Atomenergie: Locken und Drohen

Die Energie- und Klimawochenschau: Die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke sind sich einig. Längere Laufzeiten, ja bitte, aber Gewinne abgeben oder gar auf alte Privilegien verzichten? Nein danke! Statt Brennelementesteuer wollen sie einen Fonds zur eigenen Verfügung

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Die Koalition hat sich bereits vorab verpflichtet den Atomausstieg aufzuheben. Kein Wunder, dass die AKW-Betreiber sich schon völlig auf die kommende Wohltat eingestellt hatten und nun nicht so ohne Weiteres bereit sind, als Gegenleitung einen größeren Obulus ihrer nun weiter sprudelnden Gewinne abzugeben. Daher intensivieren sie nun erst einmal die Drohkulisse und erhöhen die Strompreise, RWE etwa ab August für Haushaltskunden um weitere 7,3%. Begründet wird dies mit der Strom-"Öko"-steuer, die allerdings keineswegs um diesen Betrag erhöht worden ist. Vielmehr soll wohl ein Zusammenhang hergestellt werden: Steuererhöhungen, wie die geplante auf Brennelemente, erhöhten den Strompreis – und das könnte Wählerstimmen kosten. Gleichzeitig locken die Betreiber mit "zukünftig möglichen" Preissenkungen, wenn die Laufzeiten entsprechend länger ausfallen und die Brennelementesteuer von jährlich 2,3 Mrd. Euro nicht kommt. Sollte das nicht wirken, drohen sie als nächstes zu klagen.

RWE -Chef Jürgen Großmann lehnte eine Abgabe, ohne dass ein Teil davon wieder an die Betreiber zurückfließt, bereits ab. Stattdessen solle nur ein kleinerer Teil der Extragewinne in einen Fonds fließen, aus dem dann konzerneigene Windparks, Gaskraftwerke und Netzprojekte finanziert werden sollen. Eigentlich eine Win-Win-Situation für die beiden "Partner". Die Betreiber könnten ihre Anlagen-Modernisierung in Richtung Erneuerbare Energien aus den Atomgewinnen finanzieren und die Koalition könnte das als Erfolg ihrer Klimapolitik verkaufen: Seht her, wir tun doch auch etwas für den Ausbau der Erneuerbaren.

Bild: snaiwedu. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Doch die Koalition steht im Wort und möchte nicht wieder mit einem angekündigten Projekt scheitern. Deshalb erhöhte Rainer Brüderle sein Laufzeitangebot an die Betreiber. War Anfang Juni noch von 8–10 Jahren die Rede, erhöhte der Bundeswirtschaftsminister jetzt auf 15 Jahre - wenn die Brennelementesteuer kommt. Doch die Praxis, Gewinne aus der Kernkraft bisher sogar steuerfrei "zurückstellen" und sie in die geschäftliche Ausweitung des eigenen Unternehmens investieren zu können, ist bei den Energiekonzernen bereits zu sehr etabliert. Nach diesem Muster sollen nun bitte schön auch die Zusatzgewinne eingesetzt werden.

Rückstellungen als Vorbild für den "Fonds statt Brennelementesteuer". Die sogenannten Rückstellungen der Atomkraftwerk-Betreiber dienen formal der Absicherung der Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung der Kraftwerke. Dafür sind sie aber viel zu niedrig angesetzt (siehe das Beispiel Großbritannien weiter unten). Andererseits sind sie steuerfrei und dürfen als Investitionen für die geschäftliche Expansion verwendet werden.

Nach diesem Vorbild schwebt den Betreibern der Atomkraftwerke nun als Gegenleistung für die Abschaffung des Atomausstiegs ein Fonds vor, in den ein Teil der Gewinne geparkt und für neue (eigene) Anlagen im Bereich Netzausbau, Gaskraftwerke und Offshore-Windparks verwendet werden soll. Sollte der Fonds nicht kommen, wollen die AKW-Betreiber klagen. Schon einmal hatten sie damit Erfolg. 2002 bestätigte der Europäische Gerichtshof das Privileg der steuerfreien Rückstellungen und ihrer investiven Nutzung und wies damit die Klage der Stadtwerke Schwäbisch Hall, Tübingen und Uelzen gegen dieses Privileg ab.

