Angeblich kein Blankoscheck

Die Isaf-Länder kaufen sich mit zugesagten 16 Milliarden US-Dollar Aufbauhilfe bis 2016 frei von einer weitgehend unglücklichen militärischen Intervention

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Auf der Geberkonferenz in Tokio, zehn Jahre nach der ersten Geberkonferenz 2002, als man noch glaubte, das Land schnell befrieden und wieder aufbauen zu können, wurden Afghanistan für 2012-2016 16 Milliarden US-Dollar zugesagt. Etwa ebensoviel war zuvor auf dem Nato-Gipfel an Hilfen für den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte versprochen worden. Mit 8 Milliarden US-Dollar jährlich kaufen sich also die Isaf-Staaten gewissermaßen frei und hoffen so, dass das Land bzw. vielmehr die trotz massiver Kritik gestützte Karsai-Regierung und die Sicherheitskräfte "überleben" werden und Afghanistan nicht wieder in die Hände der Islamisten fällt oder zu einem "failed state" wie Somalia wird.

Die Geste verrät es, Karsai ist abhängig von den USA. Bild: US-Außenministerium

Außenminister Westerwelle versicherte, es sei notwendig, dass nach dem Abzug der Truppen bis Ende 2014 weiter Hilfe gewährt werde: "Nur wenn Afghanistan weiß, dass es nicht vergessen wird, gibt es die Chance, dass es auch eine verlässliche und gute Zukunft für das Land und für die Menschen geben kann", sagte er. Die deutsche Regierung hat zugesagt, jährlich bis 2016 150 Millionen Euro an Militärhilfe und 460 Millionen Euro an ziviler Hilfe zu geben. Das ist deutlich billiger als die militärischen Kosten, die bisher entstanden sind. Offiziell betrugen die für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Jahr 2011 entstandenen Kosten 1,277 Milliarden Euro, für 2012 sind 1,069 Milliarden vorgesehen. Der Abzug dürfte aber die Kosten weiterhin erhöhen, womöglich müssen dazu auch erst einmal mehr Soldaten nach Afghanistan geschickt werden.

Ähnlich wie in der Eurokrise verischert der deutsche Außenminister, man gebe nicht einfach nur Geld, sondern stelle dafür auch Bedingungen und erwarte "greifbare Ergebnisse". Die afghanische Regierung müsse besser als bisher agieren, die Korruption und den Drogenanbau bekämpfen, die Menschenrechte beachten und die Beachtung der Gesetze durchsetzen. Beschlossen wurde auch, dass der Friedensprozess mit den Taliban fortgesetzt werden soll, der aber von diesen boykottiert wird, weil die Zeit auf ihrer Seite steht und die Karsai-Regierung schwach ist. Ernsthaft dürfte auch niemand erwarten, dass die Karsai-Regierung nun stärker gegen die in den eigenen Reihen herrschende Korruption vorgeht, wenn die ausländischen Truppen das Land verlassen haben. Auf der anderen Seite halten sich die Taliban-Führer lieber bedeckt und in Pakistan versteckt, so lange sie fürchten müssen, durch Drohnenangriffe getötet zu werden. Aber auch wenn Deal mit den vor allem im Osten und Süden des Landes starken Taliban stattfinden würde, könnten sich andere Bevölkerungsgruppen dagegen auflehnen.

Es wird trotz der angeblichen gegenseitigen Verpflichtungen ein Blankoscheck für die Karsai-Regierung ausgestellt. Eine andere Wahl haben vornehmlich die USA nicht gewünscht - und jetzt muss eben der Auszug erkauft werden, nachdem trotz mehr als zehnjähriger Besatzung das Land weiterhin eines ärmsten der Welt und weitgehend abhängig vom Ausland ist. Und ob die Zusagen der weitgehend hoch verschuldeten Geberländer noch gelten, wenn nach dem Abzug das Land im Chaos versinkt, ist mehr zweifelhaft.

Zwar ist nicht alles während der Besatzung schlecht gelaufen, aber in mehr als zehn Jahren haben die Isaf-Truppen das Land nicht wirklich stabilisieren können. Die zwar gewählte, aber von außen gestützte Regierung tut sich, verstärkt durch die allgegenwärtige Korruption, schwer, als legitim anerkannt zu werden. Zwar gab es ein Wirtschaftswachstum von jährlich durchschnittlich 9 Prozent, ist das Pro-Kopf-Einkommen ebenso gestiegen wie die Lebenserwartung und haben die Frauen mehr Rechte und Millionen von Kindern eine Schulausbildung, dennoch stellen Armut und Arbeitslosigkeit sowie der nach dem Taliban-Regime angestiegene Drogenanbau und -handel eine enorme Gefährdung dar. Afghanistan gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt, die Lebenserwartung begrägt gerade einma 48 Jahre, die Kindersterblichkeit ist hoch

Trotz der jetzt noch vorhandenen massiven Militärpräsenz ist die Lage höchst angespannt. Am Sonntag wurden durch eine Straßenbombe wieder 6 Isaf-Soldaten getötet. Weitere Angriffe und Bombenanschläge am Wochenende führten zum Tod von 16 Zivilisten, 5 Polizisten und zwei Isaf-Soldaten. Ein Video soll zeigen, wie in der Nähe von Kabul vor einer Woche eine Frau wegen einer außerehelichen Beziehung hingerichtet wurde - mit dem Beifall von vielen Zuschauern. Angeblich hatte ein Taliban-Gericht die Exekution angeordnet, was die Taliban aber bestreiten. Die Täter sind entkommen, angeblich getarnt durch Burkas.