Athener Kapriolen

Ilias Panagiotaros von der Goldenen Morgenröte. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Neonazis weiter unter Strafverfolgung - Amnestie für die Übrigen

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Die parlamentarische Immunität des Generalsekretärs der als neonationalsozialistisch eingestuften Chysi Avgi, Nikolaos Michaloliakos, wurde nebst den Immunitäten des Fraktionssprechers Christos Pappas und des Zellenführers von Piräus, Giannis Lagos, aufgehoben. Die drei sitzen bereits seit dem vergangenen Herbst, respektive dem 28. September, in U-Haft. Die zusätzliche Aufhebung der Immunität betrifft weitere Anklagepunkte der Sonderermittler. Im Athener Parlament, der Vouli, kam es darüber am Mittwoch, wie nicht anders zu erwarten, zu tumultartigen Szenen.

Die Goldene Morgenröte nutzte die Gunst der Stunde, um sich als antisystemische Partei zu profilieren und der Regierung Scheinheiligkeit vorzuwerfen. Für den schalen Beigeschmack sorgte ausgerechnet die Regierung selbst. Premier Antonis Samaras verordnete der Vouli die vorzeitige Sommerpause und sorgte damit für eine Amnestierung zahlreicher eigener Bundesgenossen.

Die Inszenierung

Eine Sonderabteilung für tragikomische Dramatisierung hätte den Athener Mittwoch nicht besser gestalten können. Die drei Führungskräfte der Goldenen Morgenröte sitzen seit Herbst in U-Haft. Bislang wurde ihnen der Besuch des Parlaments verwehrt. Theoretisch erlaubt die griechische Strafprozessordnung in Haft sitzenden, noch nicht rechtskräftig verurteilten Bürgern ihre parlamentarischen Aufgaben wahrzunehmen.

Dazu bedarf es lediglich einer Sondergenehmigung des zuständigen Staatsanwalts der jeweiligen Haftanstalt. Dieser kann den Antrag auf eine Genehmigung dann verweigern, wenn er Sicherheitsbedenken anführt. Michaloliakos, Pappas und Lagos bekamen bis dato keinen ihrer Anträge genehmigt. Als Generalprobe stieg vor den Europawahlen am 7. Mai die Aufhebung der Immunität von vier inhaftierten Abgeordneten der zweiten Reihe, Giorgos Germenis, Nikos Michos, Stathis Boukouras und Chrysovalantis Alexopoulos.

Zoom im Athener Parlament: Frau Zaroulia massiert ihrem Gatten, Nikos Michaloliakos, den Nacken. Daneben andere Mitglieder der Goldenen Morgenröte. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Boukouras und Alexopoulos hatten sich in der U-Haft von der Partei losgesagt. Der früher forsch auftretende Boukouras brach bei seiner Rede im Parlament gar in Tränen aus. Michos und Germenis gaben sich dagegen gewohnt forsch. Die Wirkung ihrer markigen Sprüche verpuffte jedoch, weil im Saal keinerlei Zuschauer zugelassen worden waren. Anträge der Partei, eigene Zuschauer mit ins Plenum zu nehmen, hatten zu diesem Verbot geführt.

Aufruhr

Auch diesmal sollte es nach diesem Muster verlaufen. Bereits im Vorfeld deutete sich jedoch an, dass die drei ultrarechten Spitzenpolitiker mehr Aufruhr verursachen würden. Für den ersten Grund sorgte das Parlamentspräsidium selbst. Man hatte es schlicht verschwitzt, die gesetzlichen Fristen einzuhalten. Denn die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten muss innerhalb von drei Monaten nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen. Wird diese Frist nicht eingehalten, so das Gesetz, dann ist die gesamte Anklage gegenstandslos.

Die Frist lief allerdings in der Wochen ab, in denen das Parlament wegen der Europa-, Regional- und Kommunalwahlen geschlossen war. Per Präsidiumsentscheid wurden diese Tage als gegenstandslos erklärt. Man führte Präzedenzfälle vergangener Jahre an, bei denen ebenso verfahren wurde. Verschwiegen wurde jedoch, dass in den angesprochenen Fällen die Immunität der Abgeordneten nicht aufgehoben wurde.