Klimapolitik hat sich bereits von den Energiekonzernen abhängig gemacht

Die Vorstandsvorsitzenden von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW wollen die geplante Brennelementesteuer notfalls vor Gericht stoppen. In absurder Weise begründen sie das damit, dass die Brennelementesteuer nicht mit dem Atomausstiegsbeschluss von 2001 vereinbar sei. Schließlich sei damals doch vereinbart worden, dass die Atomwirtschaft nicht zusätzlich steuerlich belastet werden dürfe. Dass dieser Atomkonsens aber gerade aufgehoben wird und die Gewinne daher weiter sprudeln, erwähnen sie wohlweislich nicht.

Um jetzt doch noch eine irgendwie gesichtswahrende Lösung zu finden, findet am Mittwoch ein Treffen im Kanzleramt statt. Noch auf einem ganz anderen Blatt steht allerdings, wie die Laufzeitverlängerung dann ohne die Beteiligung des Bundesrats, in dem die Koalition ihre Mehrheit verloren hat, zustande kommen soll.

Selbst RWE-Vorstand Leonhard Birnbaum ist sich der Schwäche der Politik bewusst. Auch er wirbt im Interview mit der Berliner Zeitung für die Fondslösung. Andernfalls warnt er, müsse der Konzern seine Investitionen "überdenken". Das heißt, Investitionen in die Vorzeigeprojekte deutscher Politik, die Offshore-Windkraft, Gaskraftwerke, den Netzausbau und die Elektromobilität könnten magerer ausfallen.

Das ist die Kehrseite der Bindung an der Politik an die vier Energiekonzerne. Dabei existiert(e) mit dem Erneuerbare Energien Gesetz ein hervorragendes Instrument die zukünftige Energieversorgung auf eine breite (Eigentümer-) Basis zu stellen. Doch auch hier erwies sich die Attraktivität von Großprojekten wie Offshore-Windparks und Desertec für die Politik als zu groß. Zur Zeit bemüht sich die Koalition zusätzlich noch aus eigenem Antrieb, die Photovoltaik zu demontieren. Birnbaum spricht daher forsch von technisch möglichen 60 Jahren Laufzeit für die Atomkraftwerke und davon, dass RWE plane, bis 2025 drei Viertel seiner installierten Kraftwerksleistung auf Basis von Kernkraft, erneuerbaren Energien und Gas zu betreiben - inklusive vieler Offshore-Windräder, wenn, ja wenn die "Hemmnisse" beseitigt würden.

Pattsituation in Europa

Auch anderswo in Europa fallen zur Zeit Entscheidungen zu längeren AKW-Laufzeiten, Neubauten und verschobenen Abrissvorhaben. In Schweden sind Neubauten wieder erlaubt. In Tschechien soll es möglicherweise einen weiteren Reaktorneubau geben. Doch Finnland macht vor, dass eine allgemeine Wiederbelebung der Kernkraft möglicherweise allein schon an den unkalkulierbaren Kosten scheitert.

Ob es bei Laufzeitverlängerungen bleibt oder auch weitere Atomkraftwerke in Europa gebaut werden, wird auch eine Kostenfrage sein: Block 3 des Kernkraftwerk Olkiluoto im Bau. Das Bieterkonsortium Areva erhielt mit einer Festpreisgarantie von 2,5 Mrd. Euro den Zuschlag. In drei Jahren soll der Reaktor ans Netz gehen, doch schon 2009 hatten sich die Baukosten auf 5,47 Mrd. Euro verdoppelt.

Ein besonders kreatives Argument für die Laufzeitverlängerung, besonders alter Kernkraftwerke, kommt aus Großbritannien. Der Abriss der Altanlagen sei schlicht zu teuer. Das klingt so lapidar, dass sich Parallelen zu der immer riskanteren Offshore-Ölsuche aufdrängen. Aus vermeintlichen ökonomischen Zwängen, wegen des Klimawandels oder der Energiesicherheit soll entweder der Ausstieg rückgängig gemacht oder eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten beschlossen werden. Lange Zeit passiert nichts und Tschernobyl liegt auch schon lange zurück, doch dann eines Tages... Anstatt die Energiewende konsequent, auch über mehrere Legislaturperioden, zu realisieren, setzen Politiker der Einfachheit halber lieber auf die vorhanden Großtechnologien. Einige aktuelle Beispiele:

