Anhörung im Prozess Seagram gegen MP3.com

Firmengründer Robertson bestreitet vorsätzliche Copyrightverletzung

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Am Montag hat Michael Robertson, CEO, Vorstandsvorsitzender und Gründer von MP3.com, in Manhattan seine Aussage vor einem Bundesrichter gemacht. Er bekräftigte, bei der Einrichtung einer Online-Datenbank mit copyrightgeschützten Stücken in gutem Glauben an die Legalität der Unternehmung gehandelt zu haben.

Die Anhörung, in der neben Robertson auch Seagrams CEO Edgar Bronfman aussagen muss, wird noch bis Donnerstag dauern. Da bereits entschieden ist, dass auf Seiten von MP3.com Verletzungen gegen von Seagram gehaltene Urheberrechte vorliegen, geht es nun um die Höhe der Entschädigung, die davon abhängt, ob die Copyrightverletzung willentlich geschah. Sollte der Richter nach Abschluss der Anhörungen am Donnerstag eine willentliche Verletzung des Copyright von Seagram feststellen, wird mit Schadensersatzansprüchen von 750 Dollar bis zu 150.000 Dollar für jedes von einer Copyrightverletzung betroffene Album gerechnet. Bei nicht willentlicher Copyrightverletzung bewegt sich die Schadensersatzsummen in einem Bereich zwischen 750 $ und 30.000 $ pro Album. MP3.com soll im Rahmen seines Services etwa 10.000 Alben aus dem Katalog der Seagram-Firma Universal angeboten haben.

Die in San Diego ansässige Firma betreibt eine kommerzielle Website, die anfangs ausschließlich autorisierte mp3s anbot. Wer ein Stück bereitstellen wollte, musste mehrere Tage warten, bis es von MP3.com zum Download freigegeben wurde. Die Überprüfung diente nicht musikalischen Mindeststandards, sondern der Sicherung, dass Benutzer kein fremdes copyrightgeschütztes Material auf die Seite stellen. Bei MP3.com können etwa eine halbe Million solcher Stücke von insgesamt 87.700 Interpreten heruntergeladen werden. Wöchentlich erscheinen Top 40 der mp3s mit den meisten Zugriffen, ebenso wie Hitparaden einzelner musikalischer Genres. Die Top 40 werden von Dance-Genres, die Bottom 40 von Experimentellem und Alternative bestimmt. Fast wie im richtigen Leben. Aber Stücke wie "Insurrection" von PPK oder "Hell With Him" von Nema, die außerhalb der Benutzergemeinschaft kaum jemand kennt, sind hier zu Hits geworden. Musiker ohne Plattenvertrag und kleinere Labels nutzen den Service u.a., um mit kostenlos zu Verfügung gestellten MP3s auch CDs mit nicht zum Download freigegebenen Stücken zu verkaufen. Künstler können von der Zusammenstellung der Stücke bis zum Cover und zur Festsetzung des Preises CDs selbst gestalten, die dann von MP3.com bei Bestellung gebrannt und verschickt werden. Künstler und MP3.com teilen sich die Bruttoeinnahmen aus dem Verkauf, die Musiker behalten alle Rechte an ihren Stücken. Einige etablierte Künstler, wie etwa der Byrds-Gitarrist Roger McGuinn, der angibt, sein Leben lang von Plattenfirmen nur magere Vorschüsse für seine Hits erhalten zu haben, ziehen dieses System dem bei den Musikkonzernen üblichen vor.

Erst mit seinem Service My.MP3.com begab sich MP3.com auf urheberrechtlich gefährliches Terrain: My.MP3.com sollte ein "Online-Spind" sein, der den Benutzern erlaubte, ihre Musik digital auf Servern von MP3.com zu lagern und von dort aus abzurufen. Dazu mussten die Benutzer nur die entsprechende CD in das Laufwerk ihres Rechners legen, deren Daten dann (ähnlich wie bei der CDDB meist eindeutige Rückschlüsse auf Interpreten und Titel zuließen. Die entsprechenden Musikdateien wurden dem Benutzer dann - sofern vorhanden - ohne vorherigen Upload in seinem digitalen "Spind" zur Verfügung gestellt. Zu diesem Zweck hatte sich MP3.com eine Audiothek von 65.000 Alben zugelegt. In der Anlage eben dieser Audiothek sahen die 5 Musikmultis einen Verstoß gegen ihr Copyright. Die Firmen verklagten die Startup-Firma im Januar. Überraschend einigten sich vier der Musikkonzerne im Laufe des Verfahrens mit MP3.com. Lediglich mit Seagram scheiterten bisher alle Verhandlungen - zuletzt am Wochenende.

Dem Schnaps- und Unterhaltungskonzern Seagram (u.a. Chivas Regal, Captain Morgan Rum und Martell Cognac) gehört auch die Universal Music Group, eine der 5 Firmen, die den lukrativen Teil des Musikmarktes unter sich aufgeteilt haben. Zu Universal gehören wiederum Labels wie Geffen, Island, Decca, Def Jam, Mercury, Polydor, Motown und Philips. Von den Copyrightverstößen betroffene Stars sind z.B. der Rapper Jay Z, die sich in Affenkostüme kleidende "Bloodhound Gang" und U2. Im April dieses Jahres entschied Richter Jed S. Rakoff zugunsten der Musikkonzerne, worauf MP3.com den Service, an dem sich etwa 500.000 Benutzer beteiligt hatten, vorübergehend einstellte. In den darauf folgenden Monaten einigte sich MP3.com mit Sony, Time Warner, EMI und Bertelsmann. Details der Vereinbarungen wurden nicht bekannt gegeben, Analysten schätzen jedoch, dass der Startup aus San Diego jedem der Unternehmen etwa 20 Millionen Dollar gezahlt habe. Im Gegenzug lizenzierten die Plattenfirmen ihre Stücke zur Verwendung bei My.MP3.com. Da das am NASDAQ gehandelte Startup-Unternehmen derartige Summen für die Lizenzen ausgab, wird die Zukunft von MP3.com eher in Kooperation denn in Konkurrenz zu den Konzernen gesehen.

Die bisherige Weigerung von Universal sich mit MP3.com zu vergleichen könnte aus zwei Gründen erfolgt sein: Zum einen scheint Universal wegen seiner Position als bedeutendster der fünf Oligopolisten auf einer erheblich höheren Summe bestanden haben, zum anderen ist Universal finanziell an MusicBank beteiligt, einem Unternehmen, dass im Herbst einen My.MP3.com ähnlichen Service starten soll, und möchte aus diesem Grund keine Stücke aus seinem Katalog an MP3.com lizenzieren. Der Seagram-Konzern seht dem Musikformat MP3 überdies äußerst skeptisch gegenüber und versuchte sich bereits zusammen mit RealNetworks an der Entwicklung eines digitalen Musikformats, das nicht kopierbar sein sollte.