Das Athener Parlament

Für den zweiten Grund der vor Spannung knisternden Atmosphäre sorgten die Wähler. Sie hatten die Partei bei den Europawahlen mit knapp zehn Prozent zur dritten Kraft im Land gemacht. Bei den Kommunalwahlen in Athen, der größten Stadt im Land, gab es gar 16 Prozent Zuspruch. Selbstbewusst betonten die Rechtsextremen im Parlament, dass die Strafverfolgung sie nicht stoppen könne.

Schließlich war Anfang April bewiesen worden, dass ausgerechnet der Amtschef von Premier Samaras mit der Führungsspitze der Goldenen Morgenröte mauschelte. Ilias Kasidiaris, als Pressesprecher der Partei, hatte im Parlament einen Gesprächsmitschnitt vorgelesen. Eine russische Videoplattform (rutube) hatte dazu ein Video mit O-Tönen geliefert und Kasidiaris fing sich seine x-te Strafanzeige ein.

Gegen Kasidiaris wurde Anklage erhoben, weil dieser im Verdacht steht, das Gespräch mit Kostas Baltakos ohne dessen Wissen aufgezeichnet zu haben und dann an die Öffentlichkeit gegeben zu haben. Das Video verschwand von rutube und ist mittlerweile auf youtube samt Untertitel abrufbar.

Kasidiaris bestreitet seinerseits hinter der gesetzlich verbotenen Videoaufzeichnung zu stehen. Seine Fürsprecher sehen im Video keine Straftat, sondern höchstens einen erlaubten Verteidigungsversuch. Nichtsdestotrotz wertet die Staatsanwaltschaft den Vorfall als "Versuch, den Premier zu erpressen" und droht mit knapp fünf Jahren Haft.

Gleichzeitig verschob die Regierung immer wieder eine große parlamentarische Anfrage der Opposition zur Klärung der Verwicklung des Intimus von Premier Samaras. Die Schließung des Parlaments verschiebt diese Aufarbeitung übrigens noch weiter, in den Herbst 2014.

Der Ablauf des Dramas

Bereits am frühen Morgen des Mittwoch war der Bereich um das Parlament, mithin das Zentrum Athens, weiträumig abgesperrt. Im Verkehrschaos verloren sich daher doppelstöckige Touristenbusse mit Aussichtsplattform, radelnde, aber am Stau verzweifelnde Touristen samt überforderten Tourführern und mehrere hundert mit Flaggen bestückte Anhänger der Goldenen Morgenröte.

Die Fans von Michaloliakos intonierten das Horst Wessel Lied in griechischer Übersetzung, brüllten "Blut und Ehre" und schwangen demonstrativ die Flaggen. Die Touristen sahen sich im falschen Film und die Polizei versuchte, an starren Regeln festhaltend, irgendwie Ordnung in den Surrealismus zu bringen.

Beinahe wäre ihr das auch gelungen. Jedoch hatten die Beamten offenbar nicht bedacht, dass Chrysavgites, wie die Rechtsextremen in Griechenland genannt werden, zur Not auch ohne Glatze, Flagge oder Parteiuniform unterwegs sind.

Mehrere Dutzend von ihnen hatten sich unter die Journalisten gemischt, die vor der Parlamentseinfahrt ausharrten, um die Ankunft der drei Hauptdarsteller zu dokumentieren. Kaum waren die gepanzerten Polizeifahrzeuge aufgetaucht, intonierten sie die Parteihymne und schrieen "höre Führer und höre es gut, Du hast das Establishment mal wieder bloßgestellt". Die überrumpelten Beamten reagierten mit einer Schubsattacke auf die Journalisten. Irgendwie gelangten in dem dadurch entstehenden Durcheinander zahlreiche Anhänger in den Eingang des Parlamentsgebäudes, wo sie ihrem Führer den entsprechenden Empfang bereiteten.

Nikos Michaloliakos und seine Verteidigungsrede. Foto: A.W.

