Mali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt.

Und wieder konnte man nicht "nein" sagen

Wie schon beim Tritt in die Afghanistan-Falle konnte die Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich eines Engagements in Mali kein eigenes Interesse daran haben. In beiden Fällen geschah dies aus Solidarität gegenüber Verbündeten. Nur musste Deutschland von den französischen Nachbarn nicht so unverschämt genötigt werden wie 2002 von Bush & Co. Dass Frankreich und Deutschland eng zusammenstehen, wenn es um internationale Belange geht, hat Tradition seit der Gründung der EG (später EU).

Für Frankreich war es 2013 ein Leichtes, Partner in EU und internationaler Staatengemeinschaft für ihr Mali-Kommando zu gewinnen. Obwohl sich die Aussichtslosigkeit der Afghanistan-Kampagne längst abzeichnete und trotz Mogadischu und Irak waren die Weltexperten:innen immer noch mehrheitlich der Auffassung, dass solche "Friedensmissionen" Sinn ergeben.

So kam es zu den zwei Mandaten, die das Unternehmen bis dato "legitimieren": United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (Minusma) und der European Union Training Mission Mali (EUTM Mali).

Den meisten Abgeordneten des Bundestages fiel es 2013 anscheinend nicht schwer, sich auf Antrag der damaligen Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP für eine deutsche Beteiligung zu entscheiden. Nur Die Linke stimmte dagegen. So wurden auch die folgenden Mandatierungen abgenickt.

Interessant ist dabei das Verhalten der heutigen Ampel-Koalitionäre:innen. Die FDP immer voll dafür, ebenso die SPD, bei der "Friedenspartei" (Grüne) gab es ab 2020 ein zartes Umdenken, was zunächst zu Enthaltungen und im Mai 2021 schließlich zur breiten Ablehnung führte.

Und wieder in einer hybriden Kampfzone

Ähnlich wie in den umkämpften Provinzen um Kabul sind die deutschen Soldaten:innen in Mali in eine Gemengelage von Gefahren, Risiken und Unwägbarkeiten geraten. Nur die Gegend um die Hauptstadt Bamako gilt als relativ sicher.

Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, sieht dort deutlich wachsende militärische und politische Gefahren. "Rein militärisch sehe ich Parallelen zu Afghanistan in den Methoden und Verfahren der terroristischen Gruppen. Anschläge mit Sprengfallen (IED) und komplexe Hinterhalte sind auch in Afrika Realität", sagte er gegenüber der dpa. "Hinzu tritt noch der Einsatz moderner Technik. Drohnen- und Raketenangriffe nehmen deutlich zu." Das deckt sich mit Beobachtungen internationaler Militärexperten.

Nachrichtendienste gaben die Zahl der Kämpfer der Islamisten zuletzt mit rund 2.000 an. Zu nennenswerten Operationen sind sie nicht mehr in der Lage, doch auf der Basis der hybriden Kampfführung ist ein militärisches Gegenhandeln der UNO-Truppen mehr als schwierig.

Die Bundeswehr ist in dieser unübersichtlichen Kampfzone mit etwa 1.400 Männern und Frauen beteiligt und steht zwischen den Fronten verschiedener, mit äußerster Brutalität und Menschenverachtung agierenden Gruppierungen.

In nicht kontrollierbaren Flecken vollstrecken immer noch selbst ernannte Richter, ganz nach dem Vorbild afghanischer Taliban, Todesurteile gegen vermeintliche Ketzer, hacken Dieben die Hände ab und verfolgen Frauen, die sich gegen Zwangsheirat wehren.

Gleichzeitig erweisen sich die eigentlichen Verbündeten, das Militär in Mali, als problematisch. Malische Bürger:innen und internationale Organisationen werfen der regulären Armee schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Konflikte zwischen konkurrierenden Offizieren werden in offener Gewalt ausgetragen.

Aktuell haben die Spannungen zwischen der Militärjunta und den internationalen Einsatztruppen zugenommen. Der französische Botschafter ist ausgewiesen worden, ebenso dänische Spezialkräfte.

Dazu kommen Berichte über russische Söldner, denen die Führung um Interims-Staatschef Assimi Goïta mehr vertraue als ihren westlichen Partnern. Die Provokationen seitens der derzeitigen Machthaber gipfelten am 19. Januar darin, dass sie einer Bundeswehrmaschine die Überflugrechte verweigerten.

Ein Wunder eigentlich, dass in diesem brandgefährlichen Chaos neben einem erheblichen Anteil an Verletzten bislang "nur" zwei Todesopfer auf deutscher Seite zu beklagen sind. Es handelt sich um Soldaten, die 2017 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind. Die gesamte Mission Minusma gilt allerdings als einer der verlustreichsten Uno-Einsätze überhaupt, mit fast 250 Toten (Stand 2021).