Alles unter Kontrolle

Ein gigantisches Umwelt- und Luftüberwachungssystem für den brasilianischen Regenwald hat seine Arbeit aufgenommen

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Ein bislang einmaliges Überwachungssystem ist vom brasilianischen Regierungspräsident Fernando Cardoso in Manaus eröffnet worden. Das 1,4 Milliarden Dollar teure Sistema de Vigilância da Amazônia (SIVAM) wird mit Flugzeugen, Satelliten, Radarsystemen und Kontrollzentren den brasilianischen Dschungel auf einer Fläche von über 5 Millionen Quadratkilometern überwachen, was etwa der Größe Westeuropas entspricht. Das soll dem Schutz des Regenwalds dienen und eine bessere Bekämpfung des illegalen Abholzens, der ungenehmigten Ausbeutung von Bodenschätzen oder des Drogenhandels dienen, aber auch der Grenzüberwachung und der Luftsicherung - und vielleicht noch anderen Dingen.

Alleine im letzten Jahr wurden über 15.000 Quadratkilometer Regenwald in Brasilien abgeholzt oder abgebrannt. Die Zerstörung hat sich in den letzten Jahren beschleunigt. Wenn es so weiter geht, wird in wenigen Jahrzehnten der Regenwald weitgehend verschwunden sein. Um diesem Prozess besser Einhalt gebieten zu können, wurde SIVAM vor zehn Jahren gestartet, das mit zahlreichen mobilen und stationären Lauschposten am Boden und in der Luft das gesamte Gebiet erfassen sowie Veränderungen und Bewegungen melden soll.

Schon zu Beginn kam es allerdings zu einem Eklat, als 1994 bekannt wurde, dass ein hoher Angestellter des Raytheon-Konzerns brasilianische Regierungsangehörige bestochen hat, um den Auftrag an Land zu ziehen. Ein Ausschuss kam jedoch zu dem Schluss, dass keine wirklichen Beweise vorliegen würden, um den Rüstungskonzern oder die Regierung zu belasten.

Bei der anschließenden Ausschreibung scheinen dann US-Geheimdienste ein bisschen mitgeholfen zu haben, um den Auftrag in amerikanische Hände zu bringen. Dabei soll übrigens Echelon, das Lauschsystem der NSA, auch eine Rolle gespielt haben, das angeblich lediglich benutzt wurde, um gegen Korruption vorzugehen (Warum wir unsere Alliierten ausspionieren). Man habe Telefongespräche zwischen Mitarbeitern von Thomson-CSF und der brasilianischen Regierung abgehört. Wie die brasilianische Zeitung Folha de S. Paulo berichtet, habe sie Einblick in Dokumente nehmen können, aus denen hervorgeht, dass der Minister für den Flugverkehr, Marcos de Oliveira, sich heimlich mit US-Diplomaten getroffen habe, um dem amerikanischen Rüstungskonzern Raytheon 1997 den Auftrag zu sichern, der das Projekt realisiert hat. So sollen die Geheimdienste dem Rüstungskonzern Informationen über das Angebot des Konkurrenten Thales (zuvor Thomson-CSF) aus Frankreich zugänglich gemacht haben, so dass Raytheon daraus einen Vorteil schlagen konnte. Ein anderer Konkurrent war DASA/Alenia. Der größte Geldgeber mit über einer Milliarde Dollar Krediten ist die U.S. Export-Import Bank.

Aus den Dokumenten gehe vor, dass die USA das Überwachungssystem in den Kampf gegen den Drogenanbau- und -handel nutzen wollen. Zudem ist neben Peru und Bolivien auch Kolumbien ein Nachbarland, das von den USA mit viel Geld im Rahmen des Plan Colombia im Kampf gegen Terroristengruppen und Drogenhändler unterstützt wird. Mit SIVAM ließen sich die Grenzen in den unwegsamen und unübersichtlichen Gebieten kontrollieren. Im Amazonas-Gebiet gibt es nur wenige Straßen und auch viele Flüsse sind nicht befahrbar. Wegen dieser mit dem Überwachungssystem verbundenen geopolitischen Interessen soll Raytheon auch Daten des Systems amerikanischen Behörden zugänglich machen, was freilich von der brasilianischen Regierung bestritten wird.

SIVAM besteht aus drei größeren regionalen Kontrollzentren in Belém, Manaus und Porto Velho, in denen die Informationen aus dem Netz aus mehr als 20 stationären sowie weiteren mobilen Radarstationen und Radarsystemen in Flugzeugen, Kontrolltürmen, Empfangsstationen für sechs Überwachungssatelliten, Überwachungsflugzeugen, die u.a. mit Infrarotkameras ausgestattet sind, Wetterstationen, Ballons mit Sensoren oder Hunderten von Sensoren für Umweltdatwen eingehen. Sie sind miteinander und mit der Zentrale in der Hauptstadt Brasilia verbunden. Überdies werden von der Luftwaffe eine ganze Menge an Kampfflugzeugen eingesetzt, um illegale Flugzeuge abschießen zu können. Allerdings muss die brasilianische Regierung hier noch eine rechtliche Lücke schließen, weswegen Präsident Cardoso in den nächsten Wochen per Dekret ein Gesetz einführen will, das es erlaubt, dass die Luftwaffe unberechtigt im brasilianischen Luftraum verkehrende Flugzeuge nach zwei Aufforderungen, sich zu identifizieren, abschießen kann.

Primär dient das System nach Angaben der Regierung der Luftüberwachung und der Überwachung der Umwelt, die vor ungenehmigten Eingriffen geschützt werden soll. Erfasst werden auch meteorologische und hydrologische Daten. Es dient zur Kontrolle der Vegetation und der Landwirtschaft, bietet Navigationshilfen an und eröffnet ein dichtes Netz an Kommunikationsmöglichkeiten im ganzen Gebiet, an das über Satellitenverbindungen eine Vielzahl von Behörden angeschlossen sind. Daneben wird es für die Grenzüberwachung, die Bekämpfung von Kriminellen (Drogenhandel, Schmuggel, illegale ausgebeutete Bodenschätze etc.), den Schutz von indianischen Völkern und der Erschließung des Landes eingesetzt.

Umweltschützer zweifeln allerdings daran, ob durch SIVAM wirklich der Regenwald profitieren wird. Mit dem System könne man zwar alles überwachen und registrieren, gleichzeitig werden aber die Gelder für den Umweltschutz gekürzt. Das Problem bestehe auch weniger darin, Umweltsünder zu erkennen, sondern man müsse entschiedener gegen sie vorgehen.