Altersdemenz oder Clownerie?

Francesco Cossiga zum 11. September

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Verschwörungstheoretiker freut’s: Sie haben endlich einen Kronzeugen dafür, dass CIA und Mossad den 11. September verübten. Die Rede ist vom ehemaligen italienischen Präsidenten Francesco Cossiga.

Cossiga erklärte in einer schriftlichen Verlautbarung, die am 30. November veröffentlicht wurde, dass das Video, mit dem sich Osama bin Laden wieder zu Wort meldete und Berlusconi bedrohte, nichts anderes als eine Videomontage sei, die Berlusconis Sendergruppe Mediaset gefälscht und dann Al-Dschasira habe zukommen lassen. Das werde nach seinen Informationen „morgen oder übermorgen“ mit Beweisen von der „mächtigsten Zeitungsverlagsgruppe unseres Landes“ veröffentlicht werden.

Francesco Cossiga, ehemaliger Präsident Italiens und seit 1992 Senator. Bild: senato.il

Die Motivation sei, dass der in Schwierigkeiten steckende Berlusconi sich damit eine Welle der Solidarität sichern wolle. Dass das Video eine Fälschung sei, erkenne man allein daran, dass Osama bin Laden darin die Verantwortung für den 11. September übernimmt, wo doch jeder weiß, dass das CIA und Mossad waren:

Aus Kreisen, die dem Palazzo Chigi [Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten], dem neuralgischen Zentrum der italienischen Nachrichtendienste, nahe stehen, wird darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass das Video nicht authentisch ist, dadurch bewiesen wird, dass Osama bin Laden darin „gesteht“, dass Al-Qaida Urheberin des Attentats des 11. Septembers auf die beiden Türme in New York ist, während alle demokratischen Kreise in Amerika und Europa, an vorderster Front die Linke und Mitte Italiens, mittlerweile sehr gut wissen, dass das zerstörerische Attentat von der amerikanischen CIA und dem Mossad mit Hilfe der zionistischen Welt geplant und durchgeführt wurde, um die arabischen Länder unter Verdacht zu stellen und die westlichen Mächte zur Intervention im Irak und in Afghanistan zu veranlassen.

Deswegen, so Cossiga, habe Berlusconi auch keinerlei Solidaritätsbekundungen erhalten (weil ja alle wissen, dass das Video eine Fälschung ist).

Wo soll man anfangen?

  1. Bin Ladens neue Botschaft ist eine Audiobotschaft, kein Video.
  2. Berlusconi wird darin (zusammen mit Blair, Aznar, Sarkozy, Brown) zwar erwähnt, aber nur als Washington-hörig bezeichnet. Er wird darin nicht bedroht.
  3. Mittlerweile ist eine Woche um, und niemand veröffentlichte Beweise dafür, dass Berlusconi ein Video fälschte.
  4. Dass Osama bin Laden in seinen Botschaften die Verantwortung für den 11. September übernimmt, ist nichts Neues (z. B. Mai 2006), ganz unabhängig davon, ob Berlusconi nun en passant genannt wird oder nicht.
  5. Schon zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von Cossigas Verlautbarung hatte Berlusconi eine Solidaritätsnote von Vannino Chiti, dem Minister für die Beziehungen mit dem Parlament, erhalten.

Man beachte auch, dass sich Cossiga in bester Verschwörungstheoretiker-Manier nicht entscheiden kann, ob die „wahre Verantwortung für den 11. September“ eine ultra-geheime Information aus Geheimdienstkreisen ist oder aber ein banales Faktum, das alle Demokraten in USA und Europa, und ganz besonders die Mitte-Links-Wähler in Italien, genau kennen. Sicher scheint allerdings zu sein, dass „die Juden“ hinter allem stecken.

Dies ist nicht der erste Aussetzer des fast 80-jährigen Cossiga. Vor zwei Jahren provozierte er die Südtiroler (die sich überwiegend als österreichische Minderheit sehen), als er ihnen erklärte, dass es keine österreichische Nation gebe und sie deswegen „Deutsche“ seien.

Trotz der genervten Reaktionen der Südtiroler setzte Cossiga sein Engagement fort. Vor einem Jahr brachte er ein Gesetz ein, das eine Volksabstimmung in Südtirol vorgesehen hätte; die Südtiroler hätten damit die Möglichkeit gehabt, nach Österreich oder Deutschland (!) zurückzukehren oder aber komplett selbstständig zu werden. Nun wird kaum eine Minderheit in Europa so gehätschelt wie die Österreicher in Italien (höchstens noch die Schweden in Finnland). Dementsprechend desinteressiert reagierten die Südtiroler. Die Südtiroler Volkspartei, inhaltlich wie wahlergebnismäßig eine Art Südtiroler CSU, wies den Vorschlag sofort zurück. Der Landeshauptmann Luis Durnwalder glaubte an eine „ironische Aussage oder Provokation“. Cossiga erwiderte umgehend, dass es sich um keinen Scherz handele.

Als sein Vorschlag von fast allen Parteien einhellig abgelehnt wurde (nur ein paar Südtiroler Kleinparteien und das Nachbarland Österreich zeigten sich interessiert), zog er ihn zornig zurück. Cossiga erklärte, dass er nie wieder Südtiroler Boden betreten wolle. Und die SVP nannte er in einem Brief an eine Südtiroler Tageszeitung die "Bozner Bande von Durnwalder & Co", die sich mehr für das "Geld aus Rom" (gemeint war die großzügige Minderheitenförderung) als für die "nationale Frage" interessiere. Seinen Brief beendete er mit dem deutschen (beim Lesen allerdings etwas an Trappatoni erinnernden) Satz „Lebe hoch Südtyrol“.