Alles ist Interface - oder nichts

Viel heiße Luft auf dem ZKM-Kongress "Sciences of the Interface"

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Otto E. Rössler, Chemiker aus Tübingen mit Hang zu esoterischer Metaphysik, wurde 60. Jener Mann, der ihn seit Jahren promotet, schenkte ihm ein "internationales Symposium" am ZKM, das als "ground-breaking event" angekündigt wurde: Peter Weibel. Das Ergebnis: Die Farce einer Konferenz.

Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medientechnologie - Der tote Niklas Luhmann lässt grüßen: Während in einem Obergeschoss des ZKM, gut versteckt, ein paar fotokopierte Zettel seines berühmten Zettelkastens von einem Museumswärter streng bewacht werden, tagt unten eine viertägige Konferenz, die so luhmaniac ist, dass es wohl selbst ihm, dem Meister der Selbstreferenz, die Sprache verschlagen hätte.

Aneinander vorbeigeredet

Luhmann, die erste: Menschen können nicht kommunizieren. Und Quantenphysiker und Computerkünstler vermutlich schon gar nicht. Während am ersten Tag des viertägigen Symposiums die Physiker das Sagen hatten (von Einsteins Relativität über Quantengravität bis zu Everetts Many Worlds und zurück), waren am zweiten Tag die Künstler dran. Verbindende Klammer: keine. Eine gemeinsame Diskussionsrunde beider Gruppen: von den Organisatoren Peter Weibel, Hans Diebner und Timothy Druckrey nicht vorgesehen. Passend dann auch der Kommentar des ägyptischen Mathematikers Mohamed El Naschie zu den von Jeffrey Shaw präsentierten interaktiven Computerinstallationen: "This is your revenge for yesterday." Fürwahr, das war die Konferenz des lieblosen Präsentierens, des Nicht-Verstehens, des Aneinander-Vorbeiredens. Die Leitsemantik des "Interface" entpuppte sich rasch als Schutzmetapher vor dem Abgrund eines nicht existierenden Kontexts.

Vortragsmix aus Kraut und Rüben

Luhmann, die zweite: Das Kontingenz-Theorem besagt, alles könnte auch ganz anders sein. Beinahe jeder Vortrag auf "Sciences of the Interface" hätte auch ganz woanders gehalten werden können (und man darf vermuten, fast alle wurden das auch bereits). Man sprach neben beinahe unerträglich viel quantenphysikalischem Formelkram über das Hirn der Delphine, über die Notwendigkeit von "Media Studies", über das Locked-In-Syndrom, darüber, was Joggen und Sex im Gehirn bewirken, über Internet-Autos, über das Altern und Melatonin, über Bertolt Brechts Analyse des Theaters, über menschliches Auge und Kamera-Auge im Vergleich, über Hören und Sehen im Vergleich und über vieles, sehr vieles andere mehr.

Das Grundproblem der gesamten Konferenz sprach der Mit-Organisator Hans Diebner, 'Basic Researcher' am ZKM, bereits im Eröffnungs-Statement an: "The interface is everything or nothing." Wie schön. Auch Otto Rössler schrieb in seinem Vortrags-Abstract: "(...) the Now is pure interface. The world is pure interface. (...) we have nothing but interface." Ob man dieses eine Ding nun aber als Welt, Kuchen, Gummi oder Interface bezeichnet, wäre dann konsequenterweise völlig einerlei. Neben Banalitäten und schlichtweg peinlichen metaphysischen Verklärungen (Otto Rössler: "Nobody knows what a smile is", Mohamed El Naschie: "Nobody knows what information is" u.v.a.) war die Konferenz überdies von kaum zu überbietenden philosophischen Fehltritten gekennzeichnet.

Philosophisch-logische Inkonsistenzen

Dies soll an einem konkreten Beispiel - stellvertretend für viele - illustriert werden. Franz-Josef Zoder schreibt im Abstract zu seinem Vortrag "Interface Psychology":

"If we take the findings of interface theories (from Constructivism and Endophysics) seriously, we must give up the traditional idea that all our knowledge is identical with our reality."

