Alienscheu der Astrophysik

Vierhundert Jahre Leugnung des belebten Weltraums

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Vor vierhundert Jahren war die Ansicht von einem allgemein belebten Weltall noch ein todeswürdiges Verbrechen, wenn man sie nicht für sich behielt. Der italienische Freigeist Giordano Bruno (1548 - 1600) wagte laut und deutlich darüber zu sprechen und landete auf dem Scheiterhaufen. Zum Verhängnis wurden ihm Äußerungen wie: "Darum habe ich stets behauptet, daß es unzählige Welten ähnlich dieser Erde gibt."

Soviel Weitblick ging der mächtigen Mutter der Kirche über die Hutschnur. Wenn der Ketzer Recht behielte, so fürchtete der Klerus, würde die Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus in Frage gestellt. Sie macht schließlich das Kernstück der christlichen Lehre aus. Warum sollte Gottes Sohn ausgerechnet hierher kommen, wenn der blaue Planet nur eine unter vielen anderen ist? Auch die Rolle des Papstes als einzigem Stellvertreter Gottes mitsamt seiner Unfehlbarkeit geriete zu eitlem Wahn. Nicht zuletzt wären von einer aufgeklärten Menschheit weniger Ablaßgelder und Kirchensteuern zu erwarten.

Als sie des unbequemen Denkers habhaft werden konnte, warf die Heilige Inquisition Bruno in den Kerker und folterte ihn, bis er Teile seiner Erkenntnisse widerrief. Schließlich verurteilte sie ihn zum Tod und ließ ihn zu Rom verbrennen.

Ein Vorgänger in Sachen Aufklärung, Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543), hatte wohlweißlich erst auf dem Sterbebett damit heraus gerückt, daß nicht die Erde der Mittelpunkt des Weltalls sein könne. Sonst wäre es ihm womöglich ergangen wie Giordano Bruno. Schon der Befund, die Sonne drehe sich nicht um die Menschenwelt, wo die Kirche das große Wort führte, sondern umgekehrt, kam zu seinen Lebtagen noch einer Gotteslästerung gleich.

Nikolaus Kopernikus

Inzwischen glaubt sogar der Vatikan, dass Kopernikus recht hatte. Diese Wende erscheint insofern beachtlich, als die Kirche mehr als ein Jahrtausend dazu brauchte. Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier. Brunos Weltensicht hingegen gilt am Heiligen Stuhl nach wie vor als Irrlehre. Auch die Entdeckung von 1.850 Exoplaneten in kosmischer Nachbarschaft - Stand vom Dezember 2014 - hat weder die Kirche noch die amtlich bestallte Wissenschaft anderen Sinnes werden lassen.

Die gefahrvollen Zeiten für Aufklärer liegen wenigstens hinter uns. Statt Klerikern predigen heute geschmerzte Astrophysiker in verständlich gemeinten Sendungen des Fernsehens mühsam beherrscht wie gegenüber uneinsichtigen Kindern, dass für fremde Wesen im All keine Beweise vorlägen. Das hat freilich viel damit zu tun, dass sie gar nicht danach suchen.

Kennzeichnend für ihren Standpunkt ist der wissenschaftliche Konservatismus. Was darunter zu verstehen ist, hat der Leiter des Cassini-Unternehmens der NASA Mark Allan unlängst erneut verkündet: "Der wissenschaftliche Konservatismus gebietet, dass eine biologische Erklärung stets die letzte Wahl sein sollte, bis alle anderen ausgeschöpft sind."

Die Zahl nicht-biologischer Möglichkeiten ist freilich unendlich groß und mithin unerschöpflich. In Wahrheit schließt Allan damit aus, jemals beseelte Wesen im All in Betracht zu ziehen. Die Redensart vom wissenschaftlichen Konservatismus ist also nur eine verblümte Weigerung, sich überhaupt mit Leben im Weltraum zu beschäftigen.

Unter diesen Umständen findet nicht einmal das Wort des promovierten NASA-Astronauten Edgar Mitchell Gehör. Der Absolvent des "Massachusetts Institut of Technology" landete im Februar 1971 mit Apollo 14 auf dem Mond. Mitchell erklärte mehrmals öffentlich: "Vor 500 Jahren galt der Astronom Kopernikus noch als Ketzer, weil er behauptete, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Universums. Heutzutage glaubt die Mehrheit immer noch das biologische Zentrum des Weltalls zu sein. Wir werden so lange nicht anerkennen, daß es vernunftbegabtes Leben außerhalb der Erde gibt, bis wir im Supermarkt mit einem Alien zusammenstoßen."

