Angriff auf die Informationsfreiheit

Brüssel verabschiedet mit "Coup in der Sommerpause" Solana-Vorschlag über das Recht auf Zugang zu Dokumenten

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Am 14. August beschlossen die EU-Regierungen in einem "schriftlichen Verfahren" den Solana-Vorschlag vom 27. Juli über den öffentlichen Zugang zu EU-Dokumenten zu verabschieden. Dagegen stimmten allein Schweden, Finnland und die Niederlande. Die Öffentlichkeit hätte demnach kein Recht mehr auf Zugang zu EU-Dokumenten, die als "Top Secret", "Secret" und "Confidential" klassifiziert sind. Auch ein Verfallsdatum für die Geheimhaltung ist nicht vorgesehen.

In der Europäischen Union gibt es laut Amsterdamer Vertrag ein ausdrückliches Recht der Bürger auf Zugang zu Informationen (umfassende Erläuterungen). Im Vergleich zu den USA sehen die Nutzerzahlen in Europa erheblich schlechter aus - bei sogar sinkender Tendenz: 1999 beantragten 408 Antragsteller 587 Dokumente. 81 Prozent der Anträge wurden positiv entschieden. 1997 waren es noch 756 Antragsteller für 874 Dokumente bei einer Erfolgsquote von 89,3 Prozent gewesen.

Nur 2,5 Prozent Journalisten nutzten im letzten Jahr das Angebot - am meisten machten öffentliche Einrichtungen mit 13,4 Prozent und Wissenschaftler mit 26,2 Prozent vom Informationszugang Gebrauch. Die meisten Anfragen beziehen sich auf Zoll- und Umweltfragen sowie externe Angelegenheiten.

Dabei wird das Angebot kontinuierlich ausgebaut: Seit dem 31. März veröffentlicht Kommissionspräsident Romano Prodi im Internet einen - allerdings nicht täglich aktualisierten - Index seines Schriftverkehrs. Eine Datenbank mit Suchfunktionen soll bald das Erschließen noch schneller machen.

Mit dem durch Solana ergänzten Entwurf hat die Öffentlichkeit allerdings kein Zugangsrecht zu Dokumenten, die als "Top Secret", "Secret" und "Confidential" klassifiziert sind. Die Kategorie "Confidential" beziehungsweise "vertraulich" wurde seit der letzten Arbeitssitzung vom 12. Juli hinzugefügt. Die Papiere können nur nach schriftlicher Einwilligung des Autors veröffentlicht werden. Sind die NATO oder die USA beispielsweise an der Erstellung des Papiers beteiligt, müssen sie ausdrücklich einer Freigabe zustimmen. Betroffen sind dabei nach Auffassung der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch alle Dokumente.

Solanas Vorschlag hatte sich zunächst auf Dokumente konzentriert, die sich auf die "Sicherheit und Verteidigung der Union oder einer oder mehrerer ihrer Mitgliedsstaaten oder dem militärischen und nicht-militärischen Krisenmanagement" beziehen. Was unter nicht-militärischem Krisenmanagement zu verstehen ist wird nicht weiter definiert. Darunter könnten also Flugzeugabstürze, Waldbrände, Unfälle in Chemiefabriken oder Erdbeben und Überschwemmungen fallen.

US-Journalisten hatten mit Hilfe des "Freedom of Information Act" (FOIA) die Ursache des Challenger-Unglücks von 1986 nach und nach herausgefunden. Zwar wollte die NASA keine Informationen nach außen sickern lassen, aufgrund der freigegebenen Dokumente war es Journalisten dennoch möglich gewesen, den Absturz auf gravierende Sicherheitsmängel und Planungsfehler zurückzuführen. Auch die Enthüllungen von 1994 über geheime Experimente der US-Regierung, bei denen Menschen während der 40er und 50er Jahre Plutonium injiziert worden war, gehen auf FOIA-Anfragen zurück. In Europa jedenfalls wären solche Enthüllungen künftig nahezu ausgeschlossen.

Die Regulierung ist für alle Mitgliedsstaaten bindend und direkt anzuwenden. Nun muss sie noch vom Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament in einem gemeinsamen Entscheidungsverfahren angenommen werden. Der Termin steht erst im Juni 2001 an.

Die Europäische Sektion EFJ des internationalen Journalistenverbandes IFJ bezeichnete den Entschluss als "Coup in der Sommerpause". "Dies ist eine NATO-unterstützte Kriegserklärung", sagte Aidan White, Generalsekretär der EFJ.