Zunächst schließen sich "Entdeckungen" und Konstruktivismus aus, sofern Radikaler Konstruktivismus gemeint ist, der immer wieder darauf hinweist, dass es nur Erfindungen anstelle von Entdeckungen gibt (worüber man freilich auch diskutieren kann und sollte). Zweitens ist der Konstruktivismus keine Interface-Theorie, dafür gibt es keinen Beleg in der Literatur. Drittens gibt es die "traditionelle Idee", dass all unser Wissen identisch mit unserer Realität sei, nicht. Eine derart künstlich aufgebaute Gegenposition zu Konstruktivismus und Endophysik wird und wurde nicht einmal von den Naivsten unter den Realisten vertreten. Weiter heißt es:

"To look at the world through someone else's eyes means to change the interface and to dive into another psychological reality."

Wäre es möglich, die Welt tatsächlich mit den Augen des anderen zu sehen, wäre dies wohl eher ein Hinweis auf (psychologischen) Realismus. Der Satz ist also falsch formuliert. Aber auch als Behauptung der Nicht-Möglichkeit wäre diese Tatsache logisch auf einer völlig anderen Ebene anzusiedeln als der erste Satz. Dass jeder eine andere "psychologische Realität" (gemeint ist wohl: psychische Realität!) hat, hat mit dem klassischen Außenwelts-, Ding-an-sich- etc. Problem auf epistemologischer Ebene überhaupt nichts zu tun. Denn diese verschiedenen psychischen Realitäten können sich ja immer noch auf die einzige reale Außenwelt beziehen - selektiv, verzerrt etc. Außerdem stellt sich die Frage, warum hier der Begriff Interface verwendet wird: Was ist die Schnittstelle: die Augen, die Wahrnehmung, die Kognition oder die gesamte Realität des anderen?

Der dritte Satz heißt dann:

"But in this way psychology loses its character of objectivity (...)".

Dieser Schluss ist wiederum mit dem vorangegangenen Satz unvereinbar. Warum sollte die Wissenschaft der Psychologie ihre Objektivität verlieren, weil jeder die Realität durch seine Augen sieht? Damit beschäftigt sich die Psychologie doch gerade (egal welcher Ausrichtung), und ein Beweis für Konstruktivismus oder Endophysik ist damit in keinster Weise erbracht. - In diesem Stil geht es dann munter weiter, man möge sich selbst überzeugen unter arne.zkm.de/symposium.

Die "Soulecules" als Gipfel der Peinlichkeiten

Den Vogel schoss jedoch MIT-Forscher (!) Edward Fredkin ab: Unter dem Titel "Digital Soul" wagte er sich an eine haarsträubende Neudefinition des Begriffs "Seele" und definierte "Soulecules" als die Bestandteile ebendieser. In einem abenteuerlichen Mix aus Memetik und Poppers dritter Welt definierte er in der Folge nicht nur Gedanken, sondern auch etwa Mozart-Serenaden und generell kultürliche Produkte als "Soulecules". Ja, und diese könne man alle digitalisieren, in einem Computer abspeichern und so könnten die Menschen als "digital souls" unsterblich werden.

Während der Rezensent zunächst glaubte, einer Fake-Veranstaltung der "Story Dealer AG" beizuwohnen, entpuppte sich der Mann im folgenden als authentisch und durchaus ernsthafter Vertreter seiner 'Weisheiten'!

Eine vertane Chance

Wenn Quantenphysiker, Medienwissenschaftler und Computerkünstler aufeinandertreffen, also Vertreter der hard science, der soft science und Künstler, so gäbe es eigentlich nicht zuletzt im Kontext der vielzitierten science wars viel zu besprechen. 'Dürfen' die Quantenphysiker Philosophie betreiben (Christoph Lehner vom "Einstein Papers Project" hat dies etwa ganz ungeniert vorgeführt), und vor allem: dürfen die Postmodernisten, die Hermeneutiker und andere ernsthaft über Quantenphysik reden? Verstehen die einen die anderen, kann man sich wechselseitig befruchten (im Sinne von Brockmans 'dritter Kultur' oder Pöppels Forderung nach einer 'Syntopie'), oder sind die Diskursuniversen nicht längst viel zu hermetisch und ausdifferenziert?

