Arabischer Superstar dank Internet - Palästinenser in Trauer

Wie sich ein zunächst komischer Künstlerwettstreit zu einem politischen Nervenkrieg entwickelte und durch die neuen Medien entschieden wurde

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Fünf Monate lang waren die Straßen des Nahen Ostens einmal wöchentlich wie leer gefegt. Millionen von Menschen verfolgten aber nicht die stagnierenden palästinensisch-israelischen Verhandlungen oder langweilige einheimische Nachrichten am Fernseher. In ihren Bann zog sie einzig die Frage: Wer wird arabischer Superstar? Am Montagabend gewann schließlich Diana Karzon aus Jordanien mit knappem Vorsprung gegen ihre syrische Herausforderin..

Erst war es lustig. 53 Amateurkünstler aus allen arabischen Staaten wurden vom libanesischen Sender Future TV erkoren, an seinem Superstar-Wettbewerb teilzunehmen. Da war der junge Mann mit der schrecklichen Stimme, vor dem die Jury lachend zusammenbrach und der dem Publikum wütend zurief, dass er trotzdem berühmt werde. Erinnerungswert hat auch der Aspirant, der mit unzureichenden Sprachkenntnissen versucht hat, einen englischen Song wiederzugeben. Wie gesagt, am Anfang konnte man sich noch darüber amüsieren.

Ernst wurde es spätestens, als sich der Libanese Milhem Zain am 11. August verabschieden musste. Die Zuschauer entschieden sich per Telefonanruf, Mausklick oder SMS gegen ihn. Zu diesem Zeitpunkt war Superstars Gesprächsstoff Nummer Eins, auch in Ramallah. Jeder wusste, was der Satz "Milhem ist raus" zu bedeuten hatte. "Dabei ist nicht nur seine Stimme total schön", bedauerte die Palästinenserin Lina Barguti, wobei sie schmachtend ihre Augen verdrehte, "sondern er sieht auch noch gut aus und ist sehr sexy."

Und weil in Westasien Verschwörungstheorien ein beliebter Zeitvertreib sind, war auch gleich klar, warum der Milhem trotz seiner Qualitäten verlor. Demnach hat Syrien nämlich alle Register gezogen, um den Libanesen von der Bühne zu fegen und so die Chancen für die eigene Kandidatin, Ruweida Attiya, zu erhöhen. Wie das geschehen konnte, weiß man allerdings nicht genau. Augenzwinkernd werden verschiedene Szenarien erörtert, deren Urheberschaft meist beim syrischen Geheimdienst vermutet werden. Dass Milhem bei seinem Abtritt die Zuschauer zur Unterstützung von Ruweida aufforderte, verschaffte den Anhängern der Erpressungstheorie gehörigen Aufwind.

Aber nun trat Ruweida Attiya am Sonntag zum Finale gegen die Jordanierin Diana Karzon an. Ganz ohne Voreingenommenheit kann festgestellt werden, dass die Syrerin besser singt als Diana. Dieser Meinung waren am Montagabend auch die gesamte Besatzung eines Sammeltaxis vom israelischen Checkpoint Kalandia nach Ramallah sowie das gesamte Wartezimmer einer Arztpraxis. "Ruweida hat Charakter und sieht auch aus wie ein Superstar", sagte die Sprechstundenhilfe in den nickenden Kreis der Wartenden. Nisrin Nasser aus Jerusalem drückte sich klarer aus: "Diana ist nicht nur fett, sie trägt auch unvorteilhafte Kleider. Gibs zu, sie sieht aus wie eine geschminkte Wurst."

Wahltag

Der Montag stand ganz im Zeichen der Wahl. Viele Palästinenser verbrachten den Tag damit, Freunde anzurufen und sie zur Stimmabgabe anzuregen. Denn angeblich konnte von jedem Computer aus nur zweimal gewählt werden. Aber alle Mühen waren umsonst. Diana Karzon, mit deren Antlitz die jordanische Hauptstadt zugepflastert ist, wurde am Abend mit 52% zum arabischen Superstar gekrönt. Die königliche Familie gratulierte. Der libanesische Ministerpräsident Rafiq Hariri, übrigens der Besitzer von Future TV, rief an. Ein Plattenvertrag mit Warner Arabia ist bereits unterzeichnet.