So gestärkt begann Nikos Michaloliakos als erster der drei seine Verteidigungsrede im Plenum. In der ihm eigenen, ironisch überheblichen Art schaffte er es sich gleichzeitig über seine Handschellen zu beschweren und diese zeitgleich als "Ehrung für jeden ideologischen Kämpfer" zu feiern. Der Chronik halber sei erwähnt, dass Michaloliakos innerhalb des Parlamentsgebäudes keinerlei Handschellen trug.

Die Nea Dimokratia als Beleg für die eigene Unschuld

Der offiziell als Parteisekretär der Chrysi Avgi fungierende Parteigründer betonte in seiner Rede mehrmals, dass Baltakos nicht der einzige Kontakt der Partei zur Regierung gewesen sei. Vielmehr habe der Pressesprecher des Premiers, Giorgos Mouroutis, mehrmals bei ihm angerufen und den Kontakt gesucht. Zwei weitere Minister der Regierung erwähnte er, nannte aber deren Namen nicht. "Nur in Griechenland und im Sudan werden Abgeordnete inhaftiert", blaffte er und befand "wir leben in einem Land der Staatsanwälte." Dann ging er ans Eingemachte.

Michaloliakos bezeichnete seinen Nachfolger in der Jugendorganisation der Partei der Putschisten EPEN, Makis Voridis, als Drahtzieher eines politischen Mordes von 1985. Er erinnerte an die Tötung des linken Studienrats Temponera, der in den Neunzigern von Jugendfunktionären der Nea Dimokratia brutal erschlagen wurde.

Das unter Juristen als "tu quoque" bekannte Manöver sollte dazu dienen, die eigene mutmaßliche Verwicklung in die Ermordung des Rappers Pavlos Fyssas durch einen Chrysavgiten (Anhänger der rechten Chrysi Avgi ermordet antifaschistischen Hip Hopper) als Scheinargument seiner Strafverfolger abzukanzeln. Schlimmer noch, Michaloliakos konnte die bevorstehende Erhebung des Fraktionschefs Voridis zum Minister als griffiges Argument für seine eigene Unschuld anführen.

Parteifreund Giannis Lagos erwies sich dagegen als weniger begabter Redner. Der stämmige Riese mit dem Körper eines Bodybuilders las eine durchaus juristisch schlüssig klingende Verteidigungsrede eher emotionslos vom Blatt ab. Lagos hielt seine Rede ebenso wie Michaloliakos zuvor vom Abgeordnetensitz aus. Lagos schloss seine Rede mit einem Hinweis darauf, dass sein seit Monaten verschleppter Prozess nie stattfinden würde. Schließlich habe die Regierung Angst davor, was alles im Gerichtssaal gesagt werden könnte, meine er. Dann kam die halbe Stunde des Fraktionssprechers Christos Pappas.

Christos Pappas beleidigt die Parlamentarier; Foto: A.W.

Demonstrativ schritt Pappas zum zentralen Rednerpult. Auch er begann seine Rede mit einem Seitenhieb auf die Regierung. Namentlich erwähnte er die Hauptpersonen von aktuellen und vergangenen Regierungsskandalen, aufgedeckten Korruptionsfällen und Betrugsfällen, die mit politischer Deckung abgelaufen sind. Auch er stichelte mehrmals gegen Makis Voridis. Pappas zeigte Fotos, auf denen der jetzige Regierungsabgeordnete noch 2009 in trauter Gemeinsamkeit mit der Goldenen Morgenröte posierte.

Eine Prügelei schien unabwendbar..

Zudem verwies der inhaftierte Parteisprecher darauf, dass Voridis ebenfalls Hitler Fan gewesen sei. Einer der Anklagepunkte gegen Pappas bezieht sich auf gefundene Devotionalien vom "Größten Feldherrn aller Zeiten". Weniger der Gröfaz aber vielmehr der oft betonte Antikommunismus sorgte für die nächste Attacke gegen die Regierung. "Meintest Du nicht zu mir, lieber hätte ich meinen Sohn als Chrysavgiten als dass er Kommunist oder SYRIZA-Anhänger wäre", fragte Pappas den überrumpelten Gesundheitsminister Adonis Georgiadis. Georgiadis, einer der vier anwesenden Regierungsvertreter, fühlte sich danach sichtlich unwohl auf seiner Kabinettsbank.