Wo war die vernichtende Kritik Sokals an dem Missbrauch der Physiker durch die französische Postmoderne (wobei sein Vorwurf auch vice versa zu erheben wäre), wo die messerscharfe Kritik Ian Hackings an den Konstruktionisten und Konstruktivisten? Wo war eigentlich überhaupt die Endophysik, laut Peter Weibel die vierte große wissenschaftliche Revolution des 20. Jahrhunderts - nach Relativitätstheorie, Quantenphysik und Chaostheorie? Ja, da wurde der Rössler-Attraktor ein paar Mal erwähnt, aber Rösslers Endophysik entpuppte sich einzig und allein als semantischer Aufguss: Man sagt jetzt eben, und besonders auf derartigen Kongressen, endo/exo statt innen/außen.

Die Gitterstäbe des Hier und Jetzt

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch auf der "Interface"-Konferenz einige wenige Lichtblicke gab: Harald Atmanspacher vom Freiburger "Institut für Grenzgebiete der Psychologie" sprach erhellend über das Leib-Seele-Problem und riet, den Forschungsfokus endlich von der Henne-Ei-Problematik und vom Dualismus und Monismus umzustellen auf die Fragen: Warum und wie entstehen die Unterscheidungen zwischen den beiden Sphären Materie und Geist, Leib und Seele usw.? Wer oder was bringt sie hervor? Gibt es ein drittes Glied 'X', und was können wir darüber wissen?

Und es war paradoxerweise Peter Weibel selbst, der in seinem anschaulichen und höchst kreativen Vortrag "The Art of Interface Technology" als einziger eine Brücke baute zwischen Quantentheorie und Computer- (besonders: Netz-)Kunst. Weibel war auch der einzige, der eine präzise und operationalisierbare Definition von Interface anbot: "An interface is a regulator on a scale of distinctions". Hier, bei Atmanspacher und Weibel, hätte man sich gewünscht, auf einer anderen, spannenderen Konferenz, etwa zum Thema (Non-)Dualismus und Distinktionstheorie, zu sitzen. Doch das "Gefängnis von Raum und Zeit" (Rössler, Weibel) kannte kein Schlupfloch.

Am Ende blieben zu allem Überdruss auch noch die Plätze für die Schlussdiskussion leer, und man begab sich unmittelbar nach dem letzten Vortrag zu Geburtstagskuchen und -ständchen. "Bryce DeWitt ist schon heimgefahren, wahrscheinlich ohne zu wissen, warum er hergekommen ist", war dann dort etwa zu hören. Und noch ein paar (traurige) Fakten: 41 Referenten waren geladen, von diesen waren 39 männlich. Von den zwei Frauen kam eine nicht, die andere war die Gattin von Otto Rössler. Gibt es eigentlich auch spannende weibliche 'Interfaciologen'?

Die Besucherzahl an den vier Symposiumstagen pendelte zwischen 25 und 65 - noch einmal: bei ca. 40 Referenten, von denen viele nur für ihren Vortrag auftauchten. Vortragssprache war Englisch, Übersetzung wurde keine angeboten. Der Zeitplan wurde ständig über den Haufen geworfen, aktuelle Informationen dazu gab es auch bei Nachfragen am Info-Tisch keine. Dafür wurde man vier Tage lang mit besonders hartnäckigen Mikrophon-Problemen, mit Rückkopplungen sowie Zerr- und Summtönen entschädigt. Eigentlich verrückt, dass hier von den verantwortlichen Kultur- und Wissenschaftspolitikern keiner aufschreit und diesem schlechten Dienst an Wissenschaft und Kunst ein Ende bereitet.

Dr. Stefan Weber, ist Medienwissenschaftler. Er hat sich in seiner Dissertation (als Buch veröffentlicht unter "Die Dualisierung des Erkennens. Zu Konstruktivismus, Neurophilosophie und Medientheorie", Passagen Verlag, 1996) kritisch mit Theorien wie Konstruktivismus und Endophysik auseinandergesetzt.