Alles unter Kontrolle

Nuklearschmuggler ohne Abnehmer

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Sie ist wieder da, die Angst vor "Atomwaffen in Terroristenhand". Sie wird auf aller höchster Ebene geschürt. US-Präsident Obama persönlich lud zur Nuklearkonferenz (Die Atombombe im Koffer). Doch Beweise für die Existenz von realen Abnehmern gab und gibt es nicht. Wie schon im Kalten Krieg und wie 1994 als der BND Plutonium nach München lotste.

Beamte als Scheinaufkäufer

Anfang der 1990er Jahre befassten sich allerlei V-Leute, verdeckte Ermittler, BND-Agenten und auch Journalisten intensiv mit dem "Schwarzmarkt" radioaktiven Materials. Tatsächlich versuchten bis dahin unbescholtene Menschen aus Osteuropa, mit allerlei strahlendem Zeug ebenso das ganz große Geschäft zu machen, wie auch kleine Ganoven, vorwiegend aus der Rauschgiftszene. Das ging immer schief, aus dem großen Geld wurde nichts, viele landeten stattdessen für längere Zeit hinter Gittern, manch einer verstrahlte sich an Cäsium oder anderen radioaktiven Substanzen.

Ihr Problem war - im Gegensatz zu den öffentlichen Erklärungen etwa der G-8-Konferenz in Köln -, dass es keine muslimischen oder sonstigen Terroristen oder Aufkäufer sogenannter Schurkenstaaten gab, sondern stets nur staatlich bezahlte V-Leute, Agenten oder Polizeibeamte und manchmal auch Journalisten, die sich als Käufer anboten.

Es gab und gibt keine wirklichen Abnehmer auf diesem angeblichen Schwarzmarkt. Das konnte man so auch in Berichten des BND nachlesen: "Auf der Endabnehmerseite sind Bestellungen und Käufer bisher nicht nachweisbar", teilte der BND 1996 mit. Solcherlei Nachweise sind diejenigen, die öffentlich vor Nuklearterrorismus und nuklearem Schwarzmarkt warnen, bis heute schuldig geblieben. Das war Anfang der 90er Jahre schon und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Der Spiegel war ganz vorne dabei

In den Ausgaben 42 und 43/1992 berichtete der Spiegel über einen sich angeblich entwickelnden "Schwarzmarkt" allerlei gefährlicher Substanzen, von Killerviren bis zu Nuklearmaterial. Deutschland drohe, so das deutsche Leitmedium, zur "Drehscheibe für den illegalen Handel mit Uran, Giftgas und Bakterien zu werden." Näher eingegangen wurde dabei auf einen Cäsium-Schmuggel, der schließlich im Frankfurter Hauptbahnhof sein Ende fand. Sicherlich nicht ganz zufällig war auch Spiegel-TV vor Ort und auch der damalige Hessische Umweltminister Joschka Fischer.

Der grüne Minister war Augenzeuge, als Freitag nacht vorletzter Woche in Frankfurt radioaktives Cäsium und Strontium sichergestellt wurden. Das Cäsium 137 befand sich, verpackt in einem Bleibehälter, im Schließfach 579 des Frankfurter Hauptbahnhofs; das Strontium 90 steckte im Kofferraum eines BMW mit Kattowitzer Kennzeichen, der vor dem Hotel Mondial parkte...

SPIEGEL 43/1992

Drei Polen sollen den radioaktiven Stoff eingeschmuggelt haben. Fischer: "Da konnte man die Angst der Leute spüren. Dieses Teufelszeug riechst du nicht, man sieht und schmeckt es nicht." Was der Spiegel nicht berichtete, und was der Joschka der Minister vielleicht damals noch nicht wusste: Die ganze Schau am Frankfurter Hauptbahnhof war in Absprache mit dem Spiegel initiiert. Angeblich wurde sogar das Bahnhofschließfach unter Berücksichtigung der Lichtverhältnisse für das Kamerateam von den "Schmugglern" ausgewählt. Zwei Jahre später konnte jeder, der wollte, in einer Urteilsbegründung des Bundesgerichtshof die Vorgeschichte dieses "Cäsium-Aufgriffs" nachlesen. Das Bundesgericht hatte in dem Verfahren über einen Revisionsantrag der Bochumer Staatsanwaltschaft zu entscheiden. In Bochum hatte zuvor der erste Prozess gegen die Frankfurter Cäsium-Schmuggler stattgefunden. Die Drahtzieher und Provokateure wurden nicht angeklagt... Auf den Seiten 4 und 5 der Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs heißt es:

Gegen Ende September 1992 hatte der Angeklagte F. Kontakt mit dem türkischen Geschäftsmann Y. Dieser vertrat in bezug auf seinerzeit mehrfach angebotenes, aus dem Osten stammendes Cäsium 137 die Ansicht, es handele sich insoweit um Müll, der nicht zu verkaufen sei, mit dem man aber eine "Pressegeschichte" machen könne. Hiermit erklärte sich F. einverstanden. Das Nähere wurde ihm von Y. telefonisch mitgeteilt: Danach war die Redaktion von "Spiegel TV" bereit, 50.000 DM für eine Fernsehsendung über die Sicherstellung des für gefährlich gehaltenen Materials Cäsium 137 zu zahlen. Dieses sollte bis zum 9. Oktober 1992 in einem Schließfach des Frankfurter Hauptbahnhofs deponiert sein und dort im Rahmen einer Fernsehsendung aufgefunden und aus dem Verkehr gezogen werden.

