Alles halb so schlimm?

Nach Bundesinnenminister Schily haben sich die Anti-Terror-Gesetze bewährt, ihr sparsamer Einsatz habe die Kritiker widerlegt, die vom Eintritt in einen Überwachungsstaat gewarnt hatten

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Die Bilanz der Sicherheitsgesetzes II ist laut Innenminister Schily positiv: "Das von einigen Kritikern befürchtete Szenario eines 'Überwachungsstaates' hat sich nicht realisiert. Die Anti-Terror-Gesetze haben sich bewährt und müssen in Kraft bleiben." Die Maßnahmen seien nur sparsam angewandt worden, gleichwohl habe man Informationen zu "Reisebewegungen, Finanztransaktionen und Gesprächskontakte islamistischer Terroristen" gewonnen. Zeit also für das nächste Sicherheitsgesetz, das der Bundesinnenminister schon vorbereitet hat. Doch beginnt der Ausverkauf der Grundrechte wirklich erst bei einer exzessiven Anwendung der neuen Befugnisse?

Kaum hatte das Kabinett den Evaluierungsbericht vom Bundesinnenministerium angenommen, zeigte sich beispielsweise der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, beruhigt:

Es hat kein Ausverkauf von Grundrechten stattgefunden.

Tatsächlich sind die Zahlen, die das Bundesinnenministerium veröffentlichte, auf den ersten Blick beruhigend. Nur 29 Mal nutzte beispielsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Möglichkeit der unentgeltlichen Auskunftseinholung bei Kreditinstituten und Finanzunternehmen, lediglich dreimal wollte man Reiseunterlagen von fünf Personen einsehen. Auch bezüglich der Auskünfte von Telekommunikationsunternehmen sind die Zahlen nicht gerade erschreckend hoch: Das BfV etwa stellte 52 Auskunftsersuchen, eines davon bezog sich auf 40 Nutzer, die "völkerverständigungswidrige Musiktitel" zum Download anboten.

Lediglich die Zahl der Sicherheitsüberprüfungen sticht hervor: Im militärischen Bereich wurden bei 12.008 Personen so genannte Hintergrundchecks ausgeführt, relativ hoch (aber nicht genau präzisiert) ist die Zahl beim Bundeswirtschaftsministerium, was damit zusammenhängt, dass auch die Fachkräfte, die bei der HartzIV/Arbeitslosengeld II-Software tätig sind, einer solcher Überprüfung unterzogen wurden.

Für Otto Schily sind diese Zahlen dafür geeignet, einerseits die Bürgerrechtler und Datenschützer zu beruhigen (Alles gar nicht so schlimm), aber andererseits auch weitere Befugnisse zu fordern - das Sicherheitsgesetz III ist bereits vorbereitet und soll unter anderem präventive Befugnisse für die Vorfeldermittlung für das BKA bringen. Am liebsten wäre es dem Bundesinnenminister, wenn das dritte Sicherheitsgesetz dann nicht mehr befristet beschlossen werden würde. Die Argumentation hierfür dürfte sich ähnlich anhören wie die Argumentation der USA, dass der Global War on Terror in absehbarer Zeit nicht abgeschlossen werden könne.

In all die beruhigenden Worte über das Nichtvorhandensein eines Schnüffelstaates, über Befürchtungen, die sich nicht erfüllt hätten, mischt sich jedoch auch Skepsis. Sind diese Zahlen wirklich geeignet, um die Wirksamkeit der Sicherheitsgesetze zu bestätigen? Vielmehr scheint sich zu bewahrheiten, was Peter Schaar prophezeite: Werden die Maßnahmen nur spärlich angewandt, heißt es "Alles nicht so schlimm", werden sie vermehrt angewandt, sagt man: "Ihr seht an den Zahlen, wie notwendig diese Maßnahmen sind."

Ich erwarte, dass Eingriffsbefugnisse, die nicht gebraucht werden oder die sich nicht bewährt haben, zurückgenommen werden. Nicht angemessen wäre es, wenn im Prinzip jedes Ergebnis als Argument für die Beibehaltung oder gar Ausweitung der Grundrechtseingriffe verwendet würde. So überzeugt es nicht, wenn eine geringe oder völlig fehlende Nutzung der neuen Befugnisse als Beweis für einen verantwortungsvollen Umgang gewertet und daraus Forderungen nach zusätzlichen Befugnissen abgeleitet würden, wenn zugleich - wie bei der Telekommunikationsüberwachung - eine starke Nutzung als Beleg dafür angeführt wird, dass neue Eingriffsbefugnisse erforderlich seien.

Peter Schaar bei der Übergabe des 20. Tätigkeitsberichts an den Präsidenten des Deutschen Bundestages am 19. April

Doch die Worte des Herrn Beck lassen noch eine andere Frage offen: Wann genau beginnt ein Ausverkauf der Bürgerrechte? Erst bei (exzessiver) Anwendung der Befugnisse oder schon bei den Befugnissen selbst? In Bezug auf den Evaluierungsbericht des Bundesinnenministeriums und die Ansicht, dass allein die geringen Anwendungszahlen schon beweisen sollen, dass kein Ausverkauf der Bürgerrechte stattgefunden habe, bleibt manchem nur, sich an die Worte des Enterprise-Captains Jean-Luc Picard zu erinnern, der im Star Trek Film "Der Aufstand" fragt:

Wieviel Menschen sind nötig, Admiral, bis aus Recht Unrecht wird.

Hier muss es heißen: Wie oft müssen offensichtlich nur selten notwendige Maßnahmen, die in die Privatsphäre eingreifen und den Datenschutz aushöhlen, angewandt werden, damit wir von einem "Ausverkauf der Bürgerrechte" sprechen können oder sollen? Und wenn diese Zahlen uns beruhigen sollen, aber nicht auch die Frage aufwerfen, inwiefern diese Maßnahmen überhaupt notwendig sind, ist dann nicht die vom Bundesdatenschutzbeauftragten befürchtete Situation längst eingetreten, die durch Kommentare wie die von Volker Beck nur noch forciert wird?