Amazon mit eigener Suchmaschine

Privates Surfverhalten wird zum offenen Buch für FBI und CIA

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Internetbuchhändler Amazon startet eine eigene Suchmaschine namens A9 und bringt Bewegung in die Suchmaschinenlandschaft. Der Startschuss erfolgte eher heimlich, still und leise ohne den sonst üblichen Medienrummel. Dennoch wird die Suchmaschinenkonkurrenz von Google bis Yahoo ein wachsames Auge auf die neue Suchmaschine haben - US-amerikanische Terrorismusbekämpfer auch.

A9.com heißt das Tochterunternehmen, das Amazon bereits Ende letzten Jahres ins Leben gerufen hatte. Ziel dieser Firma sollte es sein, eine Amazon-eigene Suchmaschine zu entwickeln. Die Beta-Version ist nunmehr fertig und wird derzeit öffentlich getestet. Das Suchen hat Amazon mit seiner A9-Suchmaschine nicht neu erfunden. Die Suchergebnisse werden von Google zugeliefert, statistische Angaben etwa zum Traffic der gefundenen Webseiten werden von der Amazon-Tochter Alexa bereitgestellt. Auch der Internetbuchhändler selbst steuert seinen Teil zu den Suchergebnislisten bei. Denn A9 durchforstet auch die für einen Suchbegriff relevanten Inhalte von Büchern, die von Amazons eigener Suchmaschine Search Inside the Book geliefert werden. Die relevanten Buchinhalte werden als Link ausgegeben und können per Mausklick auch sofort, wer hätte das gedacht, bei Amazon bestellt werden. Voraussetzung dafür, dass man die Buchsuche nutzen kann, ist allerdings, dass man bei Amazon registriert ist.

Im Unterschied zu anderen Suchmaschinen erhält man bei A9 zu jeder Webseite auf der Suchergebnisliste zusätzliche Informationen wie z. B. die Zahl der Seiten, die auf die gefundene Webseite verlinken, deren Ladezeiten oder Angaben darüber, wie lange eine Webseite bereits online ist. Damit nicht genug. Amazon bietet für seine neue Suchmaschine auch eine Toolbar an. Sie lässt sich allerdings nur im Internet Explorer ab Version 5.5 installieren und setzt einen Amazon-Account voraus. Die Toolbar bietet u. a. einen PopUp-Blocker, eine Search History und ein so genanntes Diary. Mit Hilfe dieses "Tagebuchs" kann der Nutzer Notizen über besuchte Webseiten verfassen und bei Amazon abspeichern. Bei einem späteren erneuten Besuch der Webseite lassen sich diese Notizen wieder abrufen - unabhängig davon, von welchem Rechner aus aufs Internet zugegriffen wird. Amazon speichert diese wie alle anderen Kundendaten auf seinen eigenen Servern - nicht nur in der Bundesrepublik, auch in den USA.

Neugierig und datenhungrig

Amazon ist dafür bekannt, besonders neugierig und datenhungrig zu sein. Loggt man sich per Emailadresse und Passwort auf der Startseite des Online-Händlers ein, wird man sogleich mit freundlichem Hallo und namentlich begrüßt. Auch weiß Amazon genau, was man bereits erstanden hat und wo die eigenen Interessen, heimlichen Wünsche und privaten Neigungen liegen. Denn Amazon und andere "lernfähige" Internetdienste setzen auf Personalisierung.

Aus den gespeicherten Angaben darüber, was der Kunde gekauft, auf seinem Amazon-Wunschzettel notiert oder in einer Kundenbefragung angegeben hat, werden seine möglichen Kaufwünsche hochgerechnet. Darüber hinaus speichert Amazons System das Surfverhalten eines jeden Kunden ab. Seine Online-Shopping-Spuren werden zu einem spezifischen Kundenprofil verarbeitet. Last but not least findet ein Abgleich mit anderen Kunden nach dem Motto statt: "Kunden, die diese CD gekauft haben, bestellten auch...". Einem ähnlichen Personalisierungsprinzip folgt nun auch die neue Suchmaschine des Online-Händlers.

Wer sich als Amazon-Kunde zu erkennen gibt, dem bietet die A9 ein ganz besonderes Feature: Sämtliche Suchanfragen sowie die Klicks auf die gefundenen Webseiten werden mitprotokolliert und gespeichert. Ziel soll es sein, dem Suchmaschinennutzer zu ermöglichen, Suchverläufe auch später noch problemlos rekonstruieren und Suchergebnisse besser wiederfinden zu können. Darüber hinaus benutzt Amazon die gespeicherten Daten, um sein bekanntes Feature "Kunden, die dieses Buch gekauft haben..." auch auf die Webseitensuche auszudehnen. Unter der Überschrift "Leute, die diese Webseite besuchen, besuchen auch..." erfährt der A9-User, welche Seiten von anderen Usern im Zusammenhang mit der gesuchten Seite angeklickt wurden.

Rechtlich scheint dieses Verfahren einwandfrei zu sein. Denn einen Account bei Amazon bekommt natürlich nur, wer mit der Speicherung und Verarbeitung seiner Daten einverstanden ist. Fraglich ist, ob sich jeder User auch tatsächlich das "Kleingedruckte", Amazons Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Erklärungen zum Datenschutz nämlich, gründlich durchgelesen hat.

