Arbeiten in einer vernetzten Welt

Neue Technologien werden kaum zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen genutzt

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Eine im Rahmen der internationalen Konferenz über Aus- und Verlagerungen von Arbeit in Wien präsentierte Studie, geht der Frage nach, wie viel Fort- und/oder Rückschritt die informationstechnische Revolution der Arbeitswelt bislang brachte. Fazit: Meistens orientiert sich die Techniknutzung primär an den Zielen der Rationalisierung und Managementkontrolle. Dies führt nicht nur für viele Arbeitnehmer zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sondern kann sich für die Unternehmen selbst als Bumerang erweisen.

Die von der Wiener Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) präsentierte Studie basiert auf zahlreichen, jüngeren empirischen Forschungen zum Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Unternehmen. Die Forscher Manfred Krenn, Jörg Flecker und Christian Stary konzentrierten sich bei der Analyse auf die Branchen IT-Dienstleistungen, Finanzdienstleitungen und industrielle Produktion. Die sich in den letzten Jahren abzeichnenden Trends in der Arbeitsorganisation bei zunehmender Durchdringung mit IKT, wurden schließlich entlang der Themenfelder Arbeitsteilung, räumliche Aspekte, Kooperation und Arbeitszeit behandelt.

Während in den meisten klassischen Branchen noch immer "Normal"-Arbeitsverhältnisse dominieren, haben in dem stark wachsenden Bereich der IT-Diensleistungen neue Arbeits- und Beschäftigungsformen inzwischen eine relevante Höhe erreicht.

"Die Auslagerung von IT-Funktionen aus Unternehmen verschiedenster Branchen aber auch im IT-Sektor hat zu einer Zunahme davon Selbständigen und SOHO's geführt. (...) Die Medien- und IT-Branche spielt in dieser Hinsicht gewissermaßen eine Vorreiterrolle. Für Deutschland gehen die Schätzungen des IAB von einem Anteil von 20% an Selbständigen bzw. Einpersonen-Unternehmen an den Beschäftigten aus. Diese Zerfaserung der Beschäftigung hat zur Folge, dass viele Funktionen die früher von Unternehmen wahrgenommen wurden, jetzt in die individuelle Verantwortung der Freelancer und zwar in inhaltlicher, zeitlicher und materieller Hinsicht , übertragen werden."

Wer sich jemals in diesen Bereichen als Freiberufler bewegt hat, weiß, dass sich die durch die Selbstständigkeit gewonnene Freiheit rasch in das ungesicherte Los der Vogelfreiheit verkehren kann. Sicherlich gibt es einige Spezialisten, die auch in konjunkturschwachen Zeiten ganz gut über die Runden kommen. Die Mehrheit der Freelancer (Stichwort: Webdesigner, freie Journalisten, Grafiker etc...) kämpft aber mit der sozial unsicheren Lage, auf welche die sozialen Sicherungssysteme (zumindest in Österreich und Deutschland) bis dato nicht oder unzureichend reagiert haben. Nicht von ungefähr wurde schließlich die Ich-AG aus dem Hartz-Papier zum Unwort des Jahres 2002 gekürt.

Der Einsatz von neuen Technologien führte natürlich auch in klassischen Branchen zu tiefgreifenden Umwälzungen. Eine der interessantesten Studien im Hinblick auf die Arbeitsorganisation publizierten Peter Brödner und Erich Latniak vom Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, im Herbst 2002.

"Vereinfacht lassen sich zwei Strategietypen unterscheiden (...), mit denen die Unternehmen versuchen, die Produktivität ihres wirtschaftlichen Handelns zu beeinflussen. Die Unternehmen auf der "low road of innovation" nutzen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit überwiegend Maßnahmen zur Aufwandsreduzierung wie Personalausdünnung oder Auslagerung bzw. Restrukturierung von Prozessen. Dem gegenüber steht eine Minderheit sehr erfolgreicher Unternehmen, die der Strategie der "high road of innovation" folgen: Für sie steht die Aktivierung und Entfaltung ihrer Potenziale und Kompetenzen im Vordergrund, die sie zur Erschließung neuer Geschäftsfelder, also zur Ausdehnung des Ertrages nutzen, ohne auf erfolgskritische Prozessinnovationen zur Aufwandssenkung zu verzichten", hieß es dazu in einer Aussendung.

Dieser Grundtendenz folgen auch die Wiener Forscher und kommen zu einem ähnlichen Ergebnis hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeit selbst. So würde sich bei Low-road-Strategien eine "Tendenz zur Spaltung der Beschäftigten in hochqualifizierte Kern- und niedrig qualifiziere Randbelegschaft zum Ausgleich von Kapazitätsschwankungen abzeichnen.

