Afrikas Schatz, den keiner heben will

Die internationalen Energiekonzerne wollen neue afrikanische Erdölfelder nur noch selten erschließen

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Die Regierung Namibias kommt mit ihrem aktuellen Haushaltsplan überhaupt nicht zurecht. Denn auf der ohnehin recht unsicheren Einnahmenseite klafft plötzlich ein großes Loch. Dabei hatte Energieminister Jesaya Nyamu eigentlich vor, den Staatssäckel in diesem Jahr prall zu füllen. Großspurig hatte sein Ministerium einen mehrstufigen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem es den multinationalen Erdölkonzernen 95 Prozent der Explorationsrechte vor Namibias Küste anbot. Dieses Gebiet soll immerhin so ergiebig sein wie das Kongo-Bassin mit seinen 20 Milliarden Barrel Erdölreserven. Dennoch lief Ende März die Frist für Gebote aus, ohne daß die Multis in der letzten Runde des Wettbewerbs auch nur einen einzigen Antrag gestellt hätten.

Die namibische Pleite ist in Afrika kein Einzelfall. Der Kontinent hadert mit dem Welthandel. Einerseits ist es deutlicher denn je, daß in Afrika und besonders vor seinen Küsten wesentlich mehr Erdöl zu holen wäre, als das momentan der Fall ist - allein in den Gewässern vor Westafrika werden nach jüngsten Funden 20 Prozent der weltweiten Rohölreserven vermutet. Andererseits ist das Interesse der internationalen Ölmultis wie BP, Exxon oder Mobil, neue Fördergebiete zu erschließen, zur Zeit auch so gering wie noch nie. Afrika sitzt auf einem Schatz schwarzen Goldes, den niemand heben möchte.

Die Gründe für die mangelhafte Abenteuerlust der Ölbarone liegen vor allem in der geringen Nachfrage und der damit verbundenen unsicheren Preisentwicklung auf dem Weltmarkt. 1998 ist der Preis für Rohöl um 35 Prozent gefallen. Nach einer Studie der Welthandelsorganisation WTO sank der Anteil des Rohstoffaustauschs am gesamten Welthandel 1998 zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wieder unter 20 Prozent. Gegen Jahresende stürzte der Ölpreis gar auf unter 11 US-Dollar pro Barrel. Es folgte zwar eine deutliche Erholung zwischen Februar und April; aber Experten sehen darin nur ein kleines Zwischenhoch. Sie prognostizieren, daß der Preis schon bald wieder im Keller landet - besonders da die OPEC momentan gut zwanzig Prozent unter ihrer Kapazitätsgrenze produziert.

Sparen ist also in den Chefetagen der Ölkonzerne angesagt. Die Royal-Dutch/Shell-Gruppe, Elf Aquitaine und Mobil zum Beispiel haben ihre Budgets für Explorationen um ein Fünftel gekürzt. Einer neuen Untersuchung zufolge betragen die momentan bestätigten und wirtschaftlich förderbaren Ölreserven 140,6 Milliarden Tonnen weltweit, was beim augenblicklichen Verbrauch den Bedarf für die nächsten 50 Jahre decken würde. Angesichts dieser ausreichenden Reserven und des niedrigen Marktpreises will in dieser Phase niemand Millionen in Projekte investieren, deren Erfolg nicht hundertprozentig sicher ist. Die afrikanischen Tiefseefelder sind schwer zu erforschen, und selbst wenn die Vorkommen bestätigt würden, wäre auch die Förderung sehr kostspielig. Zuviel Risikofaktoren für die auf Sicherheit bedachten Ölbosse. "Wir glauben nicht, daß zu diesem Zeitpunkt, der von den niedrigen Preisen beherrscht wird, es viel Begeisterung für neue Explorationen geben wird", prognostiziert auch der für Namibia zuständige Shell-Manager Eckart Meyn.

