Anschwellender Bocksgesang

Ein Bericht warnt vor den unkontrollierbaren Risiken der "Atomtechnologie", in der Bio- und Nanotechnologie, Informatik und Kognitionswissenschaft verschmelzen

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Die Aufregung um Michael Crichtons aktuellen Nanotechnik-Thriller "Beute" hatte kaum Zeit sich zu legen, da bringt ein neues 80 Seiten starkes Anti-Nano-Pamphlet namhafter amerikanischer Technikkritiker schon wieder Unruhe in die Welt des Allerkleinsten. Wetzen die Mikro-Monster wirklich schon die Messer? Gemach, Gemach ...

Michael Crichton mag es bekanntlich drastisch. In seinem aktuellen Thriller "Beute", der Ende vergangenen Jahres dies- und jenseits des Atlantiks die Bestseller-Listen stürmte, läuft die Wissenschaftlerin Julia in einem bankrotten kalifornischen Start-up-Unternehmen mental Amok und kreiert sich selbst reproduzierende Nanomaschinchen. Sie sollen, so Julias Vision, im Körper auf und ab patrouillieren, um gemeine Tumorzellen oder andere Fieslinge rechtzeitig zu erkennen.

Blöderweise gerät die Sache außer Kontrolle. Die "Nanos" besiedeln Julias Körper und schließlich die Umwelt. Sie sind klug genug, die befallenen Organismen nicht zu töten, sondern richten sich in einer Art Symbiose ein, die leider das Gehirn des Trägers in Mitleidenschaft zieht. Jeglicher Versuch der von Julias Freund schließlich ziemlich gewalttätig unternommenen antibiotischen Behandlung endet mit dem Tod des Nano-Infizierten.

Vom Klempner zum Berserker?

In der Sprache der zahlreicher werdenden Nanotechnik-Kritiker heißt ein solches Szenario "gray goo" (grauer Schmalz). Beim "gray goo" geraten artifizielle Mikroroboter außer Kontrolle, vermehren sich wie wild und richten Unheil an. Der Alternativ-GAU dazu heißt "green goo" (grüner Schmalz). Der "green goo" entsteht in der Grauzone zwischen Nano- und Biotechnik, wenn nanotechnologisch veränderte Mikroorganismen entweder eine Eigendynamik entwickeln, oder den Organismus schädigen, in den sie zuvor mit guten Absichten eingesetzt wurden - etwa um Krebszellen zu finden oder verkalkte Blutgefäßsystem zu sanieren.

Ein Großteil der Nanotechnik-Kritik krankt an dem eklatanten Graben zwischen dem, was technisch möglich ist, und dem, was an Katastrophenszenarien a la Crichton phantasiert werden kann. Von sich selbst reproduzierenden Nano-Maschinen, im Fachjargon auch Assembler oder Selfassembler genannt, ist noch nichts zu sehen. Kein Wunder, es wäre nichts weniger als die Erschaffung künstlichen Lebens.

Aus Biotech wird Atomtech

Das bislang umfangreichste und wohl bestrecherchierte Werk zur Nano-Kritik wurde jetzt unter dem Namen The Big Down. Atomtech-Technologies converging at the nano-scale von der ETC-group (gesprochen: etcetera) veröffentlicht. "The Big Down" umgeht den geschilderten Graben, indem es vor allem auf die Gefahren des "green goo" aufmerksam macht, der, weil mit Mikroorganismen gearbeitet wird, auf die Erschaffung künstlichen Lebens nicht angewiesen ist.

Industry and governments promise that the manipulation of matter on the scale of the nanometer (one-billionth of a meter) will deliver wondrous benefits. All matter-living and non-living-originates at the nano-scale. The impacts of technologies controlling this realm cannot be overestimated: control of nano-scale matter is the control of nature's elements (the atoms and molecules that are the building blocks of everything). Biotech (the manipulation of genes), Informatics (the electronic management of information), Cognitive Sciences (the exploration and manipulation of the mind) and Nanotech (the manipulation of elements) will converge to transform both living and non-living matter. When gmos (genetically modified organisms) meet Atomically Modified Matter, life and living will never be the same.

Das ETC ist eine Art Institut für Technikfolgenabschätzung. Es wird u.a. von der Rockefeller-Foundation gesponsort und hatte vor einigen Jahren durch seine Publikationen maßgeblichen Anteil an den Imageproblemen des Konzerns Monsanto im Gefolge seiner Gen-Pflanzen-Politik.

Droht Olympia Nanodoping mit getuneten roten Blutkörperchen?

Das ETC sieht drei Problemfelder im Zusammenhang mit der Nanotechnologie:

  1. Nanopartikel, wie sie bereits vielerorts hergestellt werden, könnten unkontrolliert Zellen oder Bakterien infiltrieren und als potenzielle Giftstoffe in die Nahrungskette gelangen, was zum Beispiel zu unerwünschten Immunreaktionen führen könnte.
  2. Die sogenannte Nanofabrikation, bei der supramolekulare Strukturen und schließlich sich selbst reproduzierende Automaten erzeugt werden sollen, kann außer Kontrolle geraten und Kettenreaktionen auslösen, die Mensch und Umwelt vergiften.
  3. Die Fusion von Bio- und Nanotechnik eröffnet Missbrauch aller Art das Tor, angefangen von Doping mit nanotechnologisch effizienter gemachten roten Blutkörperchen über Gentherapie mit Hilfe biologischer Nanoroboter bis hin zu nie gekannten Biowaffen.

In der aktuellen Ausgabe der New York Review of Books antwortet Freeman Dyson auf derartige Katastrophenszenarien liberal-optimistisch. Ohne mögliche Gefahren zu verneinen, hält er es für durchaus denkbar, dass die Menschheit vernünftig genug sein wird, auch diese potenziell vernichtende Technik vernünftig und segenbringend einzusetzen.

Ein möglicher Kandidat für solchen Segen könnte eine Beobachtung sein, die Forscher der Universität Ulm gerade veröffentlicht haben. Sie arbeiten mit sogenannten Polysteren-Nanosphären, die selbstorganisierende Eigenschaften besitzen. In Wasser gelöst können sie offenbar Fluorchlorkohlenwasserstoffe binden. Eines Tages, so spekulieren die Entdecker, könnten Nanosphären vielleicht in der Stratosphäre eingesetzt werden, um das Ozonloch zu flicken. Nanopartikel könnten dann die Hauptsünder in Sachen Ozonloch einfach absaugen.