Astronauten freuen sich auf Destiny

Atlantis soll am Mittwoch erstes ISS-Forschungsmodul ins All befördern

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In den letzten Tagen ist es etwas ruhiger um die ISS geworden. Nur wenige Reporter greifen derzeit zur Feder, nur wenige renommierte Zeitungen und Zeitschriften leisten sich den Luxus, vom Geschehen über den Wolken in turnusmäßigen Abständen zu berichten. Einer der eifrigsten auf diesem Sektor ist der CNN-Fachjournalist und Weltraumexperte Mike O-Brien. Doch seit fast zwei Monaten meldet sich jetzt der findige Raumfahrt-Spezialist weder mit einem Kommentar noch mit einem kurzem Bericht, geschweige denn einem Feature zu Wort. Selbst bei den großen Agenturen dieser Welt bleiben die Ticker meistens stumm, sobald im All Alltag einkehrt. Doch dies wird sich unter Garantie noch diese Woche wieder ändern.

Sofern das wechselhafte Wetter oder unvorhersehbare technische Zwischenfälle den Start der Shuttle-Fähre Atlantis nicht ein weiteres Mal vereiteln, ist es am Mittwoch dieser Woche endlich so weit. Dann hebt das technische Shuttle-Wunderwerk, das auf der Abschussrampe 39-A des Kennedy Space Centers ungeduldig auf seinen Einsatz wartet, mit der bislang kostbarsten Fracht, dem US-Forschungsmodul Destiny, von Cape Canaveral im US-Bundesstaat Florida ab.

Wenn die fünfköpfige Shuttle-Besatzung der STS-98-Mission, namentlich Commander Ken Cockrell, Pilot Mark Polansky, Missions-Spezialist Tom Jones, Marsha Ivins und Bob Curbeam, mit der Atlantis am 9.Februar an die Internationale Raumstation andockt, steht sie unter einem besonders großen Druck, existiert doch zum Destiny-Modul kein Back-up in Gestalt eines zweiten Models. Sollte das Manöver scheitern und das Labor dabei irreparablen Schaden nehmen, wäre dies für das gesamte Unternehmen ein schwerer Rückschlag.

Destiny ist eines der zentralen Bauteile der ISS; hierin findet das Gros der geplanten wissenschaftlichen Experimente zur Schwerelosigkeit statt. Im Inneren des Labormoduls ist Platz für technische und wissenschaftliche Nutzlasten. Ein Teil davon ist speziell für das Durchführen wissenschaftlicher Experimente eingerichtet. Das Labor verfügt ausserdem über ein eigenes Klima- und Lebenserhaltungssystem, so dass gezielt bestimmte Umwelt- bzw. Laborbedingungen eingestellt werden können. Die ersten Experiment sollen dort Anfang 2002 über die Bühne gehen.

Gute Miene zum bösen Spiel

Derweil werden die Arbeitstage auf der ISS für die aktuelle Crew jetzt wohl etwas länger und noch hektischer. "Wir haben unseren Nachfolgern bereits gesagt, dass hier oben nicht alles perfekt sein wird.Man muss zu vielem halt eine gute Miene zum bösen Spiel machen", gestand Commander Bill Shepherd gegenüber dem Herausgeber des US-SPACE Illustrated Magazins Andy Chaikin während eines sechsminütigen Interviews letzter Woche. Im Verlaufe des Gesprächs nahm Shepherd auch zuDennis Tito Stellung, dem ersten echten Weltraumtouristen der Weltgeschichte. "Ich bin prinzipiell dafür", so Shepherd. "Aber künftige Touristen müssen sich darüber im klaren sein, dass eine Reise hierhin und wieder zurück zur Erde mit ziemlichen Risiken behaftet ist. Dies sollten wir stets bedenken."

Über das Ende der altersschwachen Raumstation MIR, die nach 15 Jahren Dienst im All voraussichtlich am 6. März abgesenkt und zum kontrollierten Absturz gebracht werden soll (Bruchstücke der MIR werden nach russischen Berechnungen etwa 500 bis 1.500 Kilometer vor Australien in den Pazifik stürzen), zeigen sich insbesondere die russischem Kosmonauten Yuri Gidzenko und Sergei Krikalev etwas betrübt: "Es ist wirklich schade", klagte Gidzenko. Und Krikalev gestand, dass die MIR für ihn eine zweite Heimat gewesen war. "Aber schließlich muss alles früher oder später ersetzt werden". Das Leben auf der neuen Station erinnere ihn in vielen Dingen an seine beiden Langaufenthalte auf der MIR. Auf Alpha seien die Mannschaftsquartiere und auch andere Elemente mit der MIR nahezu identisch. "Dies ist eine vertraute Erfahrung", so Krikalev.