Der von den Autoren verwendete Begriff der "niedrig qualifizierten" Mitarbeiter wäre allerdings dahingehend zu hinterfragen, ob sich nicht überhaupt in den letzten Jahren eine Art Niedriglohnsektor qualifizierter Werktätiger gebildet hat (Stichwort: Freeelancer, etc..). Zumindest was den Bildungsstatus anbelangt sitzen beispielsweise in Callcentern nicht unbedingt die "Dümmsten" unserer Gesellschaft. Ursula Holtgrewe von der Universität Duisburg/Essen etwa referierte auf der Konferenz in Wien über ihre Studien zu Callcentern. "Teilzeitbeschäftigung in Callcentern wird oft von Studierenden und Berufsrückkehrerinnen in Anspruch genommen - beide Gruppen zeichnen sich durch hohe Qualifizierung (...) aus." Selbst Akademiker sind nicht gar nicht mehr so selten unter den Callern und Meinungsforschern anzutreffen. Auch die Anforderungen - gute Rhetorik, Serviceorientierung, EDV-Kenntnisse, Stressresistenz - sind nicht eben mit dem Qualifikationsprofil eines Hilfsarbeiters zu vergleichen. Nur die Bezahlung ist eben durchwegs schlecht.

Wirklich spannend sind an der Wiener Studie Fallbeispiele, die illustrieren, wie der Einsatz von IKT unter dem Postulat von Rationalisierung und Managementkontrolle keineswegs die befreiende Wirkung auf die Arbeitsqualität haben, wie es in den Hochphasen der New Economy noch beschworen wurde:

"Seit die Computer mobil geworden sind, betrifft das nicht nur die Arbeiter am Fließband (..) oder die Angestellten am Bankschalters, sondern auch die Fahrer von LKWs, die Arbeitskräfte im Außendienst und die Montagetechniker."

Wir kennen Fälle von Montagetechnikern, die von ihrem tragbaren Minicomputer erfahren, wo sie als nächstes beispielsweise einen Telefonanschluss installieren sollen. Das kann auch bedeuten, dass der Monteur mehrmals am Tag in das gleiche Gebäude gehen und den gleichen Schaltkasten öffnen muss, weil ihm die Kompetenz zur Bündelung der Arbeitsaufträge genommen wurde. Für die Beschäftigen am unteren Ende der Hierarchie kann das zur Abwertung, zur Missachtung ihrer Qualifikation und in der Folge zu nicht unbeträchtlichen psychischen Belastungen führen.

Der Soziologe Manfred Krenn bei der Wiener Tagung

Das intensive Bemühungen vieler Unternehmen um computergestütztes Wissensmanagement, könnte wiederum bei höher qualifizierten Mitarbeitern unangenehme Gefühle auslösen. "So sind viele Einsatzformen von IKT eng mit dem Ziel er Unternehmen verknüpft, die Kenntnisse und das Erfahrungswissen einzelner Beschäftigter auch anderen zugänglich zu machen und so von den Arbeitskräften unabhängiger zu werden", so das Wiener Soziologenteam. Die Zeiten als "qualifizierte Arbeiter in der Zuckerindustrie, wo die Zuckerkocher ihr Erfahrungswissen lange als Geheimnis hüteten und nur an ihre Söhne weiter gaben", sind wohl vorbei.

Übermäßige Kontrolle durch IKT von oben nach unten kann sich aber auch als Bumerang für die Unternehmen selbst erweisen.

Das überzogene Vertrauen in die Computertechnologie, ein hoher Grad an Automatisierung und damit verbunden das Misstrauen in die Potentiale der menschlichen Arbeitskraft führen in Verbindung mit der extensiven Nutzung der in en IKT liegenden Kontrollmöglichkeiten durch das Management oft zu Ineffizienz.

FORBA

Ein Fallbeispiel: "In einem Papierunternehmen sorgte die penible nachträgliche Kontrolle jedes von den Arbeitern getätigten und im IT-System dokumentieren Eingriffs dafür, dass viele Arbeiter in unsicheren, kritischen Situationen Nicht-Handlen den Vorzug vor risikobehafteter Problemlösung gaben. Insofern kann sich IKT als extensiv genutzte Kontrolltechnologie als Falle erweisen, da notwendige Korrekturen und Eingriffe durch die Arbeiter eher vermieden werden und dadurch weitreichende Störungen und Ausfälle zur Folge haben."

Auch wenn in diesem Artikel eher negative Tendenzen des Technik-Einsatzes herausgegriffen wurden, sollen keineswegs die neuen Möglichkeiten für verbesserte Arbeitsbedingungen, die durch die Informationstechnologien erst geschaffen wurden, verkannt werden. Die Frage ist eben immer, wie sie eingesetzt werden. Das liegt einerseits in der Verantwortung des Managements (siehe High-Road-Strategien). Zu einem Gutteil müsste meiner Meinung nach hier aber auch die Politik steuern und entsprechende Rahmenbedingungen herstellen. Letztendlich obliegt es schließlich dem Gesetzgeber, neue Trends in der Arbeitswelt auch auf ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen hin zu prüfen.

Wer hat nämlich etwas von hochqualifizierten aber schlecht bezahlten Freelancern, Callcenter-Agents o.ä., die kaum mehr in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen müssen bzw. können, von der Kaufkraft erst ganz zu schweigen oder von "technik-ferngesteuerten" Arbeitnehmern, die irgendwann mit psychosomatischen Störungen auf die neuen Arbeitsbedingungen reagieren werden? Die Heilungskosten (im erweiterten Wortsinn) zahlt letztlich der Staat oder einfach die Gesamtgesellschaft.