Armut und Analphabetismus tragen maßgeblich zur Zunahme des islamischen Fanatismus bei

Der Generalsekretär der Labour Party Pakistan, Farooq Tariq, über islamischen Fundamentalismus und die Chancen einer nichtreligiösen Anti-Kriegsbewegung in Pakistan

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In Pakistan wächst die Anspannung. Die täglichen Fernsehbilder vermitteln den Eindruck, als könnten die Proteste der fundamentalistischen Organisationen jeden Moment zu einem Aufstand gegen die pakistanische Regierung führen, die den von den USA geführten Luft- und Bodenkrieg in Afghanistan unterstützt. Daneben formiert sich auch eine kleine nichtreligiöse Anti-Kriegsbewegung aus Frauengruppen, Menschenrechtsvereinen und der Labour Party Pakistan (LPP). Die 1 500 Mitglieder starke LPP lehnt jede Zusammenarbeit mit Gruppen des politischen Islams ab und gehört der Allianz zur Wiederherstellung der Demokratie an.

Farooq Tariq

Hierzulande ist der Eindruck entstanden, ein Putsch gegen die Regierung von Militärmachthaber Pervez Musharraf sei nicht ausgeschlossen. Für wie stark halten Sie die fundamentalistischen Organisationen?

Farooq Tariq: Das politische Geschehen in Pakistan hat sich nicht in dem Maße geändert, wie es von den westlichen Medien mit dem Beginn der Luftangriffe befürchtet worden ist. Der Hauptgrund, warum die fundamentalistischen Organisationen im Moment stark und einflussreich wirken, ist, dass ihnen von Seiten der Militärregierung fast freie Hand gelassen wird, Demonstrationen und Proteste zu veranstalten, während andere politische oder gewerkschaftliche Aktivitäten behindert werden. Aber meiner Meinung nach haben die Fundamentalisten keine Chance, das Regime durch Proteste auf der Straße zu stürzen.

Aber sind diese Gruppen in den letzten Jahren nicht viel stärker geworden?

Farooq Tariq: Doch schon. Dennoch haben sie es nie geschafft, die Religiosität der Menschen in eine breite politische Bewegung zu übertragen. Auch als sich weite Teile der Bevölkerung in den Regierungszeiten der beiden staatstragenden bürgerlichen Parteien PPP und PML (die Pakistan Peoples Party von Benahzir Bhutto und die Pakistan Muslim League des 1999 gestürzten Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, R.K.) verraten fühlten, erhielten die Gruppen des politischen Islams keinen großen Zulauf.

Aber ohne Zweifel sind Jamat-e-Islami (JI) und Jamat-e-Ulmai Islami (JUI) starke Interessengruppen. Doch nach den anfänglichen landesweiten Mobilisierungen finden die Proteste der Islamisten nur noch in einigen Regionen statt. Mit dem Fehlen einer politischen Perspektive für Pakistan könnten die Islamisten langfristig stärker werden. Allerdings hat General Musharraf seine Stellung im Militärapparat durch Umbesetzungen gefestigt.

Wo haben die Fundamentalisten ihre gesellschaftliche Basis? Sind sie auch in den Gewerkschaften verankert?

Farooq Tariq: Der Großteil der Fundamentalisten kommt aus den Reihen der Armee und der Mittelklasse, insbesondere finden sich viele kleine Geschäftsleute unter ihnen.

Während der Amtszeit von General Zia-ul-Haq ( Militärdiktator, der von 1977 bis 1988 an der Macht war und die Islamisierung des gesellschaftlichen Lebens vorantrieb, R.K.) konnte die JI in vielen Moscheen ihre fanatischen Mullahs platzieren. In den letzten Jahren haben sie es vielfach geschafft, arbeitslose Jugendliche für sich zu gewinnen. Armut und Analphabetismus tragen maßgeblich zur Zunahme des islamischen Fanatismus bei. Es gibt zwei Typen politisch religiöser Gruppen in Pakistan. Die einen sind im Djihad und propagieren ihn ...

Demonstratio der LPP

...das heißt, sie kämpfen bei den Taliban und den terroristischen islamischen Gruppen im indischen Teil Kaschmirs?

Farooq Tariq: Ja, vor allem unterstützen sie die Taliban aktiv. Die anderen glauben an die traditionelle islamische Praxis, d.h. sie wollen durch den Glauben auf die Gesellschaft einwirken. Lashkar-e-Tiaba, Jashe-Muhammed, Harkat-ul-Mujahideen gehören zur ersten Kategorie, Sunni Tehreek und Jamat-e-Ulema (JUP), JI und JUI zur zweiten. Sie lehnen die US-Luftangriffe ebenso ab und sind mit den Taliban solidarisch, unterstützen sie aber nicht direkt. Keine der religiösen Gruppen außer Jamat-e-Islami hat eine Basis in den Gewerkschaften oder anderen sozialen Organisationen.