Im Allgemeinen sei es schon erstaunlich, wie schnell man sich im Orbit heimisch fühle, betonte Commander Shepherd. "Mit Ausnahme, dass alles um einem herumschwebt, realisiert man nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr, dass man körperlich im All ist." Das Essen sei gut, die Wasser- und Luftversorgung exzellent. Man habe zwar viel Arbeit, könne dies aber noch eine Weile gut bewältigen.

Ursprünglich sollte die Mannschaft Mitte Februar ihre Heimreise antreten. Dann hieß es, dass der Rückflug der ISS-Crew nicht vor 1. März zu erwarten sei. Doch infolge mehrfacher Startverschiebungen der Shuttlefähren muss die Crew jetzt bis zum 20. März im All ausharren. Ungeachtet dieser Verzögerungen laufen die Arbeiten auf der Raumstation Alpha auf Hochtouren. Um der Nachfolge-Besatzung tadellose Quartiere zu übergeben, legt die Expedition 1-Crew derweil ein sehr hohes Arbeitstempo vor: Wofür ursprünglich 30 Stunden vorgesehen waren, absolviert die Mannschaft jetzt im 16-Stunden-Marathon: "Das ist nun mal unsere Hauptaufgabe als erste Crew. Wir haben dies zu akzeptieren", sagt Shepherd uneigenützig. "Das Gute an dem Ganzen ist, dass es den folgenden Bewohnern einmal besser ergehen wird als uns."

Wenn alle Verbindungen zwischen Destiny und Alpha stehen, könnte sich dies auf die bislang mangelnde Kommunikation zwischen Raumstation und Basis vorteilhaft auswirken. "Dies war für uns stets das größte Problem. Unser Draht zu Erde war einfach zu kurz. Die Kommunikation muss intensiver und besser werden", klagt Shepherd.

Weltraumtourist trainiert noch

Unterdessen läuft im Kosmonauten-Trainings-Zentrum bei Moskau das abschließende Training des ersten Touristen im Weltall. "Ich habe ein volles Programm", sagte der 60-jährige US-Geschäftsmann Dennis Tito, der sich mental schon auf seinen Flug zur Internationalen Raumstation eingestellt hat. Laut Plan soll der ehemalige NASA-Weltraumingenieur am 30. April vom Weltraumbahnhof Baikonur zur ISS starten. Begleiten wird ihn die russische Besatzung des Sojus-Raumschiffs. Zuvor ist aber noch eine zweite Trainingsrunde am NASA-Raumfahrtzentrum in Houston angesetzt. Tito muss für den zehntägigen Ausflug ins All umgerechnet rund 40 Millionen Mark zahlen.

Ende der MIR naht

Schon vor einigen Tagen hat die russischen Raumfahrtbehörden einen alten Transporter der Raumstation MIR vom Typ Progress kontrolliert ins Meer stürzen lassen. Einige Trümmerteile fielen östlich von Australien in den Pazifischen Ozean, wo auch am 6. März Teile der MIR niedergehen sollen. Die Progress M43 wurde nicht mehr gebraucht, weil am Wochenende ein neuer unbemannter Transporter mit Treibstoff an Bord an die MIR angedockt hatte. Die Progress M1-5 soll die größte und schwerste je von Menschen im Weltraum geschaffene Raumstation zum Absturz bringen. Dabei wird sie mit der MIR verbunden bleiben, sie mit dem eigenen Antrieb abbremsen und steuern. Das geplante Manöver ist nicht ganz ungefährlich: Bislang wurde noch nie ein solch schweres Teil aus der Umlaufbahn geholt. Die US-Raumstation Skylab, die Ende der siebziger Jahre abstürzte, wog weniger als 100 Tonnen. Die MIR hingegen bringt es auf 130 Tonnen. Spezialisten rechnen damit, dass beim Wiedereintritt der MIR in die Erdatmosphäre und dem Auseinanderbrechen der Station erheblich mehr Einzeltrümmer entstehen als dereinst beim Skylab-Absturz.

Während die ISS-Astronauten sich ins Zeug legen, steht die Expedition-Two-Crew, bestehend aus dem russischen Kosmonauten Yuri Usachev und den US-Astronauten Susan Helms und James Voss, bereits in den Startlöchern. Aber auch für sie gilt: Ready for takeoff ist erst frühstens am 20. März dieses Jahres.