Anschwellender Silikongesang

Zwei Japaner tüfteln an einem menschlichen Stimmapparat

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Schön sieht er nicht aus, der Sprechapparat von Hideyuki Sawada. Soll er auch nicht. Sawada von der Kagawa University in Japan geht es um die Botschaft, und die soll möglichst menschlich klingen. Um die humanoide Hülle sollen sich andere kümmern. Wie das Magazin New Scientist berichtet, hat Sawada in Zusammenarbeit mit Shuji Hashimoto von der Waseda University einen Sprechapparat gebaut, mit dem er dereinst humanoide Roboter ausstatten will.

Bislang besteht der Vokaltrakt aus einem dickwandigen fleischfarbenen Silikonschlauch, der von unten durch individuell bewegliche Pressen zusammengequetscht wird. Beatmet wird die Apparatur durch ein lungenähnliches Gebilde. Auch eine Art Stimmritze und Stimmbänder sind vorhanden. Zähne, Zunge, Gaumen, Kehlkopf und dergleichen fehlen bislang zwar noch, aber Sawada und Hashimoto wird schon noch was einfallen. Inzwischen sorgt ein neuronales Netzwerk dafür, dass die Töne immer realistischer werden.

Bereits nächste Woche will Sawada die Apparatur auf der International Conference on Robotics and Automation in Washington D.C. präsentieren. Wer weder Zeit noch Lust hat, mal eben nach Washington zu jetten, kann Stubenhocker können das sich selbst ein Bild machen will vom aktuelle Repertoire des Sprechapparats im Netz begutachten: Auf den ersten Blick sehen beide Versuchsanordnungen bis auf den Bildausschnitt gleich aus. Im ersten Beispiel geht es um Vokale, im zweiten um Konsonanten. Ehrlich gesagt erinnern die Laute eher an die Schrei-Einheit in einem Teddybär-Rücken als an die menschliche Stimme. Mitunter geht das Getröte auch im Stampfen der Hydraulik unter.

Ziemlich absurd das Ganze, wenn man bedenkt, dass die menschliche Stimme synthetisch schon recht überzeugend hergestellt werden kann. So gut jedenfalls, dass sich Entwickler wie Juergen Schroeter von den AT&T Laboratories in New Jersey schon Gedanken über möglichen Missbrauch und die Einarbeitung eines akustischen Wasserzeichens Gedanken machen.

Andererseits geht der KI-Forscher Luc Steels bei seinem Talking-Heads-Experiment (Vgl. Werthern schubst Lotte) ganz ähnliche Wege. Auch er stattet neuere Generationen seiner Sprachroboter mit einem naturalistischen Vokaltrakt aus, die angeblich schon recht menschenähnlich klingen.

Vermutlich lässt sich die Begeisterung für Mechanik nur historisch erklären. Das 18. und 19. Jahrhundert jedenfalls war besessen von der Idee der lebensechten Automate: die schreibenden Puppen von Maillardet und Jaquet-Droz, von Kempelens (später als Fake entlarvter) Schachspielautomat und schließlich - wenn auch nur als Fiktion - E.T.A. Hoffmanns Maschinenfrau Olympia, die dem Studenten Nathanael den Kopf verdreht. Sie alle wurden ersonnen um die Grenzen zwischen Mensch und Maschine auszuloten. Nicht zu vergessen Vaucansons Ente, die angeblich über einen funktionierenden Verdauungstrakt verfügte. Diese Legende feierte im vergangenen Jahr ihre Wiederauferstehung in der Kunsthalle Wien. Dort präsentierte der belgische Konzeptkünstler Wim Delvoye seine "Cloaca", einen überdimensionierten Verdauungsapparat, der tatsächlich Nahrung in Scheiße verwandelte (Vgl. Shit happens). Vor diesem Hintergrund war es höchste Zeit für die Beschäftigung mit dem menschlichen Vokaltrakt. Irgendwann muss der Kreis sich ja schließen. Bis Sawadas Apparatur museumsreif ist, dürften allerdings noch ein paar Jahre ins Land ziehen.