Datenschutz bei Amazon.com

Amazon.de stellt eigenen Angaben zufolge persönliche Daten "Dritten außerhalb der Amazon.com-Unternehmensgruppe" zur Nutzung nicht zur Verfügung, es sei denn in anonymisierter Form zur statistischen Auswertung - eine Aussage, die den Online-Buchbesteller beruhigen soll, tatsächlich aber bereits direkt an das datenschutzrechtliche Kernproblem bei Amazon heranführt.

Eine Weitergabe persönlicher Daten an Außenstehende wird zwar ausgeschlossen, nicht jedoch die Übermittlung sämtlicher persönlicher Daten deutscher und anderer europäischer Amazon-Kunden an die Amazon-Muttergesellschaft in den USA. Es ist sogar davon auszugehen, dass diese Daten unmittelbar auch auf US-amerikanischen Servern gespeichert werden. Wer sich beispielsweise mit seinen deutschen (!) Zugangsdaten bei amazon.com einloggt, wird dort genauso freundlich mit "Hello" und namentlich begrüßt wie der Kunde, der die deutsche Niederlassung amazon.de ansteuert. Innerhalb des Unternehmens findet also ein reger Datenaustausch statt.

"Wir geben Kundenkonten und persönliche Daten über Kunden bekannt, wenn wir hierzu gesetzlich verpflichtet sind", heißt es bei Amazon.de. Eine entsprechende Regelung gilt auch für die USA: "We release account and other personal information when we believe release is appropriate to comply with the law."

Da die Daten deutscher Amazon-Kunden nicht nur in der Bundesrepublik bei Amazon.de, sondern auch bei Amazon.com in den USA gespeichert werden, können US-amerikanische Stellen von Amazon.com auf Grundlage amerikanischer Gesetze die Herausgabe von persönlichen Daten deutscher Kunden verlangen. Besonders brisant sind in diesem Zusammenhang die Regelungen des so genannten Patriot Act (Provide Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism), der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erlassen wurde (Alles für den Schutz der Freiheit). Dieses (Überwachungs-)Gesetz zur Terrorismusbekämpfung schränkt den persönlichen Datenschutz in den USA zu Gunsten der Abwehr terroristischer Angriffe erheblich ein. Staatliche Stellen dürfen von allen Unternehmen und Institutionen wie Banken, Krankenhäusern oder Kreditkartenfirmen Auskunft über die Aktivitäten ihrer Kunden verlangen. Ihr Auskunftsersuchen geht an ein geheimes Bundesgericht, dessen Beschlüsse nicht anfechtbar sind. Ein solches Ersuchen gilt in der Regel schon dann als begründet, wenn eine Person im Verdacht steht, "irgendwie" in terroristische Aktionen verwickelt zu sein. Ein offizieller Durchsuchungsbefehl bzw. ein belegbarer Tatverdacht ist nicht erforderlich.

Privates Surfverhalten wird abrufbar

Die Regelungen des Patriot Act gelten auch für Internetanbieter und Buchhändler. Deren Kundendaten dürfen von staatlichen Stellen uneingeschränkt eingesehen werden. Betroffen sind sowohl der Buchladen an der Ecke als auch Online-Händler wie Amazon.com. Sie müssen erstens auf Verlangen Auskunft geben und sind darüber hinaus zweitens zu absolutem Stillschweigen über die Durchführung solcher Aktionen verpflichtet. Betroffene Kunden dürfen nicht informiert werden.

Amazons personalisierbare A9-Suchmaschine steht in den Startlöchern - vermutlich ebenso wie FBI und CIA. Erweitert diese Suchmaschine doch den Umfang an personenbezogenen Kundeninformationen, die bei Amazon.com zukünftig gespeichert werden, ganz erheblich. Eine "information firewall", mit der beispielsweise Google beim geplanten Emaildienst GMail (Bei jeder Mail wird mitgelesen) Suchmaschinen- und Mailfunktionen strikt trennen will, ist bei Amazons A9 offenbar nicht geplant. Im Gegenteil sind die Spezialsuchfunktionen nur über den Kundenaccount bei Amazon zu nutzen.

FBI und CIA, aber auch die Grenzschützer bei der Einreise in die USA werden sich vermutlich schon die Hände reiben. Für sie sind bei Amazon nicht mehr nur Informationen darüber abrufbar, welche Bücher, Videos, CDs und DVDs einen Kunden des Online-Händlers ganz besonders interessieren. Abrufbar ist dann auch sein privates Surfverhalten: Welche Suchworte er wann benutzt, welche Seiten er anklickt und welche Kommentare zu welchen Webseiten er auf den Servern von Amazon.com hinterlässt. Derjenige, dem wie jene Dame, die sich bei Amazon für die falschen Bücher interessierte (Umgebucht), die Einreise in die USA demnächst aus scheinbar heiterem Himmel versagt wird, sollte sich nicht lange wundern, sondern kurz bei Amazons A9 vorbeisurfen. Vielleicht hat er ja nur "gefährliche" Suchbegriffe eingegeben, "verdächtige" Webseiten angesurft oder "falsche Kommentare" dazu aufgeschrieben...