Anschlag in Nizza: Staatsanwalt spricht von einem "gewissen Interesse" des Täters am radikalen Islamismus

Die Ermittler stützen sich auf Auswertungen des Computers und auf Aussagen ungenannter Zeugen

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Der ermittelnde Staatsanwalt François Molins gab heute eine Pressekonferenz zum Attentat in Nizza vom vergangenen Donnerstag. Die Erwartung war, dass Molins genauere Angaben zum Motivhintergrund des Täters machte.

Auch der Staatsanwalt kam nicht umhin festzustellen, dass Mohamed Lahouaiej Bouhlel eine Person war, der "sehr entfernt von religiösen Erwägungen war, der die islamische Religion nicht praktizierte, der Alkohol trank, Drogen nahm und Schweinefleisch aß und zudem ein zügelloses sexuelles Leben führte". Auch die "besondere Gewalttätigkeit des Mannes gegenüber seiner Ehefrau und seinen Kindern" stellte Molins heraus.

Das war aber bereits zuvor bekannt. Mit Spannung wurde erwartet, ob der Staatsanwalt von neuen Erkenntnissen des Täters zu dschihadistischen Kreisen berichten könnte, die erhärten könnten, was in den letzten Tagen als neuer Begriff in die Diskussion gebracht wurde: die schnelle Radikalisierung (vgl. Nizza: Rätsel um die schnelle Radikalisierung).

Moulins nannte keine persönlichen Verbindungen zum IS, der den Täter als "Soldaten des Kailfats" für seine Reihen beanspruchte, oder zu anderen dschihadistischen Kreisen, welche die Ermittlungen zu Tage gebracht hätten. Über die Vernehmungen der sechs Personen, die sich noch in Polizeigewahrsam befinden, lieferte er keine neuen Details. Die SMS-Mitteilungen und Telefonate würden erst noch ausgewertet.

Laut Aussagen des Staatsanwalts gebe es jedoch Hinweise darauf, dass Bouhlel ein "gewisses Interesse an der radikalen islamitischen Bewegung" gezeigt habe und zwar "kürzlich". Das habe sich aus den Auswertungen seines Computers ergeben.

Als anschauliches Zeichen für die erst vor kurzem erfolgte Radikalisierung nannte er den Bart, den sich Bouhlel seit acht Tagen wachsen ließ. Dass dies nicht aus anderen Gründen geschah, sondern eine religiöse Bedeutung hatte, steht für den Staatsanwalt offensichtlich fest. Laut dem Le Monde-Bericht von der Pressekonferenz, muss Bouhlel dies jemand anders so erklärt haben.

Auch der Nachsatz, wonach er nicht verstehen würde, warum Daech nicht ein Gebiet für sich beanspruchen könne, legt nahe, dass der Staatsanwalt sich hier auf eine Konversation stützt - wahrscheinlich auf eine Zeugenaussage.

Die Auswertungen der besuchten Webseiten hätten ergeben, dass Bouhlel "quasi täglich" nach Koransuren gesucht habe, so Molins. Dazu habe er sich Fotos von Leichen angeschaut, die "mit dem radikalen Islam" in Verbindung stehen. Erwähnt werden von le Monde in diesem Zusammenhang Fotos vom shooting in Orlando, in Dallas(!) und der Polizistenmord in Magnanville.

Nach Widergaben anderer, wie zum Beispiel von Jean-Charles Brisard, einem Terrorismus-Experten, datiert das Interesse Bouhlels an gewalttätigen Bildern aus Kriegsgebieten schon länger. Er zitiert aus der Pressekonferenz, die Angabe, dass der Attentäter sich schon vor 7 bis 8 Monaten Enthauptungsvideos angesehen habe. Diese Zeitangabe, die nicht zum Format "rapide Radikalisierung" passt, wie Brisard betont, wird von Le Monde nicht erwähnt.

Wer sich Enthauptungsvideos anschaut, ist aber noch lange kein IS-Fan. Auch wenn Sarkozy derzeit der Regierung Versagen vorzuhält und auf härtere Gesetze pocht, um der Gefahr des Dschihadismus zu begegnen, zum Beispiel durch das Verbot von Besuchen bestimmter Webseiten, zwischen solchen Besuchen und dem Begehen einer terroristischen Tat liegen große Entfernungen.

Feststeht für die Staatsanwaltschaft, dass die Fahrt, die 84 Menschen das Leben kostete und 300 verletzte - 19 schweben noch in Lebensgefahr - , vorher geplant war.