Das Parlament während der Rede Pappas. Bild: A.W.

Pappas Rede zog sich in diesem Sinn immer länger hin bis er bewusst den totalen Eklat provozierte. "Ich wünsche Euch elenden Gottlosen, dass sich Gott Eurer erbarmt", schrie er ins Plenum. Die folgenden Zwischenrufe der Beleidigten führten zu einem Crescendo an Flüchen von den Bänken der Goldenen Morgenröte. Michaloliakos brüllte, dass man dem inhaftierten Redner Respekt zollen müsse. Nikos Michos hingegen schoss nach einem bissigen Zwischenruf des linken, parteilosen Abgeordneten Petros Tatsopoulos von seinem Stuhl auf. Michos eilte bedrohlich auf Tatsopoulos zu.

Eine Prügelei schien unabwendbar, als sich im letzten Moment der PASOK Parlamentarier Pyrros Dimas als Schutzschild aufstellte. Der mehrfache Olympiasieger im Gewichtheben nutzte seinen Moment des Ruhms, um sich als Garant des Schutzes der Demokratie auf Facebook zu präsentieren.

Kurzum, der gesamte Ablauf der Sitzung goss buchstäblich Wasser auf die Mühlen der Anhänger der Goldenen Morgenröte. Er lieferte den Fanatikern massenhaft Argumente für Kaffeehausdiskussionen. Gleichzeitig blamierte das Prozedere die etablierten Parteien.

Das Eigentor zum Schluss

Als wäre der schwarze Tag des Parlaments nicht genug, setzte die Regierung einen drauf. Samaras ließ die Sitzungsperiode überraschend beenden und schickte die Parlamentarier bis Ende September in die Sommerpause. Bis dahin werden die zahlreichen anstehenden Gesetzespakete von zahlenmäßig stark verminderten "Sommerperiodenabteilungen" durchgewinkt.

Im Herbst steht dann die Wahl eines neuen Staatspräsidenten an. Eine ebenfalls für heute angekündigte Kabinettsreform kann im Rumpfparlament sicherlich einfacher über die Bühne gebracht werden. Die parlamentarische Kontrolle der Regierung, vulgo die oft störenden Anfragen der Abgeordneten liegen für einige Zeit flach.

Der Clou ist jedoch eine Amnestie für zahlreiche Politiker. Zum einen standen für die nächsten Tage weitere Diskussionen über die Aufhebungen von Immunitäten an. Betroffen waren Parlamentarier, die nicht der Goldenen Morgenröte angehören, und die nun ruhiger schlafen können.

Gemäß Artikel 86 der griechischen Verfassung, dem "Gesetz über die Verantwortlichkeit von Ministern" sind mit der Schließung der Sitzungsperiode sämtliche noch unbekannten möglichen Amtsvergehen der Regierungen Giorgos Papandreous und Loukas Papademos' verjährt. Das betrifft auch den Schuldenschnitt von 2012, den Skandal um Korruption bei Waffenkäufen und vor allem beim Bau von Unterseebooten, sowie die unterschlagenen Listen von Steuersündern. Allesamt Affären, die den aktuellen Vizepremier und Außenminister Evangelos Venizelos, den Autor von Artikel 86, betreffen. Dutzende noch nicht abgeschlossene staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurden auf einen Schlag gegenstandslos.

Weil die Schließung überraschen kam und sich nicht nur die davon vorher nicht unterrichteten Parlamentarier überrumpelt fühlten, bekommt ein Satz von Nikolaos Michaloliakos besonderes Gewicht. Während seiner Tirade hatte der "Führer" getönt, "heute wird das Parlament schließen". Ob gewollt oder ungewollt hat er damit vielleicht Stoff für viele weitere Verschwörungstheorien geliefert. Sicher ist aber, dass seine Partei den heutigen Tag als Imagesieg verbuchen kann.