Die Scheu berufsmäßiger Sterngucker vor außerirdischem Leben hat auch mit ihrem Herkommen zu tun. Astronomie ist fast ausschließlich Sache der Physik. Das ist die Kunde von der unbelebten Natur. Physikern erscheint das All als eine Art Vakuum-Wüste, nur sehr spärlich durchsetzt mit Staub und Strahlung in wechselnder Gestalt. Für die berückende Vielfalt sterblicher Geschöpfe ist in ihrem abweisenden Reich der Kälte kein Platz.

Deswegen sprießt mit der Astrobiologie ein neuer Zweig der Naturwissenschaft, auch Exobiologie genannt. Die junge Kunde sucht Erkenntnisse der Astronomen über den Aufbau des Alls mit den Ergebnissen der Biologie, der Lehre von den Lebewesen, zu verbinden.

Noch haben Astrobiologen keinen Eingang an den Hochschulen gefunden. Doch das dürfte sich bald ändern. Die Zahl der bekannten Exoplaneten steigt von Woche zu Woche und dürfte in absehbarer Zeit die runde Zahl zweitausend erreichen. Damit wird auch die Frage drängender, warum die fremden Welten alle unbelebt sein sollten?

Auffällige Radioquellen im sonnenfernen All

Jedenfalls schreibt man Wissen derzeit ganz groß. Zeitungen, Rundfunk-Anstalten und das Weltnetz räumen den Ergebnissen der Forschung zunehmend Platz ein. Etliche Blätter widmen sich ganz diesem Thema. An der Masse fehlt es also nicht. Auch sind gegenwärtig mehr Wissenschaftler am Werk, als alle zusammen, die jemals in der Vergangenheit gelebt haben.

Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß der Durchbruch der Aufklärung jetzt unaufhaltsam wäre. Es menschelt auch in der Forschung. Leute mit sehr durchschnittlichen Fähigkeiten gehören ebenso zum Wissenschaftsbetrieb. Statt Forscherfleiß nutzen sie vermehrt ihre Ellenbogen, um Würden, Titel und hohe Stellen in großen Anstalten zu erringen und üppige Forschungsgelder zu ergattern. Dabei gerät so einiges unter die Räder, was wissenswert wäre aber nicht in die Hauspolitik eines Institutsdirektors oder die Linie der Fachzeitschriften paßt.

Ein krasses Beispiel für Fehlentwicklungen bildete die Entdeckungs-Geschichte der Pulsare. Seit einem halben Jahrhundert werden immer neue, höchst auffällige Radioquellen im sonnenfernen All geortet. Man erklärte sie zu Neutronensternen, wie auch immer so etwas im Einzelnen aussehen mag. Über 1.700 davon wurden bislang gefunden. Sie funken mit großer Regelmäßigkeit in kurzen Abständen weniger Sekunden oder Bruchteilen davon. So oder ähnlich hatte man sich eigentlich Lebenszeichen anderer Zivilisationen vorgestellt.

Signale des Pulsars PSR B1919+21

Genau dieser Gedanke schoß vielen durch den Sinn als der erste Pulsar im Sommer 1967 ausfindig gemacht wurde. Man taufte die Radioquelle im Weltraum deshalb auf "LGM 1". Die Buchstaben LGM standen für "Little Green Men", auf Deutsch kleine, grüne Männchen, bis heute ein flapsiger Ausdruck für vernunftbegabte außerirdische Wesen.

Doch es war nur eine Studentin namens Jocelyn Bell, die den Aufsehen erregenden Fund machte. Sie weilte gerade zu Übungen an der Sternwarte im englischen Cambridge. Hochrangige Astrophysiker wiegelten ab. Sie ließen eine vordergründige Theorie zusammen klempnern, wonach es sich nur um dicht gepackte Brocken handle, Reste einstiger Sonnen. Auf Grund von Alterung seien sie in sich zusammen gefallen. Übrig geblieben wären verhältnismäßig kleine Leuchter, die sich rasend schnell um sich selber drehen.

Pulsar PSR B1919+21. Bild: NASA und ESA

Treffender kann man die Lage der Astrophysik von heute kaum zusammenfassen. Auch versteht sich von selbst, dass nicht die Entdeckerin Jocelyn Bell den Nobel-Preis dafür einheimste sondern einer ihrer Vorgesetzten Antony Hewisch.

Trotz geflissentlicher Beschwichtigung in Sachen Außerirdischer gaben einige wenige Forscher den Gedanken an Signale fremder Welten nicht auf. Einer von ist Professor Richard Wielebinski, bis 2004 Direktor am Max-Planck-Institut für Radio-Anstronomie in Bonn. Wielebinski hielt es für möglich, dass fortgeschrittene Zivilisation Funkzeichen der Pulsare als Träger zur Übermittlung von Nachrichten nutzten könnten.

