Angst vor Russland

Nervosität im Baltikum steigt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Die Gefahr, die von Russlands Verhalten ausgeht, ist nicht kleiner als die der ISIS in Irak und Syrien", so die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite im Gespräch mit der Washington Post. Und Russland nutze terroristische Methoden, könne mit Terroristen verglichen werden.

Lettland. Bild: CIA

Die harten Worte der "Eisernen Dame" Litauens geben wohl nicht unbedingt die Meinung der meisten Balten wieder, doch weisen sie auf die Nervosität, die in Litauen, Lettland und Estland herrscht. Sie wird auch durch die Verletzungen des Luftraums verursacht.

Nach Angaben der Financial Times seien in diesem Jahr 68 Mal Kampfflugzeuge der Nato wegen sich annähernder russischer Flugzeuge in Litauen gestartet, in Lettland soll es 150 Mal Luftalarm gegeben haben.

Nach der Südost-Ukraine glauben viele Balten das nächste Ziel einer russischen Annexionspolitik trotz Nato-Mitgliedschaft werden zu können. Waldimir Putin soll in einem Telefongespräch mit Poroschenko gedroht haben, die Hauptstädte der baltischen Ländern innerhalb zweier Tage einnehmen zu können. Das hatte Poroschenko angeblich dem EU-Kommissionspräsidenten Barroso berichtet. Der Westen sei zu unentschlossen, so der Tenor in Litauen, Lettland und Estland, unterstützt von US-Expertisen, die dort verbreitet werden.

Im Moment steht in Lettland ein Bericht des US-Wirtschaftsmagazins Forbes im Fokus. Demnach wäre Lettland mit der größten russischen Minderheit das nächste Ziel einer Intervention des östlichen Nachbarn. Nach dem Autor Paul R. Gregory würde Russland im östlichen Lettland, wo die russische Minderheit dominiert, durch seine TV-Sender Unruhe schüren und Agenten zur Infiltration schicken, die zu Aufständen animieren sollen. Es würde sich ein ähnliches Szenario wie im Donezbecken abspielen. Die Nato verhielte sich dann erneut passiv.

Der Umgang mit dem waffenschweren Nachbarn prägt in Lettland auch aktuell die politische Auseinandersetzung vor den Parlamentswahlen am 4. Oktober. Die konservativ-liberal Regierungspartei "Einheit" unter Laimdota Straujuma setzt auf Sanktionen als Antwort auf Russlands Geopolitik, auch wenn über 11 Prozent der Exporte des Landes vor dem EU-Embargo nach Russland gingen (Ziel für russische Gegen-Sanktionen). Nach Umfragen wird ihre Partei die meisten Stimmen erhalten.

Als zweitstärkste Kraft gilt das "Zentrum der Harmonie". Die sozialdemokratisch orientierte Partei vertritt vornehmlich die russischsprachigen Einwohner des Landes. Ihr Vorsitzender Nils Usakovs, gleichzeitig Bürgermeister von Riga, ist gerade von einem Ausflug aus Moskau zurück, wo er "Regierungsvertreter, Kollegen und Freunden" gesprochen hat, um sich ein Bild von der Stimmung dort zu machen. Usakovs spricht in einem Interview mit einer lettischen Zeitung eine unterschwellige Warnung aus: Die Letten sollten froh sein, dass Putin regiere, käme Wladimir Schirinowski oder einer der kommunistischen Politiker ans Ruder, so gebe es "das Wort 'Stabilität' nur noch im Wörterbuch", so Usakovs, der sich klar gegen Sanktionen ausspricht. Angesichts des gestiegenen Misstrauens der lettischsprachigen Bevölkerung gegenüber der russischprachigen war diese Reise wohl ein gewagtes Unterfangen.

Die Entfremdung der beiden Lager in Lettland soll jedenfalls zunehmen. Glaubt man lettischen Untersuchungen würden russische Medien und NGOs derzeit zunehmend die russische Minderheit in ihrer Diaspora-Mentalität bestärken und nach Angaben des Moskau-kritischen russischsprachigen lettischen Journalisten Leonids Jacobsen würde das Gros der russischsprachigen Minderheit Putins Politik gut heißen.

Auch in Litauen, wo der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung mit rund fünf Prozent am geringsten ist, geht die Agentenangst um. Gedminas Giri, Chef des litauischen Inlandgeheimdiensts, warnt derzeit vor einer zunehmenden Aktivität russischer Kräfte in Litauen. Es gebe Anwerbungsversuche von Computerspezialisten sowie Grenzbehörden.

Vor allem bei den beliebten Tankfahrten in die Oblast Kaliningrad könnten litauische Staatsbeamte von russischen Agenten zur Zusammenarbeit gezwungen werden, wenn diese mit echten oder fingierten Verfehlungen unter Druck gesetzt würden. Für Unruhe sorgt Moskau auch mit der Ankündigung, ein Verfahren gegen Litauer zu eröffnen, die zu Sowjetzeiten den Dienst mit der Waffe nicht antraten.

In Estland hielt sich diese Woche Taavi Rõivas, der estnische Ministerpräsident, an der bewaldeten Ostgrenze auf. Durch Rodung und Hightech-Überwachung soll ein 48 Kilometer langer Streifen, der von russischen illegalen Grenzgängern gern benutzt wird, besonders gesichert werden.

Dort wurde anscheinend der estnische Sicherheitsbeamte Eston Khover von Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB entführt, als dieser einen Informanten zur Grenzkriminalität treffen wollte. Sowohl Tallin wie auch Brüssel dringen auf dessen Freilassung. Von Moskau wird behauptet, der Polizist sei Anfang September auf russischer Seite mit Pistole, dicken Geldbündeln und Sicherheitstechnik aufgegriffen worden.

Glaubt man Alexei Kondaurov, dem ehemaligen KGB-General und Duma-Mitglied der kommunistischen Partei, habe der Kreml mit der Aktion nichts zu tun. Der FSB, der Inlandsgeheimdienst Russlands, hätte unprofessionell und eigenmächtig gehandelt, so seine Aussage in der estnischen Zeitung "Postimees". Damals beim KGB habe es solche Aktionen nicht gegeben, der KGB habe noch "Schach gespielt". Doch welches Spiel der FSB nun spielt, konnte auch er nicht erklären.