Amnesty fordert neues und faires Verfahren für den zum Tode verurteilten Journalisten Mumia Abu Jamal

USA: Rekord an vollzogenen Todesstrafen und weltweit die meisten Gefängnisinsassen

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Die Menschenrechtsorganisation "amnesty international" hat am Donnerstag in New York ein "neues und faires" Verfahren für den zum Tode verurteilten US-Amerikaner Mumia Abu Jamal gefordert. In dem zeitgleich vorgestellten Bericht A life in the balance analysiert ai das Gerichtsverfahren gegen den afroamerikanischen Journalisten und kommt zu dem Schluss, dass die US-Behörden Abu Jamals Grundrecht auf einen fairen Prozess verletzt haben (Zusammenfassung auf Deutsch).

The Green Mile

Das Thema Todesstrafe wird in den USA derzeit wieder diskutiert. Nicht nur der italienische Hersteller Bennetton bezieht seit Wochen mit einer großen Anzeigenkampagne gegen den staatlichen Mord in den USA Stellung. Auch der Gouverneur von Illinois hat vor kurzem ein Todesstrafen-Moratorium verfügt (Moratorium für die Todesstrafe). Und der Stadtrat von Philadelphia forderte den Gouverneur von Pennsylvania, wo Abu Jamal im Todestrakt sitzt, vor ein paar Tagen auf, Hinrichtungen für mindestens zwei Jahre auszusetzen.

Ein Sprecher von ai kritisierte, dass die Verletzung des Menschenrechts auf faire Behandlung im Rechtssystem in den USA zu "vielen, vielen Fehlurteilen" führe, was ein gewichtiges Indiz dafür sei, dass "unser Justizsystem nicht in der Lage ist, internationale Standards für faire Verfahren einzuhalten". Die derzeitige Phase des Berufungsverfahrens auf Bundesebene sei für Mumia Abu Jamal und die Forderung nach einem Neuverfahren entscheidend, sagte er.

Der Bericht umfasst 35 Seiten und ist einer von einem Dutzend, die ai in den letzten zwei Jahren zum Thema Todesstrafe veröffentlicht hat. "A life in balance" ist eine Zusammenfassung von Gerichtsakten, die Mumia Abu Jamal begleitet haben, seit er vor 17 Jahren zum Tode verurteilt und in den Todestrakt gesperrt wurde. Der Bericht weist nach, wie das Verfahren von richterlicher Seite verdreht wurde. Er zeigt die Widersprüche der Zeugen vor Gericht, die unzureichende Verteidigung und die richterlichen Vorurteile. Und er geht auf die Politisierung des Verfahrens durch die entsprechenden Behörden ein. Dutzende von kleinen Solidaritätsgruppen in der ganzen Welt versuchen seit Jahren, die Öffentlichkeit über diesen Fall aufzuklären.

Mumia Abu Jamals Fall sei exemplarisch für viele USA-typische, sagte ein weiterer ai-Sprecher bei der New Yorker Pressekonferenz. Die Todesstrafe und das Justizsystem würden nicht funktionieren. "Die USA sind die einzige westliche Demokratie, die ihre Bürger hinrichtet", lautet das klare Urteil. Dagegen hätten 105 Länder die Todesstrafe abgeschafft oder aufgehoben, während sie in rund 40 Ländern weiter praktiziert werde. Trotz des weltweiten Trends weg von der Todesstrafe würden in den USA immer mehr Vergehen als Kapitalverbrechen definiert.

Am selben Tag bekräftigte auch die US-Polizeivereinigung National Black Police Association, die 20.000 afroamerikanische Cops vertritt, ihre Forderung nach einem neuen Verfahren für Mumia Abu Jamal. Ihr Vorsitzender Ronald Hampton begründete sie mit "den vielen Erfahrungen mit der Polizei in Philadelphia", Mumia Abu Jamals Heimatort. Afroamerikanische Polizisten würden immer wieder von Korruption und Rassismus bei ihren weißen Kollegen berichten, sagte Hampton. Ähnlich wie im kalifornischen Los Angeles, wo zur Zeit gigantische Korruptionsskandale das Police Department erschüttern, gebe es auch in Philadelphia Polizeistrukturen, die ans Absurde grenzen. Mumia Abu Jamal könne durchaus das Opfer polizeilicher Intrigen sein, meint Hampton.

Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe durch das Oberste Gericht 1976 mussten die US-Behörden mindestens 85 unschuldig Inhaftierte entlassen, die zum Tode verurteilt worden waren. Übertragen hieße das, dass heute mindestens 60 Menschen wegen Justizirrtums in US-Todeszellen sitzen. Wieviele der Todeskandidaten wegen Geldmangel, schlechter Anwälte und ausbleibendem Medieninteresse den staatlichen Tod für "Verbrechen" sterben mussten, die sie nie begangen haben, weiß niemand.

Doch das Problem besteht nicht in Schuld oder Unschuld von Todeszelleninsassen, sondern in der Todesstrafe selbst und damit im Justizsystem der USA. So war mit den 98 Menschen, die im letzten Jahr in den USA hingerichtet worden waren, nicht nur im Bereich der Todesstrafe ein neuer Schreckensrekord erreicht. Die USA haben auch weltweit die höchsten Inhaftierungsraten. Vor kurzem wurde die Grenze von 2 Millionen Gefängnisinsassen überschritten. Mit einem Anteil an der Weltbevölkerung von 5 Prozent stellen die USA 25 Prozent aller Gefängnisinsassen. Die Ausgaben für das Gefängnissystem übersteigen mittlerweile die Ausgaben für Sozialhilfe. Zwischen 15 und 20 Prozent der afroamerikanischen Männer dürfen in den USA nicht an Wahlen teilnehmen, weil sie - meist wegen Drogenkonsums - im Knast sitzen und die staatsbürgerlichen Rechte verloren haben.

Die offiziellen Zahlen haben Gefangenenhilfsorganisationen längst veranlasst, vor einer "prison crisis" und dem "prison industry complex" zu warnen, an dessen Ausbau auch Privatunternehmen großes Interesse zeigen.

Womit die Frage nach den politisch Verantwortlichen gestellt wird. Traurige Antwort: die Clintons, Bushs, Gores, McCains und Bradleys - sie alle haben nicht einmal gegen das Prinzip Todesstrafe etwas einzuwenden. Doch vielleicht gelingt es, mit der Kampagne für das Leben Mumia Abu Jamals den herrschenden Konsens anzukratzen und den Schmutz, der sich darunter befindet, ein wenig sichtbar zu machen.