Die Palästinenser bezeichnen Diana Karzon als schäbig. "Sie ist selbst Palästinenserin, gibt es aber nicht zu", erklärt Rula Hamame. "Viele Karzons leben im Flüchtlingslager Al-Amari (in Ramallah)." Als Diana nach ihrem letzten Lied am Sonntag dann unter anderen auch noch "alle palästinensischen Kinder" grüßte, imitierte Rula Übelkeit. "Bloß die Kinder", rief sie, "und was ist mit uns Erwachsenen. Die Kuh plappert einfach die bedeutungslosen Phrasen ihrer Regierung nach, um damit zu gewinnen."

Unwahrscheinlich ist es nicht, dass Frau Karzon ihre Herkunft verleugnet. Durch die Vertreibungen in den Kriegen mit Israel stellen Palästinenser mit etwa 60% heute zwar die Bevölkerungsmehrheit in Jordanien. Die Macht hält aber der autokratisch herrschende König, gestützt von den alten jordanischen Familien. Zwar darf seit 1989 wieder ein Parlament gewählt werden. Die Wahlkreise sind aber so eingeteilt, dass ländliche Gebiete bevorzugt werden. Und die Palästinenser wohnen nun einmal vornehmlich in den Städten. Aber offenbar haben sie sich wenigstens soweit eingelebt, dass sie zwar Parlamentswahlen boykottieren, aber die nationale Begeisterung für Diana Karzon teilen.

Jordanien ist das Letzte

Für Palästinenser unter der israelischen Besatzung ist das natürlich zuviel des Guten. Jordanien ist hier das Letzte. Ausgehalten von den USA, im Bett mit Israel. Wer sich im Westjordanland eine Reise leisten kann, muss den jordanischen Flughafen in Amman benutzen. Denn in Richtung Israel dürfen sich die Bewohner der besetzten Gebiete nicht bewegen. Nach Osten hin bremst aber auch Jordanien, das die Neuansiedlung von Palästinensern verhindern will. Wer die Stunde Fahrtzeit von der Grenze bis zum Flughafen überwinden will, braucht nun die Einladung eines Jordaniers. Schwerer ist nur noch, ein Platz in einem der limitierten Busse von Jericho bis zur Grenze zu erheischen. Viele schreckt die oft Tage lange Wartezeit in der dreckigen, überfüllten Busstation ab. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat selbstverständlich auch kein Interesse an einer Abwanderung ihrer Bevölkerung.

Nun soll wenigstens ein palästinensischer Superstar her. Die PA verhandelt derzeit im Libanon über eine Teilnahme an der Neuauflage der Erfolgssendung. Dazu braucht es Sondergenehmigungen. Der Libanon und seine Kontrollmacht Syrien, die sich mit Israel noch im Kriegszustand befinden, erkennen palästinensische Identitätspapiere und die PA als Frucht der Osloer Friedensverhandlungen nämlich nicht an.

Eine Palästinenserin oder ein Palästinenser hätten sehr gute Gewinnchancen bei "Superstar". Diana Karzon profitierte schon von der technologischen Überlegenheit Jordaniens gegenüber Syrien. Das Königreich hat, jenseits aller Verschwörungstheorien, fast viermal so viele Internetnutzer aufzuweisen wie die sozialistische Republik. Die Telefondichte ist ähnlich. Dazu kommen die gut vernetzten Golfstaaten, die politisch eher Jordanien nahestehen. Falls der Kandidat aus dem eigenen Land aber im nächsten Jahr seinen Auftritt vergeigt, dürften viele Araber ihre Stimme den Palästinensern geben. In den besetzten Gebieten selbst schreitet die Internetnutzung in Riesenschritten voran. Und der lokale Mobiltelefonanbieter Jawwal ist eines der wenigen florierenden Unternehmen.