"Wir verstehen, warum Militär- und Sicherheitsleute öffentliche Untersuchungen minimieren wollen, aber sie setzen sich dabei rücksichtslos über demoktraitsche Verfahren und internationale Vereinbarungen hinweg."

Michael Klehm vom Deutschen Journalistenverband monierte gegenüber Telepolis, dass damit die Transparenz in der Europäischen Union nach wie vor ein Ziel bleibe. "Ein ordentlich ausgestattetes Zugangsrecht zu amtlichen Dokumenten ist für einen funktionierenden Binnenmarkt die Voraussetzung." Ausgerechnet in Europa, wo man sich über die Kampagne eEurope profilieren wolle, klappe der Zugang zu wichtigen Informationen nicht.

Vor allem niederländische und skandinavische Journalisten sind von dem Beschluss alarmiert, der die seit langem etablierten Zugangsrechte in diesen Ländern nun bedroht. Die niederländische Journalistengewerkschaft NVJ hat den Beschluss bereits öffentlich verurteilt. Der Deutsche Journalistenverband will sich in der nächsten Woche detaillierter äußern.

Enthüllungen dank "Freedom of Information Act"

In den USA sorgt seit 1966 sorgt der "Freedom of Information Act" (FOIA) für eine nicht abreißende Kette journalistischer Enthüllungen - fast alle Pulitzer-Preisträger profitierten von dem Zugangsrecht. Im Zuge von Watergate wurde das Gesetz im Sinne der Journalisten noch verbessert. Bis auf den Mitarbeiterstab des Präsidenten verpflichtet es alle Exekutivorgane des Bundes Unterlagen auf schriftlichen Antrag jedem Bürger zugänglich zu machen.

Dabei muss die Behörde beweisen, dass dies aus bestimmten, gesetzlich definierten Geheimhaltungsgründen nicht möglich ist. Dazu gehören Fragen der nationalen Sicherheit, Personalangelegenheiten, Wirtschaftsgeheimnisse, interne Memos, persönliche Daten von Privatpersonen, Angaben zu laufenden juristischen Ermittlungen sowie zur Bankenaufsicht und Angaben zur Lage von Ölquellen.

1991 gingen fast 600.000 Anträge ein. Das Verteidigungsministerium hatte 130.000, das Gesundheitsministerium 12.000 zu bearbeiten. Unterlagen wurden in 88 Prozent aller Fälle zugänglich gemacht. Journalisten brauchen anders als private Antragsteller keine Bearbeitungsgebühr zu zahlen. Auslagen für Fotokopien werden erlassen, falls die Anfrage im öffentlichen Interesse liegt oder keinen privaten kommerziellen Zwecken dient. Die meisten Anträge werden von Rechtsanwaltskanzleien oder Geschäftsleuten gestellt, nur 8 Prozent von Journalisten.

Die Antwort muss laut Gesetz innerhalb von 10 Tagen vorliegen, 10 Tage Verlängerung sind zulässig. Deshalb ist das Zugangsrecht vor allem für den investigativen Journalisten mit langen Recherchezeiten interessant. Enthüllt wurde so die hohe Zahl von amerikanischen Soldaten, die im Golfkrieg aus Versehen von den eigenen Leuten erschossen wurden oder auch die Atombombenversuche in Nevada, bei denen US-Soldaten absichtlich hoher Strahlung ausgesetzt wurden.

Nicht immer kommt es zum formellen FOIA-Antrag - oft genügt schon eine Anfrage und ein kleiner Hinweis auf den Antrag, der einen hohen bürokratischen Aufwand nach sich zieht. Unter der Regierung von Reagan und Bush wurde das FOI-Recht restriktiv gehandhabt. Ein Reporter der Washington Post und ein Kollege der New York Times fanden 1983 heraus, dass die Bearbeitung keinem einheitlichen Muster folgte. Sie hatten zu den gleichen Aspekten der Mittelamerika-Politik Anträge gestellt und unterschiedliche Dokumente erhalten.

Um über ein Mosaikverfahren Lücken zu schließen, gründeten die Journalisten 1985 in Washington D.C. das National Security Archive mit Hilfe mehrere Stiftungen als Sammelstelle für Regierungsdokumente zur Außen- und Sicherheitspolitik. Dort stellen 30 hauptamtliche Mitarbeiter systematisch FOIA-Anträge, sammeln nicht mehr benötigte FOIA-Dokumente und erschließen sie in einem umfangreichen Archivierungssystem. Erst kürzlich gelangte es so an ein offizielles Dokument, das die Existenz des Spionagesystems Echelon bestätigte.