"Anflug von schlechtem Gewissen"

Sexualstrafrecht und Kinderschutz in Zeiten des Aktionismus

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"Wegschließen - und zwar für immer" . Bundeskanzler Gerhard Schröder hat im Juli 2001 mit starken Worten für ein Umdenken in der Behandlung von Sexualverbrechern plädiert (Ein Land und seine dunkelsten Triebe). Damit hat er Wasser auf die Mühlen derer gegossen, die sich für eine härtere Sexualstrafgesetzgebung beim sexuellen Missbrauch von Kindern aussprechen und meinen, dass man nur hart genug bestrafen muss, um zu einem veränderten Verhalten in der Bevölkerung zu kommen. Vor allem in Wahlkampfzeiten ist dies ein beliebtes Thema für die Politiker. Sich - wenn auch nur vermeintlich - für Kinder einzusetzen, kommt bei den Wählern gut an und bedient die Stammtische. Daran kann so mancher Politiker nicht vorbeigehen. Dabei erachten die meisten Politiker und Experten unsere Gesetze für streng genug und auch in den Kriminalitätsstatistiken deutet nichts darauf hin, dass etwas geändert werden müsste.

Die vorherige Bundesjustizministerin, Frau Däubler-Gmelin, hat sich nicht beirren lassen und auf die ausreichende Gesetzgebung verwiesen, zumal die letzte Reform erst 97/98 war und man die Auswirkungen erst einmal abwarten und evaluieren muss. Es hat die CDU/CSU allerdings nicht davon abgehalten im November 2002 einen Gesetzesentwurf einzubringen.

Offensichtlich konnte die neue Bundesjustizministerin, Frau Zypries, diesem Druck nicht standhalten und dachte öffentlich über Gesetzesänderungen nach. Sie hat aber sehr schnell zu spüren bekommen, dass sie sich auf ein vermintes Gebiet gewagt hat. Schon ihre ersten Andeutungen über eine Änderung des Sexualstrafrechtes, in denen sie die Anhebung von einem Vergehen zu einem Verbrechen bei minder schweren Fällen, wie es auch von der Opposition in ihrem Gesetzentwurf gefordert wird, befürwortete, stieß auf heftige Kritik. Sie hat den Rückzug angetreten und nichts mehr über weitere Überlegungen zu einer Reform nach außen dringen lassen. Offensichtlich hat sie aber auch nicht die Praktiker, also die, die nachher mit den Gesetzesänderungen umgehen müssen, um ihre Meinung zu den geplanten Veränderungen befragt. Dies scheint sich nun zu rächen.

Vorgesehene Anzeigepflicht von Kindesmissbrauch ist problematisch

Am 29. Januar stellte die Bundesjustizministerin zusammen mit der Familienministerin den gemeinsamen Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor. Wichtiger Bestandteil der darin enthaltenen Gesetzesänderung ist, dass die Nicht-Anzeige von Kindesmissbrauch unter Strafe gestellt werden soll.

Die Kritiker waren nicht weit und schon die ersten Presseverlautbarungen ließen nichts Gutes erahnen. Die dann einsetzende Kritik der überrumpelten Fachleute und Praktiker fiel sehr eindeutig und einstimmig aus. Der Deutsche Anwaltverein und der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen meldeten sich als erste mit Pressemitteilungen zu Wort. Der Kinderschutzbund und die Kinderschutz-Zentren traten als nächste mit Stellungnahmen auf den Plan.

In die Kritik geriet vor allem die Anzeigepflicht von Kindesmissbrauch. Egal ob aus Übereifer oder gar bösem Willen, damit geraten Unschuldige in das Visier der Behörden und der Denunziation werden Tür und Tor geöffnet. Zudem wird es dazu kommen, dass sich immer weniger Kinder an Vertrauenspersonen wenden werden, da diese, auch wenn das Kind es nicht wünscht, anzeigen müssen, um sich selber nicht strafbar zu machen. Damit würde die Dunkelziffer steigen. Dies kann aber nicht im Sinne der Kinder sein.

Es stellt sich auch die Frage, was denn die Polizei bei einer solchen Anzeige machen soll. Sie haben nur die Möglichkeit den Beschuldigten anzuhören. Da es nicht genügend Netzwerke und Hilfeeinrichtungen gibt, werden die Kinder anschließend wieder alleine gelassen - in einer sicherlich nicht besseren Situation. Es kann auch nicht das Ergebnis einer solchen Anzeige sein, dass das Kind aus der Familie genommen wird. Damit geschieht genau das, womit der Täter immer gedroht hat. Dieses Kind wird dann keine Aussage mehr gegen den Täter machen. Die Anzeigepflicht ist zudem auch überflüssig, da es schon heute möglich ist sich wegen Beihilfe durch Unterlassung strafbar zu machen.

Öffentliche Anhörung zu den Gesetzesentwürfen

Am Mittwoch, dem 19.2.2003 gab es nun eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages zu den Gesetzesentwürfen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU. Zu dieser Anhörung war, was sich bei der Politik inzwischen einzubürgern scheint, sehr kurzfristig geladen worden. Kinderschutzverbände, und damit die Praktiker und schärfsten Kritiker, waren erst gar nicht geladen. Ganze drei Stunden hat sich der Rechtsausschuss für dieses wichtige Thema genommen. Die Sachverständigen hatte die Gelegenheit in 10 bis 15 Minuten ihre mündliche Stellungnahme abzugeben. So kam es, dass der ein oder andere dann auch nicht zu allen anstehenden Änderungen ausführlich etwas sagen konnte. Lediglich sieben Abgeordnete hatten anschließend noch Fragen. Und die Ministerin nahm sich gerade mal eine Stunde Zeit, um der Anhörung beizuwohnen. Dies alles vermittelte nicht gerade den Eindruck, dass den Politikern dieses Thema wirklich am Herzen liegt.

Die geplanten Gesetzesentwürfe wurden bei der Anhörung kontrovers diskutiert. Dies ist allerdings nicht sonderlich erstaunlich, denn jede Fraktion kann ihre Sachverständigen einladen. Es überwog aber deutlich die Kritik an den Plänen. Von vielen Sachverständigen wurde die grundsätzliche Notwendigkeit einer Reform in Frage gestellt. So kurze Zeit nach der letzten Reform erschließt sich diese Notwendigkeit auch nicht und es stellt sich zudem die Frage, ob mit den Änderungen überhaupt eine Verbesserung erreicht würde. Frau Prof. Dr. Nelles brachte es, nach der Logik der Gesetzesänderungen befragt, auf den Punkt: "Anflug von schlechtem Gewissen".

Neben der Anzeigepflicht bei Kindesmissbrauch war auch die von der Union geforderte bundesgesetzlich zu regelnde nachträgliche Sicherheitsverwahrung ein kontrovers diskutiertes Thema. Diese Frage wird aber wohl erst durch das Bundesverfassungsgericht letztendlich entschieden werden können. In diesem Zusammenhang wies Prof. Dr. Leygraf darauf hin, dass es Handlungsbedarf bei den Therapien in den Justizvollzugsanstalten und im ambulanten Bereich gäbe. Hier scheint sich ein lukrativer Psychotherapiemarkt aufgetan zu haben, bei dem sich oft Zweifel an der soliden wissenschaftlichen Fundierung aufdrängen. Er forderte qualitätssichernde Prüfungen, um nicht viel Geld in ineffiziente Maßnahmen zu stecken, was dann dazu führen könne, dass es zu einer generalisierenden Schlussfolgerung eines "nothing works" führen könnte.