Alptraum vom Nuklearen Winter

Der Klimaforscher Alan Robock warnt vor den 22.000 Atomsprengköpfen, die weltweit in den Arsenalen lagern

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Es ist etwas über 30 Jahre her: Das Atomkraftwerk Tschernobyl war gerade erst, 1978, fertiggestellt worden. Von einem Super-GAU hatte niemand eine Vorstellung. Von den Gefahren der Kernkraft aber schon: Die Supermächte USA und Sowjetunion hatten in der langen Zeit des Kalten Kriegs ihre Atomwaffenarsenale derart ausgebaut, dass in der Spitze bis zu 70.000 Sprengköpfe darauf warteten, die Städte in Ost und West auszuradieren.

1978 landete der One-Hit-Wonder-Hit "Hiroshima" der britischen Band Wishful Thinking auch in den deutschen Charts. Die Anti-Atomkraft-Bewegung nannte sich damals noch Friedensbewegung, auf Ostermärschen wurde gegen den 1979 gefassten NATO-Doppelbeschluss demonstriert, und im Osten Deutschlands zeigten sich Studenten mit subversiven "Schwerter zu Pflugscharen"-Stickern. Ab 1983 stationierten die ehemaligen Alliierten ihre atomaren Pershing-Raketen in der Bundesrepublik. Nena sang im selben Jahr erstmals ihren Hit "99 Luftballons", der von einer paranoiden Reaktion der Militärs auf eine Menge bunter Luftballons erzählt - mit bekannten Folgen.

Die Hypothese des nuklearen Winters

Wesentlich beeinflusst wurde die öffentliche Rezeption einer nuklearen Gefahr nicht wie heute von individueller Angst vor Kontamination und Krebsrisiko, sondern von einer waschechten Apokalypse, die die Forscher in Form des Nuklearen Winters malten. Ein Begriff für die in Folge eines Kernwaffen-Kriegs resultierenden Klimaveränderungen, den erstmals ein Forscherteam 1983 in einem Science-Paper prägte. Die Forschung dazu geht allerdings schon etwas weiter zurück.

Zunächst hatte man allerdings die Befürchtung, dass ein so ausgetragener Konflikt die Ozonschicht der Erde zerstören könnte. Zudem extrapolierte man aus den oberirdischen Atombombenversuchen der 1950er, dass etwa ein Vulkanausbruch wie des Krakatoa hundertmal mehr Staub in die Atmosphäre einbringen würde als eine Atombombenexplosion.

Erst Anfang der 1980er waren die Klimamodelle so weit, auch den Staubeintrag nuklearer Explosionen exakter in die Rechnungen einbeziehen können. In mehreren Papern wurden die Gefahren immer realistischer geschildert. Ein sommerlicher Temperatursturz um 20 bis 40 Grad, je nach Feuchte des Klimas an Land binnen eines Monats.In den folgenden ein bis drei Jahren würden die Landtemperaturen weltweit einige Grad unter Normal liegen, die Oberflächentemperatur der Ozeane würde zwischen zwei und sechs Grad Celsius liegen.

Einen echten Sieger, so die Folgerung, könne es in einem Atomwaffen-Krieg nicht geben. Nicht zuletzt deshalb kamen schließlich die beiden Supermächte zum START-Abkommen und seinen Nachfolgern, die die Zahl der atomaren Sprengköpfe bis heute auf 22.000 reduzierten.

Ist die Gefahr eines Nuklearen Winters imaginär?

Spätestens mit den Ereignissen von Tschernobyl, 1986, verschob sich allerdings die öffentliche Wahrnehmung, während intern Kritik an den Ergebnissen der Nuklearer-Winter-Hypothese laut wurde. Bezweifelt wurde vor allem die Höhe des Staubeintrags in die Atmosphäre, der primär aus auf einen Kernexplosion folgenden Großfeuern in den Städten resultieren würde. Moderne Städte, so die Idee, brennen anders als mittelalterliche Holzstädte.

Zudem hatte in Hiroshima der Staub schnell dazu geführt, dass sich aus den Kondensationskeimen ein schwarzer Regen bildete, der den Staub aus der unteren Atmosphäre wusch - bevor er weiter aufsteigen konnte. Ist die Gefahr eines Nuklearen Winters also imaginär? Nein, warnt der Klimatologe Alan Robock in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature: Nuclear winter is a real and present danger.

Kernwaffen, so das Hauptargument, sind heute anders verteilt als noch in den 1980ern. Zwar ist mit den USA als einziger verbliebener Supermacht die Gefahr eines Dritten Weltkriegs gesunken, doch lokale Kriege etwa zwischen Indien und Pakistan könnten die Kausalkette für den Beginn eines Nuklearen Winters ebenfalls auslösen. Je 50 Atombomben von der Größe der Hiroshima-Bombe, von beiden Seiten gezündet, weniger als ein Prozent des heutigen Arsenals also, würden 5 Millionen Tonnen Asche in die Atmosphäre eintragen.

Seit 2007 weiß man durch die Einbeziehung auch höherer Atmosphärenschichten in die Klimamodelle, dass eine globale Abkühlung viel länger dauern würde als bisher befürchtet. Die Temperaturen, so die Prognose, wären niedriger als in der "Kleinen Eiszeit" zwischen 1400 und 1850, etwa zehn Jahre lang würden sich die Wachstumsperioden in allen Klimazonen deutlich verkürzen.

Dass Robock nun Nature als Plattform nutzt, diese nicht ganz neuen Erkenntnisse zu verbreiten, begründet er vor allem mit deren Ignoranz durch die Politik. Der neue START-Vertrag, so Robock, genüge nicht - die Administration weigere sich aber ähnlich wie bei den Prognosen zum menschgemachten Klimawandel, neue Erkenntnisse in die Diskussion aufzunehmen. So musste erst der kubanische Diktator Fidel Castro zu einer Konferenz über den Nuklearen Winter nach Havanna einladen, damit das Thema zumindest via Internet gewürdigt wurde.