Amokläufer in Grafing

Kein Islamist, sondern ein verwirrter Deutscher, das gibt zu denken

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Weil der Täter angeblich "Allahu akbar" gerufen haben soll, wurden die Messerangriffe eines Mannes auf Passanten in Grafing bei München auch international schnell in einen möglichen islamistischen Kontext gestellt. Es muss nur etwas getriggert werden, was islamistischen Terrorismus beinhaltet, schon kochen die Vermutungen und Ängste hoch.

Aber es war kein muslimischer Flüchtling, auch kein Konvertit oder überhaupt jemand, der etwas mit dem Islam zu tun hat. Ein 27-jähriger Deutscher war in Grafing ausgerastet und hat auf vier Männer, die zur Arbeit gingen, in der Früh um 5 Uhr wahllos eingestochen. Eines der Opfer ist gestorben. Der junge Deutsche kommt aus Gießen, hat wohl Drogenprobleme und war in psychiatrischer Behandlung.

Der Anschlag ging also von einem verwirrten Menschen aus, dessen Gefährlichkeit nicht erkannt wurde. Im Prinzip kann so ein Angriff aus heiterem Himmel jeden treffen, ohne jeden politischen oder religiösen Zusammenhang. Dass Medien erst einmal in die Schublade eines islamitisch motivierten Anschlags gegriffen haben, mag nachvollziehbar sein, nachdem der Allhau-akbar-Ruf des Täters kolportiert wurde. Aber das zeigt auch, wie schnell Meinungen getriggert werden können, oder wie gering die Hemmschwellen sind, vorgefertigte Meinungen zu hinterfragen.

Tatsächlich ist es auch rational einfacher, bei einem solchen Angriff auf Menschen von einem ideologischen Hintergrund auszugehen. Damit gäbe es einen Gegner, der rational, aber wie immer verquer, solche Anschläge legitimiert und fördert. Wenn aber die Tat von einem einzelnen Menschen ausgeht, der durchdreht und womöglich Scripts benutzt, die er von Medien kennt, dann ist man mit dem Unvorhersehbaren konfrontiert. Terroristen kann man mit ihrer Ideologie bekämpfen, aber nicht Verwirrte, die aus irgendeinem psychischen Grund plötzlich zuschlagen. Dem ist man zumindest so lange ausgesetzt, so lange die Gesellschaft auch den psychisch Kranken nicht ausreichend hilft.

Und mit dieser Überlegung, die nichts mit militärischen Interventionen in Syrien, Libyen, Mali oder anderswo zu tun hat, wäre man auch bei den Deutschen, die sich vom IS angezogen fühlen. Dafür dürfte es Gründe geben, und wenn dies geschieht, fehlt womöglich auch die Fürsorge wie bei dem jungen Deutschen, der durchdrehte. Auch der lebt in der Gesellschaft und handelt nach den Skripten, die gerade vorherrschen. Was also tun? Sollte man jeden präventiv wegsperren, der psychische Probleme hat oder Drogen konsumiert?