  • Großbritannien: Die britische Regierung will die beiden ältesten Meiler im Land, Wylfa (1971) und Oldbury (1968), am Netz belassen, weil der Rückbau für die dafür verantwortliche Nuclear Decommissioning Authority (NDA) zu viel Geld kosten würde. Die NDA rechnet damit, dass der Abriss der Reaktoren 88 Mrd. Euro kosten wird. Nur die Hälfte davon zahlen die Betreiber, die andere Hälfte die britischen Steuerzahler. Der britische Energieminister Chris Huhne sagte, die Kosten für die atomaren Altlasten seien so hoch, dass sein Ministerium mittlerweile weniger eines für Energie- und Klimawandel, als vielmehr eines für nukleares Erbe und ein paar andere Dinge sei: "The costs are such that my department is not so much the Department of Energy and Climate Change as the Department of Nuclear Legacy and Bits of Other Things."
  • Finnland: Das andauernde finanzielle Desaster mit dem Neubau des EPR-Reaktors im finnischen Olkiluoto ist symptomatisch dafür, dass Reaktor-Neubauten, die aktuellen Sicherheitsstandards genügen sollen, nur zu horrenden Preisen gebaut werden können und das Versprechen vom billigen Atomstrom damit nur so lange aufrechterhalten werden kann, wie kräftig quersubventioniert wird. Das deutsch-französische Baukonsortium Areva-Siemens hat sich mit seinen ursprünglichen Angaben in Bezug auf Baukosten und Fertigstellung mächtig verrechnet. Die Baukosten hatten sich bis Ende 2009 bereits auf 5,3 Mrd. Euro verdoppelt und die voraussichtliche Inbetriebnahme verzögert sich vorerst um weitere zwei Jahre auf 2013.
  • Tschechien: Das umstrittene Kraftwerk im südböhmischen Temelin soll ausgebaut werden. Darauf haben sich die drei Parteien der künftigen Mitte-Rechts-Koalition geeinigt. Und auch das zweite tschechische Atomkraftwerk im Dukovany soll modernisiert und erweitert werden. Das Kraftwerk Temelin wird vor allem im Nachbarland Österreich kritisch gesehen. Dort hält man den südböhmischen Meiler nach mehreren Zwischenfällen für sehr unsicher. Nach Angaben tschechischer Umweltschutzorganisationen ist bei den Pannen auch radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ausgetreten. Bei der Bevölkerung stößt die atomkraftfreundliche Politik in Umfragen auf Zustimmung. Regelmäßig votieren zwei Drittel der Tschechen für die Atomkraft. Das ist die höchste Quote in der europäischen Union.
  • Schweden: In Schweden beschloss die amtierende Vierer-Koalition mit einer hauchdünnen Zwei-Stimmen-Mehrheit, dass alte Kernreaktoren zukünftig auch durch neue ersetzt werden dürfen. Als Begründung wurde angegeben, man könne sich in Zeiten des Klimawandels nicht an ein 30 Jahre altes Referendum zum Atomausstieg halten.

Allerdings hatte es die rot-grüne Koalition in Schweden in den Jahren davor mit dem von ihr propagierten Ausstieg auch nicht allzu ernst genommen. Bislang sind in Schweden nur zwei Reaktoren vom Netz gegangen. Andererseits produzieren die verbliebenen zehn Reaktoren nach milliardenschweren Investitionen der Betreiber Eon, Forsmark und Vattenfall jetzt soviel Strom wie vorher die zwölf Meiler.

Absurderweise werten viele Schweden die Pannen und Ausfälle der Atomreaktoren im eigenen Land als Argument für die Atomkraft, in der Hoffnung, mehr Strom aus Großkraftwerken könnte lokale Ausfälle ausgleichen und die Strompreise niedrig halten. Gleichzeitig spekulieren die Betreiber auf den Stromexport über die neuen Seekabel – die eigentlich für den Ausbau der regenerativen Stromversorgung gedacht sind. Allerdings sollen die Betreiber nach den neuen Regelungen bei Neubauten ohne direkte staatliche Beihilfen auskommen und im Falle einer Havarie voll haften. Besser es passiert nichts...