Regelmäßige Sendungen von Lichtblitzen oder Radiowellen kennt man von Leuchttürmen in der Seefahrt. Pulsare würden also ein denkbar geeignetes Netz zur Befeuerung galaktischer Verbindungswege bilden. So benutzte der amerikanische Astronom Carl Sagan verschlüsselte Frequenzen von 14 Neutronensternen, um den Ort der Sonne innerhalb der Milchstraße zu beschreiben. Die Darstellung wurde in den 1970-er-Jahren an Bord der Raumsonden Pioneer 10 und Pioneer 11 ins interstellare All geschickt.

Plakette mit Botschaft von der Erde: Mit dem Schnittpunkt der Strahlen links neben dem Paar ist die Stelle der Sonne in Bezug zu 14 Pulsaren bezeichnet. (Abbildung gemeinfrei)

Planetare Willkommenskultur?

Ob jemals eine Antwort auf die kosmische Flaschenpost kommt, mag dahin gestellt bleiben. Der mutmaßliche Mangel an Lebenszeichen aus dem All hängt sicherlich auch mit übertriebenen Erwartungen zusammen. Von Harald Lesch wird der hoffnungsfrohe Spruch verbreitet: "Wenn eines Tages Außerirdische in Erscheinung treten, bleibt die Welt einen Augenblick lang stehen - vor Freude."

Sein Kollege Stephen Hawking hegt dagegen Bedenken, ob das wirklich ein Grund zu jauchzen sein wird. Britisch-sachlich bemerkte Hawking: "Wir brauchen uns doch nur selber anzuschauen, um zu erkennen, wie intelligentes Leben sich zu etwas entwickeln könnte, das wir nicht unbedingt treffen wollen." Tatsächlich müsse der Umgang des Homo sapiens mit seinesgleichen und den Mitbewohnern seiner Welt eine Warnung sein.

Treuherzige Schwärmer haben die Hoffnung geäußert, fortgeschrittene Zivilisationen hätten die Erde anzufunken, um höflich auf sich aufmerksam zu machen. Das sogenannte SETI-Unternehmen beruht stillschweigend auf solchen Annahmen. Die Abkürzung SETI steht für "Search for Extraterrestrial Intelligence", auf Deutsch Suche nach außerirdischer Vernunft.

Die Bezeichnung unterstellt, dass es eine irdische Vernunft gäbe und diese als Maßstab für andere Planeten gelten könne. Das eine scheint so fraglich wie das andere. Kriege, Kriminalität, Zerstörung der Natur, Hungersnöte und Seuchen widerlegen diese Selbsteinschätzung alle Tage. Wer sollte eine solche Welt anfunken, um sich deren Mißhelligkeiten an den Hals zu laden? Deshalb bleibt das SETI-Unternehmen vorerst kaum mehr als eine Placebo-Veranstaltung.

Blauäugige rechnen darauf, fremde Raumschiffe würden zum ersehnten "Kontakt" in eine deutlich erkennbare Umlaufbahn um die Erde einschwenken. Die Besatzung hätte bei den Vereinten Nationen um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nachzusuchen. Schließlich sollten die außerirdischen Botschafter zu einem Antrittsbesuch auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington landen.

Jedenfalls hätten sich die Vertreter fremder Kulturen davon angetan zu zeigen, endlich jemanden ihresgleichen anzutreffen. Zum Dank wäre ein Füllhorn technologischer Geschenke über der Menschheit auszuschütten, womit sich deren Schwierigkeiten wie durch Zauberei in Luft auflösen ließen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.

Auf derartige Begegnungen märchenhafter Art werden wir wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen. Eine kosmische Kolonialmacht, die weder Kosten noch Mühe scheut, interstellare Entfernungen zu überbrücken, dürfte handfeste Interessen verfolgen. Sie wird nutzen, was sie vorfindet, wie es auch die Menschen gewöhnlich halten.

Interplanetare Beziehungen müssen keineswegs auf Gegenseitigkeit beruhen, noch weniger als irdische. Sie könnten vielmehr eine höchst eingleisige Angelegenheit darstellen. Wer sich eine Ahnung von der Größe des Alls verschafft und einen Rest von Bescheidenheit bewahrt hat, wird schwerlich umhin kommen Unterschiede zwischen belebten Welten in Betracht zu ziehen, bei denen partnerschaftliche Beziehungen von vorn herein ausscheiden.

Denken und Handeln in kosmischen Maßstäben verlangt mehr als gewaltige Zeiträumen und Schwindel erregende Entfernungen in Rechnung zu stellen. Ebenso muss man wohl von abgrundtiefen Klüften in biologischer, kultureller und in jeder anderen Hinsicht ausgehen. Vieles spricht dafür, dass die Rolle des Homo sapiens weitaus bescheidener sein könnte, als die Allan, Lesch & Co sich das träumen lassen.