Die afrikanischen Staaten sitzen somit in der vielzitierten Globalisierungsfalle. Kein Kontinent ist stärker abhängig von dem momentan so schwächelnden Rohstoffmarkt. Ein Land wie Nigeria bezieht zum Beispiel 98 Prozent seiner Deviseneinnahmen aus dem Ölexport. Alles, was vielen afrikanischen Staatschefs dazu einfällt, sind oftmals Pauschalaussagen und Binsenweisheiten. So philosophiert der namibische Premierminister Hage Geingob: "Energieversorgung war schon immer ein weltweites Geschäft, aber jetzt hat die Globalisierung weitaus größere Auswirkungen. Wir müssen dies akzeptieren und unsere Politik so ausrichten, daß sie auf das neue Umfeld reagieren kann."

Doch den Worten folgen nur zu oft keine oder halbherzige Taten. Vielen Staaten Afrikas ist es immer noch nicht gelungen, ein günstiges Umfeld für Investitionen der Erdölkonzerne zu schaffen. Die klagen immer noch über eine hinderliche Überregulierung. Preiskontrolle und staatlich gelenkte Ölkonzerne machen den Kontinent international immer noch wenig konkurrenzfähig. Der amerikanische Staatssekretär für Energie, Bill Richardson, klagt über ein "zu unattraktives Investitionsklima für amerikanische Firmen": "Amerikanische Investitionen in vielen afrikanischen Staaten stoßen immer noch auf Barrieren, die geschaffen wurden, um instabile Regierungen zu schützen." Afrika tue zu wenig, um diese Barrieren abzubauen. Eine Einschätzung, die besonders von Vertretern der südafrikanischen Industrie geteilt wird: "Die Ölwelt ändert sich rasend schnell, nicht aber die afrikanische", urteilt Brian Paxton vom südafrikanischen "Mbendi Informationsservice". Sein Kollege Duncan Clarke, Vorsitzender von "Global Pacific und Partner Südafrika" sieht das Hauptproblem darin, daß fast alle Regierungen des Kontinents den Ölmarkt zu langsam deregulieren. "Im internationalen Vergleich wird Afrika so immer weiter zurückfallen", prophezeit er.

Es gibt nur wenige Gegenbeispiele erfolgreicher afrikanischer Ölpolitik, die anderen Ländern den Weg weisen könnten. Die Elfenbeinküste hat so im Bereich Deregulierung einiges erreicht. Besonders die Privatisierung der Ölraffinerie SIR in Abidjan ist eine Erfolgsgeschichte. Das Werk gilt inzwischen als die leistungsfähigste Raffinerie Schwarzafrikas. Der Generaldirektor der ivorischen Ölgesellschaft Petroci, Ernest Koffi Koffi, bezeichnet die Hafenstadt Abidjan bereits stolz als das "Rotterdam Afrikas".

Doch eine gezielte und stabile Energiepolitik wie an der Elfenbeinküste ist in Afrika immer noch die Ausnahme. Viele Erdölstaaten sind zudem politisch hochgradig instabil. Dort werden um die Rohstoffe sogar Bürgerkriege geführt. In Angola, das neben Nigeria als afrikanischer Erdölriese gilt, verbraucht der Krieg der Regierung gegen die Rebellenbewegung Unita praktisch sämtliche Rohstoffeinnahmen des Landes. Ähnlich sieht es im Sudan aus.

In solchen Fällen sind die internationalen Erdöl-Multis ohnehin schon dazu übergegangen, das Faustrecht selbst zu übernehmen. In Bürgerkriegsstaaten schützen so gut wie immer Söldnerkonzerne die Besitztümer der Erdölfirmen. Selbst vor einer Einmischung in die Konflikte schrecken die westlichen Manager nicht zurück. Im Hintergrund werden Politiker und Regierungen manipuliert, um den Erdölexport zu begünstigen. Als sich in Kongo-Brazzaville 1997 die Machtübernahme durch Denis Sassou Nguesso abzeichnete, mußte die französische Gesellschaft Elf-Aquitaine handeln. Immerhin fördert der Konzern dort jährlich 7,1 Millionen Tonnen Erdöl. Also schlugen sich die Ölbosse auf die Seite des Aufständlers. Gerüchte sagen sogar, daß der französische Multi 105 Millionen Dollar in Nguessos Kriegskasse gezahlt habe. Als dessen Soldaten dann ein Ölterminal von Elf-Aquitaine in der Küstenstadt Pointe Noire besetzten, ging die Produktion auf wundersame Weise reibungslos weiter.