Alte antijüdische Vorurteile sind in Europa noch weit verbreitet

Nach einer Umfrage in fünf europäischen Ländern glauben immer noch über 40 Prozent der Menschen, Juden hätten zuviel Einfluss auf den internationalen Finanzsektor und überhaupt in der Geschäftswelt

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In Europa sind nach einer von der Anti-Defamation League (ADL) in Auftrag gegebenen und von First International Resources durchgeführten Umfrage noch immer alte antisemitische Vorurteile weit verbreitet. So sind noch immer 44 Prozent der befragten Europäer der Ansicht, Juden hätten zu viel Macht auf den internationalen Finanzmärkten. Einmal in Umlauf gekommene Überzeugungen scheinen sich, auch ohne wirkliche Bestätigung, über Jahrhunderte halten zu können.

Die Umfrage wurde in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien im März und April 2007 durchgeführt. In jedem der Länder wurden um die 500 Erwachsene nach ihren Einstellungen befragt. Was die Frage betrifft, ob Juden zu viel Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte besitzen, ist zumindest erfreulich, dass mittlerweile hier die Deutschen die geringsten Vorurteile hegen, auch wenn immer noch ein Viertel dieser Überzeugung ist und die Frage mit "wahrscheinlich zutreffend" beantwortete. In Frankreich sagen dies 28 Prozent, in Italien 42 Prozent, in Polen schon 54 Prozent und in Spanien gar 68 Prozent.

Ganz ähnlich sieht es aus, wenn man die Menschen danach fragt, ob die Juden zu viel Macht in der Geschäftswelt haben. Hier stimmen ein paar Prozent weniger zu, in Deutschland 21 Prozent und in Spanien, das wieder bei den antisemitischen Vorurteilen zusammen mit Polen an der Spitze liegt, 53 Prozent. In der gesamten EU lebt heute noch etwa eine Million Juden. Über die Hälfte in Frankreich, über 300.000 in Großbritannien. In Deutschland sind es etwa 220.000 (0,24% der Gesamtbevölkerung), in Spanien 48.000 (0,12%), in Polen 25.000 (0,06%) und in Italien 30.000 (0,05%).

47 Prozent der befragten Europäer nehmen den Juden übel, dass sie so viel Aufhebens vom Holocaust machen, der schließlich in Europa stattgefunden hat. In Frankreich sind es 40%, in Deutschland schon 45% und in Polen 58%. Was der jüdischen Bevölkerung schon immer vorgeworfen wird, scheint auch jetzt noch in großen Teilen der Bevölkerung gängige Meinung zu sein, nämlich dass die Juden "vaterlandslose" Gesellen sind. Gefragt wurde allerdings, ob die Juden loyaler gegenüber Israel als gegenüber dem jeweiligen Land seien, in dem sie leben. In Frankreich stimmen der Frage 39% zu, in Deutschland 51% in Spanien 60%.

Kombiniert man die Antisemitismus indizierenden Antworten auf alle vier Fragen, so stimmen mindestens drei Fragen jeweils zu:

  1. in Deutschland: 20 Prozent
  2. in Frankreich: 22 Prozent
  3. in Italien: 32 Prozent
  4. in Polen: 45 Prozent
  5. in Spanien: 47 Prozent

Dabei spielen Alter und Bildung eine Rolle. Wer älter als 65 Jahre ist oder bereits mit 17 Jahren oder früher seine Ausbildung abgeschlossen hat, neigt eher dazu, insgesamt drei der vier Fragen positiv zu beantworten. Während in den übrigen Ländern die über 65-Jährigen hier die Mehrheit bilden, sind dies in Deutschland diejenigen mit geringerer Bildung (39% gegenüber 32%).

Interessant ist, dass in allen Ländern nur ein Drittel sagt, dass ihre Meinung von den Juden durch die Politik des Staats Israel beeinflusst sei. Spanien (35%) und Deutschland (29%) liegen hier an der Spitze. Wer allerdings seine Einstellung davon abhängig macht, der erklärt überwiegend, dass sie durch den Blick auf Israel schlechter wird. Bei den Deutschen, deren Meinung angeblich von der israelischen Politik beeinflusst wird, ist das mit 61% am ausgeprägtesten, gefolgt von den Spaniern. Vielleicht versteckt sich so der latente Antisemitismus? Allerdings sehen 44 Prozent der Deutschen die Gewalt gegenüber Juden in Deutschland als Folge von antijüdischen und nur 24% von antiisraelischen Einstellungen. In Spanien ist dies im Unterschied zu allen anderen Ländern mit 33% zu 19% umgekehrt. Auf jeden Fall erklären 72% der befragten Deutschen, ihre Regierung mache genügend, um für die Sicherheit der jüdischen Mitbürger zu sorgen. In Spanien und Polen ist man da schon skeptischer.

Aufgrund des Vergleichs mit einer Umfrage aus dem Jahr 2005 ergibt sich, dass der Antisemitismus in Europa langsam wieder zuzunehmen scheint, vor allem in Polen und Frankreich. Deutschland stellt auch hier eine Ausnahme dar, da die Werte etwa gleich geblieben sind, gesunken sind sie aber auch nicht. Eine Veränderung hat sich in allen Ländern im Hinblick darauf ergeben, dass vor zwei Jahren die meisten Befragten der Meinung waren, Gewalt gegen Juden resultiere aus antiisraelischen Gefühlen. Abgesehen von Deutschland scheinen die Menschen zu glauben, dass antijüdische Einstellungen, die nichts direkt mit Israel zu tun haben, wieder zunehmen.

Die meisten Befragten schenken den Medienberichten über den israelisch-palästinensischem Konflikt kaum oder keine Aufmerksamkeit. Zwar sympathisieren ein wenig mehr mit den Palästinensern als mit den Israelis (in Deutschland 22% zu 20%), die meisten sagen jedoch, dass sie mit keiner Partei sympathisieren (in Deutschland 40%). 51% sehen in Hamas eine Terrororganisation (Deutschland: 62%), bei der Hisbollah gibt es geteilte Meinungen. Für die Mehrzahl der Franzosen und Deutschen ist Hisbollah eine Terrororganisation, in den übrigen Ländern ist weniger als die Hälfte dieser Meinung. Nur in Italien sagt die Mehrheit, Israel habe das Recht gehabt, letztes Jahr die Hisbollah im Libanon anzugreifen, in Deutschland sind hingegen sogar 62% der Meinung, der Krieg sei ungerechtfertigt gewesen. Die Mehrzahl findet auch die Entscheidung der EU richtig, keine Hilfsgelder an die palästinensische Regierung zu zahlen, so lange Hamas Teil der Regierung ist.

Wie auch immer die Einstellung gegenüber Israel ist, so profitiert davon der Iran nicht. 80 Prozent und mehr der Befragten in allen Ländern sind beunruhigt, dass der Iran Atomwaffen herstellen will. Die Mehrzahl in Deutschland, Italien und Polen ist auch der Meinung, dass es im Iran ein geheimes Atomwaffenprogramm gibt. Die Meisten unterstützen auch Wirtschaftssanktionen, bis der Iran sein Atomprogramm einstellt, auch wenn ein Drittel, in Deutschland 44 Prozent, sich dagegen ausspricht.