Wie argumentieren die fundamentalistischen Organisationen? Stellen sie eine politische Alternative dar?

Farooq Tariq: Sie sind naiv optimistisch im Hinblick auf einen Sieg über die USA. Beeinflusst von den Vorhersagen ihrer Prediger gehen sie davon aus, dass ihr Glaube sich weltweit verbreiten wird. Ihre Hauptargumente drehen sich um den US-amerikanischen Einfluss im Israel-Palästina-Konflikt und in Kaschmir. Sie üben auch Kritik am Internationalen Währungsfonds und der Weltbank und richten sich gegen ein angeblich von Zinsen dominiertes Wirtschaftssystem. Aber sie schlagen keine durchführbaren politischen oder ökonomischen Alternativen vor. Ihre Ablehnung der offiziellen Politik basiert nicht auf sozialen oder politischen Ideen, sondern auf religiösen Überzeugungen. So kritisieren sie auch nicht die muslimischen Monarchen in den Golfstaaten.

Warum bringen sie dann mehr Leute auf die Straße als die Linke?

Farooq Tariq: Die Linke ist schwach und gespalten. Die pakistanische Armee und die Fundamentalisten sind natürliche Verbündete. Religiöse Gruppen haben den Militärregierungen der letzten Jahre immer positiv gegenüber gestanden. Und die Militärregierungen haben die religiösen Fanatiker unterstützt, um den Einfluss der demokratischen Kräfte zu bekämpfen. Das ist eine der Hauptaufgaben der pakistanischen Armee. Andererseits spielt im islamischen Denken traditionell die Heldenverehrung eine große Rolle. Meist sind diese Helden Gotteskrieger und Generäle.

Und was macht die Linke in der aktuellen Situation?

Farooq Tariq: Es liegt eine wichtige Aufgabe vor der pakistanischen Linken. Sie muss sich neu zusammenfinden und die Bevölkerung für eine nichtreligiöse Anti-Kriegsbewegung gewinnen. Eine Anti-Kriegsbewegung zu schaffen, die die Klassenfrage nicht ausblendet, ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Wir haben verschiedene Strömungen in der Partei, die sich aber alle auf das Konzept der permanenten Revolution beziehen. Trotzdem bezeichnen wir uns nicht als trotzkistische Partei. Wir unterscheiden uns von den anderen Linken darin, dass wir an der Praxis festhalten. Der Rest der pakistanischen Linken unterstützt die Militärregierung in der aktuellen Situation, wir demonstrieren gegen sie. Wir veranstalten regelmäßig Proteste gegen die Luftangriffe und das Taliban-Regime und haben keine Angst davor, verhaftet zu werden.

Was hat der pakistanische Staat momentan für außenpolitische Interessen und wie sind die Probleme mit der Nordallianz einzuschätzen?

Farooq Tariq: Zunächst einmal kann man davon ausgehen, dass die frisch bewilligten westlichen Gelder in die Taschen der Militärs fließen. Die pakistanische Regierung befürchtet aber auch, neben der 1.500 Kilometer langen Grenze zu Indien, ihrem traditionellen Feind, eine weitere Grenze zu einem Feindesland im Norden nicht ausreichend verteidigen zu können. Daneben kann für Musharraf ein Verlust des Einflusses in Afghanistan Loyalitätskonflikte in der Armee nach sich ziehen. Denn das pakistanische Militär ist seit zwanzig Jahren in Afghanistan involviert und hat dort die Taliban und andere Bündnisse gegen die Nordallianz unterstützt.

Wie verhält sich die LPP zur anti-amerikanischen Agitation?

Farooq Tariq: Auch bei der Bedeutung der USA in der aktuellen Situation muss es darum gehen, sich in der Agitation gegen die USA von den Fundamentalisten zu unterscheiden. Das heißt, wir müssen gegen die eigenen Eliten vorgehen und gegen die Vertreter der US-dominierten Weltpolitik in Pakistan mobilisieren. Eine rein pazifistische Anti-Kriegsbewegung ist zu wenig. Es geht darum, sie mit Antikapitalismus und Antifeudalismus zu verbinden.

Was bedeutet Antifeudalismus? Können Sie die Verhältnisse auf dem Land kurz beschreiben?

Farooq Tariq: Circa 70% der Bevölkerung lebt und arbeitet auf dem Land. Es ist der Sektor mit dem höchsten Ausbeutungsgrad des Landes, der gleichzeitig gesellschaftlich absolut vernachlässigt ist. Das Problem ist, dass es dort außer wenigen Versuche von NGOs kaum Selbstorganisierung und nichtreligiöse Bildungsarbeit gibt. Es stellt sich bereits als eine nur schwer lösbare Aufgabe dar, bei den Bauern überhaupt ein Bewusstsein für ihre Rechte zu schaffen. Unsere Organisation versucht daher in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Antworten auf die sozialen Verhältnisse in Pakistan zu entwickeln