Der Angeklagte F. setzte sich daraufhin mit seinem in Polen befindlichen Geschäftsfreund M, dem Mitangeklagten, in Verbindung. Diesem gelang es, einen Behälter mit Cäsium 137 zu besorgen.(...) Auf telefonische Anfrage bei der Spiegel-Redaktion in Hamburg erhielten sie die Anweisung, den Schließfachschlüssel in den Briefkasten ihrer Frankfurter Lokalredaktion einzuwerfen. Dieser Anweisung kamen sie nach und meldeten dies nach Hamburg. Das Behältnis wurde am Abend des folgenden Tages durch das eingeschaltete Landeskriminalamt unter ausführlicher Berichterstattung in den Medien sichergestellt.

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. April, 1994 mit dem Aktenzeichen 4 StR 65/94

Weitere Mediengeschichten sollten folgen. Aber auch vom täglichen Einerlei und der Tristess ihres Beamtenalltags gelangweilte Polizeibeamte sahen eine Chance. So entwickelte ein bayerischer Polizeibeamter "in den besten Jahren" als sogenannter "NoeB" (Nicht offen ermittelnder Beamter) eine besondere Leidenschaft in der Bekämpfung einer Kriminalitätsfacette, die es ohne sein besonderes Engagement und dass einer Handvoll ähnlich strukturierter Polizisten und Agenten gar nicht gegeben hätte.

In seinem Job musste er den großen Mann markieren, folglich durfte er sich teuer einkleiden, in teuren Bars teuren Whisky saufen, hatte einen Jaguar als Dienstwagen und lebte auch sonst auf richtig großem Fuß Die Rolle der Beamten erwähnte auch der Spiegel schon damals:

V-Leute, verdeckte Ermittler und Geheimdienstler haben sich in die Szene gemischt und treten als zahlungskräftige Käufer auf. Kripo-Experten befürchten, daß das Treiben der Händler nur ein Vorlauf für weit größere Geschäfte ist. Mancher Handel, der jetzt auffliegt, sei nur ein "Testkauf", vermuten Staatsanwälte in Bochum.

SPIEGEL 43/199

Walter Boeden, so der Tarnname unseres bayerischen Beamten im besonderen Einsatz, war es, der auf hochangereichertem Uran bestand und die Atomschmuggler anfeuerte, solches zu besorgen. Das ergibt sich aus Zeugenvernehmungen, aus Protokollen der Telefonüberwachung und fand auch seinen Niederschlag in Urteilen, wie dem des Landgerichts Landshut vom 11.September 1995. Darin heißt es auf Seite 12 ff:

Am 8.3.1994 kam es zu einem weiteren Treffen zwischen der Angeklagten K. und dem verdeckten Ermittler Z. Der hatte zu diesem Treffen einen weiteren verdeckten Ermittler des LKA Bayern mit Namen Walter Böden mitgebracht. Während dieses Gesprächs und in den folgenden Gesprächen und Treffen (...) bekundete Böden (...) ein erhöhtes Interesse an Uran und zwar auch höherstrahlendem. (...) Aufgrund dieser wertlosen Lieferungen hatte der verdeckte Ermittler Walteer Böden mehrmals die Angeklagte K. bzw. den Angeklagten I. dazu gedrängt, endlich ordnungsgemäßes Uran zu liefern, da er sich sonst an einen anderen Anbieter wenden müsse...

Münchener Plutoniumfall - vom BND herbeigeführt

Am 10. August 1994 landete der später zu vier Jahren Haft verurteilte Justiniano T. aus Moskau kommend in München. Mit 363,4 Gramm eines Uran Plutonium-Gemischs im Gepäck. T. wurde dort vom Bayerischen Landeskriminalamt erwartet. Die Geschichte sorgte als "Münchener Plutoniumschmuggel" monatelang für Aufregung. Parlamentarische Untersuchungssausschüsse im Bayerischen Landtag und im Bundestag versuchten, die Hintergründe dieses Schmuggelfalls aufzuklären. Klar wurde dabei – auch dieser Atomschmuggel war das Ergebnis gezielter Provokationen,an denen Agenten des BND einen großen Anteil hatten.

Maßgeblich beteiligt waren V-Leute, die teilweise gleichzeitig von BKA und BND bezahlt wurden. Der erfahrene Kriminalbeamte und damalige Bundestagsabgeordnete Manfred Such kam zu dem Schluss:

Ein Markt für illegal angebotenes Nuklearmaterial konnte bisher in der Bundesrepublik nicht festgestellt werden. Weder des Auswärtige Amt noch das für "Nuklearkriminalität" zuständige BKA oder der BND verfügen – nach übereinstimmenden Aussagen – über Erkenntnisse, denen zufolge als proliferationswillig eingeschätzte Staaten sich darum bemüht hätten oder bemühen, über Mafia-Gruppierungen oder andere kriminelle Strukturen nukleares Material oder gar Kernwaffen zu erwerben. Statt dessen rekrutierten sich die Scheinaufkäufer ausschließlich aus dem Bereich der Polizei, des BND und der Medien, wobei V-Leute und verdeckte Ermittler auch nach Ansicht der Gerichte als Provokateure agierten.

Manfred Such

Auch die SPD-Fraktion sprach in ihrem Abschlußbericht von der "Herbeiführung" des Münchener Plutoniumfalls. Sie konnte sich dabei auch auf einen Vermerk eines Beamten des Auswärtigen Amtes berufen. Der vermerkte zum Münchener Fall:

Problematisch ist dabei, dass dieser Fall – auch nach eigener Darstellung des BND – von unseren Diensten nicht nur aufgedeckt, sondern weitgehend herbeigeführt wurde.

Eine Erkenntnis, der auch nach dem 9.11. 2001, dem Irak- und Afghanistan-Krieg nichts hinzuzufügen ist. Die Menschen sind vergesslich und Panikmache ist längst als Waffe entdeckt.